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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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ander unverträglich. Aber gerade diese Unverträglichkeit im Zwange
und Zusammenhange macht die besondere, dazu durch die poeti-
sche Form und durch das heroische Versmaß nur desto glücklicher
gehobene drastisch-komische Wirksamkeit aus. Diese wird aber
gerade in der "Floia" noch außerordentlich dadurch gehoben, daß
der deutsche Sprachantheil nicht allein in der gewählten Sprache
der Bildung sich bewegt, sondern überhaupt wie ein harmloses
Naturkind erscheint, dadurch daß er in der festeckigen, untadelig
correcten lateinischen Flexion mit aller möglichen Natürlichkeit, Nai-
vetät und Fügigkeit bald zur hochdeutschen, bald zur niederdeutschen
Mundart übergeht und doch gerade in dieser Willigkeit, bei wel-
cher durch die nur zufällig erscheinende, jedoch gesuchte Laut-
ähnlichkeit mancher eine ganz andere Bedeutung habender Wörter
die komische Wirksamkeit in drolliger Jllusion noch mehr gehoben
wird, den Contrast beider Sprachfactoren nur noch schärfer hervor-
treten läßt. Und doch ist bei alledem, selbst wenn auch nicht
am Schluß des echt komischen Gedichts gesagt wäre, daß der
Dichter aus Hamburg den Freunden sein Werk zusende, der
hamburger Dialekt so unverkennbar, daß man die Mundart nur
specifisch hamburgisch, nicht einmal holsteinisch, wie Genthe S. 166
meint, nennen darf und daß der unbekannte Dichter durchaus ein
Hamburger gewesen sein muß. 1)

Dagegen sticht die 1647 zuerst erschienene "Lustitudo stu-
dentica
", welcher alle genannten Vortheile abgehen und welche
ersichtlich nur eine Nachbildung der "Floia", sowie auch bei wei-
tem mehr lateinisch als deutsch-maccaronisch ist, ungeachtet der
bis zum Uebermaß fröhlichen, wild tobenden studentischen Laune,

1) Die "Floia" erschien zuerst auf einem halben Quartbogen ohne An-
gabe des Druckorts und Verfassers 1593 und hatte nach Genthe, a. a. O.,
S. 165, den (auch in den "Nugae venales" von 1720, S. 111, gegebenen)
ausführlichen Titel: Floia. Cortum Versicale De Flois Swartibus Illis
Deiriculis, quae omnes fere Minschos, Mannos, Weibras, Jungfras etc.
behüppere et spiezibus Schnaflis steckere et bitere solent. Autore Gri-
pholdo Knickknakio ex Floilandia.
Dagegen haben die "Facetiae Face-
tiarum
" von 1647, S. 531, nur den einfachen Titel Floia. Cortum Ver-
sicale.

ander unverträglich. Aber gerade dieſe Unverträglichkeit im Zwange
und Zuſammenhange macht die beſondere, dazu durch die poeti-
ſche Form und durch das heroiſche Versmaß nur deſto glücklicher
gehobene draſtiſch-komiſche Wirkſamkeit aus. Dieſe wird aber
gerade in der „Floia“ noch außerordentlich dadurch gehoben, daß
der deutſche Sprachantheil nicht allein in der gewählten Sprache
der Bildung ſich bewegt, ſondern überhaupt wie ein harmloſes
Naturkind erſcheint, dadurch daß er in der feſteckigen, untadelig
correcten lateiniſchen Flexion mit aller möglichen Natürlichkeit, Nai-
vetät und Fügigkeit bald zur hochdeutſchen, bald zur niederdeutſchen
Mundart übergeht und doch gerade in dieſer Willigkeit, bei wel-
cher durch die nur zufällig erſcheinende, jedoch geſuchte Laut-
ähnlichkeit mancher eine ganz andere Bedeutung habender Wörter
die komiſche Wirkſamkeit in drolliger Jlluſion noch mehr gehoben
wird, den Contraſt beider Sprachfactoren nur noch ſchärfer hervor-
treten läßt. Und doch iſt bei alledem, ſelbſt wenn auch nicht
am Schluß des echt komiſchen Gedichts geſagt wäre, daß der
Dichter aus Hamburg den Freunden ſein Werk zuſende, der
hamburger Dialekt ſo unverkennbar, daß man die Mundart nur
ſpecifiſch hamburgiſch, nicht einmal holſteiniſch, wie Genthe S. 166
meint, nennen darf und daß der unbekannte Dichter durchaus ein
Hamburger geweſen ſein muß. 1)

