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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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verkennen ist, macht sich diese Vertauschung viel leichter, und der
oft noch durch veränderte Wort- und Silbenabtheilung verstärkte
Contrast besteht meistens nur in der Abweichung des logischen
Elements einer speciellen romanischen Sprache von dem logischen
Elemente der lateinischen Sprache. Jn der deutschen maccaroni-
schen Poesie ist bei der größern Entfremdung des germanischen
von dem lateinischen Sprachstoffe der Contrast desto greller und
die Vertauschung desto verwegener und komischer, wie man das
namentlich in der "Floia" sieht, in welcher obendrein das Hoch-
deutsche und Niederdeutsche überaus bunt und lustig neben- und
durcheinander wuchern. So hat die "Floia" das Wort sternas
nicht etwa vom lateinischen sternere, sondern vom deutschen Stern,
stridunt nicht vom lateinischen stridere, sondern vom niederdeutschen
striden, streiten, und am Schlusse: Nun is et uthe, nun is 't ut,
nun ist es aus. Das merkwürdigste Beispiel hat aber wol der
berühmte Rabbi Jehuda (Arje di Modena, Leo Mutinensis, der Löwe
von Modena) als achtzehnjähriger Jüngling gegeben. J. C. Wagenseil
theilt es S. 50 seiner "Sota" 1) mit, und neuerdings hat von der
Hagen in seiner am 18. August 1853 in der berliner Akademie der
Wissenschaften "über die romantische und Volksliteratur der Juden
in jüdischdeutscher Sprache" gehaltenen Vorlesung wieder darauf
aufmerksam gemacht, wobei er es mit Recht bezeichnet als "ein
poetisches Kunststück, wie es wol nur in dem Gehirne eines durch
den Talmud geschulten Juden entspringen konnte, aber auch den
Witz und Scharfsinn eines solchen sattsam bekundet". Rabbi Je-
huda machte auf den Tod seines Lehrers Rabbi Moses Basula
ein Trauergedicht in hebräischer und in italienischer Sprache, dessen
Wortlaut in beiden Sprachen vollkommen gleich ist und doch in
jeder der beiden Sprachen ein correctes besonderes Verständniß
darbietet und in durchaus bündigem Zusammenhange gelesen und
verstanden werden kann. Freilich ist dabei der Silbenabtheilung

1) Sota lib. Mischnicus de uxore adulterii suspecta, cum excerptis
Gemarae
(Altdorf 1674).

verkennen iſt, macht ſich dieſe Vertauſchung viel leichter, und der
oft noch durch veränderte Wort- und Silbenabtheilung verſtärkte
Contraſt beſteht meiſtens nur in der Abweichung des logiſchen
Elements einer ſpeciellen romaniſchen Sprache von dem logiſchen
Elemente der lateiniſchen Sprache. Jn der deutſchen maccaroni-
ſchen Poeſie iſt bei der größern Entfremdung des germaniſchen
von dem lateiniſchen Sprachſtoffe der Contraſt deſto greller und
die Vertauſchung deſto verwegener und komiſcher, wie man das
namentlich in der „Floia“ ſieht, in welcher obendrein das Hoch-
deutſche und Niederdeutſche überaus bunt und luſtig neben- und
durcheinander wuchern. So hat die „Floia“ das Wort sternas
nicht etwa vom lateiniſchen sternere, ſondern vom deutſchen Stern,
stridunt nicht vom lateiniſchen stridere, ſondern vom niederdeutſchen
ſtriden, ſtreiten, und am Schluſſe: Nun is et uthe, nun is ’t ut,
nun iſt es aus. Das merkwürdigſte Beiſpiel hat aber wol der
berühmte Rabbi Jehuda (Arje di Modena, Leo Mutinensis, der Löwe
von Modena) als achtzehnjähriger Jüngling gegeben. J. C. Wagenſeil
theilt es S. 50 ſeiner „Sota1) mit, und neuerdings hat von der
Hagen in ſeiner am 18. Auguſt 1853 in der berliner Akademie der
Wiſſenſchaften „über die romantiſche und Volksliteratur der Juden
in jüdiſchdeutſcher Sprache“ gehaltenen Vorleſung wieder darauf
aufmerkſam gemacht, wobei er es mit Recht bezeichnet als „ein
poetiſches Kunſtſtück, wie es wol nur in dem Gehirne eines durch
den Talmud geſchulten Juden entſpringen konnte, aber auch den
Witz und Scharfſinn eines ſolchen ſattſam bekundet“. Rabbi Je-
huda machte auf den Tod ſeines Lehrers Rabbi Moſes Baſula
ein Trauergedicht in hebräiſcher und in italieniſcher Sprache, deſſen
Wortlaut in beiden Sprachen vollkommen gleich iſt und doch in
jeder der beiden Sprachen ein correctes beſonderes Verſtändniß
darbietet und in durchaus bündigem Zuſammenhange geleſen und
verſtanden werden kann. Freilich iſt dabei der Silbenabtheilung

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[85/0119] verkennen iſt, macht ſich dieſe Vertauſchung viel leichter, und der oft noch durch veränderte Wort- und Silbenabtheilung verſtärkte Contraſt beſteht meiſtens nur in der Abweichung des logiſchen Elements einer ſpeciellen romaniſchen Sprache von dem logiſchen Elemente der lateiniſchen Sprache. Jn der deutſchen maccaroni- ſchen Poeſie iſt bei der größern Entfremdung des germaniſchen von dem lateiniſchen Sprachſtoffe der Contraſt deſto greller und die Vertauſchung deſto verwegener und komiſcher, wie man das namentlich in der „Floia“ ſieht, in welcher obendrein das Hoch- deutſche und Niederdeutſche überaus bunt und luſtig neben- und durcheinander wuchern. So hat die „Floia“ das Wort sternas nicht etwa vom lateiniſchen sternere, ſondern vom deutſchen Stern, stridunt nicht vom lateiniſchen stridere, ſondern vom niederdeutſchen ſtriden, ſtreiten, und am Schluſſe: Nun is et uthe, nun is ’t ut, nun iſt es aus. Das merkwürdigſte Beiſpiel hat aber wol der berühmte Rabbi Jehuda (Arje di Modena, Leo Mutinensis, der Löwe von Modena) als achtzehnjähriger Jüngling gegeben. J. C. Wagenſeil theilt es S. 50 ſeiner „Sota“ 1) mit, und neuerdings hat von der Hagen in ſeiner am 18. Auguſt 1853 in der berliner Akademie der Wiſſenſchaften „über die romantiſche und Volksliteratur der Juden in jüdiſchdeutſcher Sprache“ gehaltenen Vorleſung wieder darauf aufmerkſam gemacht, wobei er es mit Recht bezeichnet als „ein poetiſches Kunſtſtück, wie es wol nur in dem Gehirne eines durch den Talmud geſchulten Juden entſpringen konnte, aber auch den Witz und Scharfſinn eines ſolchen ſattſam bekundet“. Rabbi Je- huda machte auf den Tod ſeines Lehrers Rabbi Moſes Baſula ein Trauergedicht in hebräiſcher und in italieniſcher Sprache, deſſen Wortlaut in beiden Sprachen vollkommen gleich iſt und doch in jeder der beiden Sprachen ein correctes beſonderes Verſtändniß darbietet und in durchaus bündigem Zuſammenhange geleſen und verſtanden werden kann. Freilich iſt dabei der Silbenabtheilung 1) Sota lib. Mischnicus de uxore adulterii suspecta, cum excerptis Gemarae (Altdorf 1674).

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/119>, abgerufen am 21.11.2024.