durch ihre bloße Erscheinung die geheiligte Natur und natürliche Sitte, noch ehe sie im Schein ehrbarer Verleugnung es unter- nahm, in dem so ruchlos wie schlecht copirten arkadischen Schäfer- leben die Natur zu einem Bordell unter freiem Himmel umzuwan- deln, in welchem die Liederlichkeit höchstens nur Schatten, aber kein verborgenes Versteck fand, um sich nun auch physisch zu ver- nichten und bei dem Ruin aller christlichen Sitte dazu auch die göttliche Offenbarung der Natur zu verhöhnen. Sie dramatisirte das entsetzliche Stück Culturgeschichte, welches mit dem himmel- schreienden jus primae noctis wie eine faust- und fehderechtliche Absage aller christlichen Zucht und Sitte und später mit den schmählichen Schäferorgien des "prächti[fremdsprachliches Material]" Lorenzo von Medici begann, zu einer furchtbaren Tragödie, deren Katastrophe in Frank- reich in den taumelnden Figuren des wiehernden Herzogs von Orleans, den roues, in der von der königlichen Hand Ludwig's XV. schmachvoll geschaffenen Scenerie des Hirschparks angezeigt und zu welcher die Revolution der letzte Act wurde. Diese vornehme Liederlichkeit wurde ihrer Herrschaft so sicher, daß sie es unter- nahm, die Laute der Natur und die Sprache der verführten Natur- kinder zu einem eigenen Jdiotikon der Liederlichkeit zu travestiren, in der Dörpersprache, Tölpelsprache, Bauernsprache1) die von ihr geschändete natürliche Sitte und ahnungslose Unwissenheit lächerlich zu machen und dem Spotte preiszugeben.
Der Ton der Tölpelsprache wurde zuerst in den zahlreichen Gedichten des Ritters Nithart (dessen Grab noch jetzt in der Ste- phanskirche zu Wien zu sehen ist, + vor 1246) angeschlagen. Nithart gefiel sich vorzüglich in seinen übrigens oft sehr treffend und lebendig geschilderten Darstellungen, das Bauernleben und die vermeinte Bauernhoffart lächerlich zu machen. Bauernstreiche, Bauernhändel, Bauernprügel sind ein Hauptthema seiner Poesien. Wennschon dabei die Darstellung oft an den Volkston streift, so
1) Unser heutiges Tölpel ist nur eine Umgestaltung von dem alten Dör- per, Dörfer, Dorfbewohner. Vilmar, "Geschichte der deutschen Nationallitera- tur, I, 287.
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durch ihre bloße Erſcheinung die geheiligte Natur und natürliche Sitte, noch ehe ſie im Schein ehrbarer Verleugnung es unter- nahm, in dem ſo ruchlos wie ſchlecht copirten arkadiſchen Schäfer- leben die Natur zu einem Bordell unter freiem Himmel umzuwan- deln, in welchem die Liederlichkeit höchſtens nur Schatten, aber kein verborgenes Verſteck fand, um ſich nun auch phyſiſch zu ver- nichten und bei dem Ruin aller chriſtlichen Sitte dazu auch die göttliche Offenbarung der Natur zu verhöhnen. Sie dramatiſirte das entſetzliche Stück Culturgeſchichte, welches mit dem himmel- ſchreienden jus primae noctis wie eine fauſt- und fehderechtliche Abſage aller chriſtlichen Zucht und Sitte und ſpäter mit den ſchmählichen Schäferorgien des „prächti[fremdsprachliches Material]“ Lorenzo von Medici begann, zu einer furchtbaren Tragödie, deren Kataſtrophe in Frank- reich in den taumelnden Figuren des wiehernden Herzogs von Orleans, den roués, in der von der königlichen Hand Ludwig’s XV. ſchmachvoll geſchaffenen Scenerie des Hirſchparks angezeigt und zu welcher die Revolution der letzte Act wurde. Dieſe vornehme Liederlichkeit wurde ihrer Herrſchaft ſo ſicher, daß ſie es unter- nahm, die Laute der Natur und die Sprache der verführten Natur- kinder zu einem eigenen Jdiotikon der Liederlichkeit zu traveſtiren, in der Dörperſprache, Tölpelſprache, Bauernſprache1) die von ihr geſchändete natürliche Sitte und ahnungsloſe Unwiſſenheit lächerlich zu machen und dem Spotte preiszugeben.