Dagegen ſticht die 1647 zuerſt erſchienene „Lustitudo stu-
dentica
“, welcher alle genannten Vortheile abgehen und welche
erſichtlich nur eine Nachbildung der „Floia“, ſowie auch bei wei-
tem mehr lateiniſch als deutſch-maccaroniſch iſt, ungeachtet der
bis zum Uebermaß fröhlichen, wild tobenden ſtudentiſchen Laune,

1) Die „Floia“ erſchien zuerſt auf einem halben Quartbogen ohne An-
gabe des Druckorts und Verfaſſers 1593 und hatte nach Genthe, a. a. O.,
S. 165, den (auch in den „Nugae venales“ von 1720, S. 111, gegebenen)
ausführlichen Titel: Floia. Cortum Versicale De Flois Swartibus Illis
Deiriculis, quae omnes fere Minschos, Mannos, Weibras, Jungfras etc.
behüppere et spiezibus Schnaflis steckere et bitere solent. Autore Gri-
pholdo Knickknakio ex Floilandia.
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tiarum
“ von 1647, S. 531, nur den einfachen Titel Floia. Cortum Ver-
sicale.
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[80/0114] ander unverträglich. Aber gerade dieſe Unverträglichkeit im Zwange und Zuſammenhange macht die beſondere, dazu durch die poeti- ſche Form und durch das heroiſche Versmaß nur deſto glücklicher gehobene draſtiſch-komiſche Wirkſamkeit aus. Dieſe wird aber gerade in der „Floia“ noch außerordentlich dadurch gehoben, daß der deutſche Sprachantheil nicht allein in der gewählten Sprache der Bildung ſich bewegt, ſondern überhaupt wie ein harmloſes Naturkind erſcheint, dadurch daß er in der feſteckigen, untadelig correcten lateiniſchen Flexion mit aller möglichen Natürlichkeit, Nai- vetät und Fügigkeit bald zur hochdeutſchen, bald zur niederdeutſchen Mundart übergeht und doch gerade in dieſer Willigkeit, bei wel- cher durch die nur zufällig erſcheinende, jedoch geſuchte Laut- ähnlichkeit mancher eine ganz andere Bedeutung habender Wörter die komiſche Wirkſamkeit in drolliger Jlluſion noch mehr gehoben wird, den Contraſt beider Sprachfactoren nur noch ſchärfer hervor- treten läßt. Und doch iſt bei alledem, ſelbſt wenn auch nicht am Schluß des echt komiſchen Gedichts geſagt wäre, daß der Dichter aus Hamburg den Freunden ſein Werk zuſende, der hamburger Dialekt ſo unverkennbar, daß man die Mundart nur ſpecifiſch hamburgiſch, nicht einmal holſteiniſch, wie Genthe S. 166 meint, nennen darf und daß der unbekannte Dichter durchaus ein Hamburger geweſen ſein muß. 1) Dagegen ſticht die 1647 zuerſt erſchienene „Lustitudo stu- dentica“, welcher alle genannten Vortheile abgehen und welche erſichtlich nur eine Nachbildung der „Floia“, ſowie auch bei wei- tem mehr lateiniſch als deutſch-maccaroniſch iſt, ungeachtet der bis zum Uebermaß fröhlichen, wild tobenden ſtudentiſchen Laune, 1) Die „Floia“ erſchien zuerſt auf einem halben Quartbogen ohne An- gabe des Druckorts und Verfaſſers 1593 und hatte nach Genthe, a. a. O., S. 165, den (auch in den „Nugae venales“ von 1720, S. 111, gegebenen) ausführlichen Titel: Floia. Cortum Versicale De Flois Swartibus Illis Deiriculis, quae omnes fere Minschos, Mannos, Weibras, Jungfras etc. behüppere et spiezibus Schnaflis steckere et bitere solent. Autore Gri- pholdo Knickknakio ex Floilandia. Dagegen haben die „Facetiae Face- tiarum“ von 1647, S. 531, nur den einfachen Titel Floia. Cortum Ver- sicale.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/114>, abgerufen am 17.05.2024.