Der Ton der Tölpelſprache wurde zuerſt in den zahlreichen Gedichten des Ritters Nithart (deſſen Grab noch jetzt in der Ste- phanskirche zu Wien zu ſehen iſt, † vor 1246) angeſchlagen. Nithart gefiel ſich vorzüglich in ſeinen übrigens oft ſehr treffend und lebendig geſchilderten Darſtellungen, das Bauernleben und die vermeinte Bauernhoffart lächerlich zu machen. Bauernſtreiche, Bauernhändel, Bauernprügel ſind ein Hauptthema ſeiner Poeſien. Wennſchon dabei die Darſtellung oft an den Volkston ſtreift, ſo
1) Unſer heutiges Tölpel iſt nur eine Umgeſtaltung von dem alten Dör- per, Dörfer, Dorfbewohner. Vilmar, „Geſchichte der deutſchen Nationallitera- tur, I, 287.
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durch ihre bloße Erſcheinung die geheiligte Natur und natürliche
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leben die Natur zu einem Bordell unter freiem Himmel umzuwan-
deln, in welchem die Liederlichkeit höchſtens nur Schatten, aber
kein verborgenes Verſteck fand, um ſich nun auch phyſiſch zu ver-
nichten und bei dem Ruin aller chriſtlichen Sitte dazu auch die
göttliche Offenbarung der Natur zu verhöhnen. Sie dramatiſirte
das entſetzliche Stück Culturgeſchichte, welches mit dem himmel-
ſchreienden jus primae noctis wie eine fauſt- und fehderechtliche
Abſage aller chriſtlichen Zucht und Sitte und ſpäter mit den
ſchmählichen Schäferorgien des „prächti_ “ Lorenzo von Medici
begann, zu einer furchtbaren Tragödie, deren Kataſtrophe in Frank-
reich in den taumelnden Figuren des wiehernden Herzogs von
Orleans, den roués, in der von der königlichen Hand Ludwig’s XV.
ſchmachvoll geſchaffenen Scenerie des Hirſchparks angezeigt und
zu welcher die Revolution der letzte Act wurde. Dieſe vornehme
Liederlichkeit wurde ihrer Herrſchaft ſo ſicher, daß ſie es unter-
nahm, die Laute der Natur und die Sprache der verführten Natur-
kinder zu einem eigenen Jdiotikon der Liederlichkeit zu traveſtiren,
in der Dörperſprache, Tölpelſprache, Bauernſprache 1) die
von ihr geſchändete natürliche Sitte und ahnungsloſe Unwiſſenheit
lächerlich zu machen und dem Spotte preiszugeben.
Der Ton der Tölpelſprache wurde zuerſt in den zahlreichen
Gedichten des Ritters Nithart (deſſen Grab noch jetzt in der Ste-
phanskirche zu Wien zu ſehen iſt, † vor 1246) angeſchlagen.
Nithart gefiel ſich vorzüglich in ſeinen übrigens oft ſehr treffend
und lebendig geſchilderten Darſtellungen, das Bauernleben und die
vermeinte Bauernhoffart lächerlich zu machen. Bauernſtreiche,
Bauernhändel, Bauernprügel ſind ein Hauptthema ſeiner Poeſien.
Wennſchon dabei die Darſtellung oft an den Volkston ſtreift, ſo
1) Unſer heutiges Tölpel iſt nur eine Umgeſtaltung von dem alten Dör-
per, Dörfer, Dorfbewohner. Vilmar, „Geſchichte der deutſchen Nationallitera-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/133>, abgerufen am 21.11.2024.
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