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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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sprache findet, so überzeugt man sich bei genauerer Prüfung sehr
bald, daß diese Ausdrücke keine wahren Studentenausdrücke, son-
dern geradezu eine von leichtfertiger Ungerechtigkeit und Unkennt-
niß geschaffene müßige Bereicherung sind, welche man durchaus ab-
weisen muß. Jedenfalls verdient aber die Studentensprache in
linguistischer Hinsicht Aufmerksamkeit. Denn auch da, wo die
Ausdrücke historisch sich nachweisen lassen, kommen interessante
Sprachmischungen vor, welche namentlich in den Universitätsstädten
und deren Nähe auch in den Volksmund übergegangen sind.
Selbst das verschüchterte Judenthum wagte, wenn auch mit min-
derer Deutlichkeit, doch mit vielem Witz und Humor, außer den
mannichfachen, dem fahrenden Scholastenthum abgewonnenen Aus-
drücken, eine analoge jüdischdeutsche Studentensprache nachzuahmen,
von deren treffenden Bezeichnungen man oft genug lebhaft über-
rascht wird. Die geläufigsten haben Aufnahme im Wörterbuch
gefunden.



Siebenundzwanzigstes Kapitel.
b. Die Tölpelsprache.

Sobald infolge des gegen Ende des Mittelalters neuerwach-
ten Studiums der alten classischen Literatur in Deutschland die
Volkspoesie als heller, ermunternder Ruf zu einem freiern, lebens-
bewußten Streben selbst in die gedrückten untersten socialpolitischen
Schichten mit überraschend mächtiger Wirkung hineinklang, wagte
auch der ermuthigte gemeine und Bauersmann den Blick von sei-
ner bisherigen Welt, der Erdscholle, zu erheben und außer seinem
Herrn und Gebieter auch dem Treiben der Welt, wenngleich nicht
über seine beschränkte Horizontlinie hinaus, ins Angesicht zu
schauen und für sinnliche Genüsse empfänglicher und muthiger zu
werden. Von oben herab suchte auch wieder die in künstlichem
Treiben der Höfe, Burgen, Klöster und Städte ermattete Sinn-
lichkeit sich in der freien Natur zu erholen und entweihte schon

ſprache findet, ſo überzeugt man ſich bei genauerer Prüfung ſehr
bald, daß dieſe Ausdrücke keine wahren Studentenausdrücke, ſon-
dern geradezu eine von leichtfertiger Ungerechtigkeit und Unkennt-
niß geſchaffene müßige Bereicherung ſind, welche man durchaus ab-
weiſen muß. Jedenfalls verdient aber die Studentenſprache in
linguiſtiſcher Hinſicht Aufmerkſamkeit. Denn auch da, wo die
Ausdrücke hiſtoriſch ſich nachweiſen laſſen, kommen intereſſante
Sprachmiſchungen vor, welche namentlich in den Univerſitätsſtädten
und deren Nähe auch in den Volksmund übergegangen ſind.
Selbſt das verſchüchterte Judenthum wagte, wenn auch mit min-
derer Deutlichkeit, doch mit vielem Witz und Humor, außer den
mannichfachen, dem fahrenden Scholaſtenthum abgewonnenen Aus-
drücken, eine analoge jüdiſchdeutſche Studentenſprache nachzuahmen,
von deren treffenden Bezeichnungen man oft genug lebhaft über-
raſcht wird. Die geläufigſten haben Aufnahme im Wörterbuch
gefunden.



Siebenundzwanzigſtes Kapitel.
β. Die Tölpelſprache.

Sobald infolge des gegen Ende des Mittelalters neuerwach-
ten Studiums der alten claſſiſchen Literatur in Deutſchland die
Volkspoeſie als heller, ermunternder Ruf zu einem freiern, lebens-
bewußten Streben ſelbſt in die gedrückten unterſten ſocialpolitiſchen
Schichten mit überraſchend mächtiger Wirkung hineinklang, wagte
auch der ermuthigte gemeine und Bauersmann den Blick von ſei-
ner bisherigen Welt, der Erdſcholle, zu erheben und außer ſeinem
Herrn und Gebieter auch dem Treiben der Welt, wenngleich nicht
über ſeine beſchränkte Horizontlinie hinaus, ins Angeſicht zu
ſchauen und für ſinnliche Genüſſe empfänglicher und muthiger zu
werden. Von oben herab ſuchte auch wieder die in künſtlichem
Treiben der Höfe, Burgen, Klöſter und Städte ermattete Sinn-
lichkeit ſich in der freien Natur zu erholen und entweihte ſchon

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[98/0132] ſprache findet, ſo überzeugt man ſich bei genauerer Prüfung ſehr bald, daß dieſe Ausdrücke keine wahren Studentenausdrücke, ſon- dern geradezu eine von leichtfertiger Ungerechtigkeit und Unkennt- niß geſchaffene müßige Bereicherung ſind, welche man durchaus ab- weiſen muß. Jedenfalls verdient aber die Studentenſprache in linguiſtiſcher Hinſicht Aufmerkſamkeit. Denn auch da, wo die Ausdrücke hiſtoriſch ſich nachweiſen laſſen, kommen intereſſante Sprachmiſchungen vor, welche namentlich in den Univerſitätsſtädten und deren Nähe auch in den Volksmund übergegangen ſind. Selbſt das verſchüchterte Judenthum wagte, wenn auch mit min- derer Deutlichkeit, doch mit vielem Witz und Humor, außer den mannichfachen, dem fahrenden Scholaſtenthum abgewonnenen Aus- drücken, eine analoge jüdiſchdeutſche Studentenſprache nachzuahmen, von deren treffenden Bezeichnungen man oft genug lebhaft über- raſcht wird. Die geläufigſten haben Aufnahme im Wörterbuch gefunden. Siebenundzwanzigſtes Kapitel. β. Die Tölpelſprache. Sobald infolge des gegen Ende des Mittelalters neuerwach- ten Studiums der alten claſſiſchen Literatur in Deutſchland die Volkspoeſie als heller, ermunternder Ruf zu einem freiern, lebens- bewußten Streben ſelbſt in die gedrückten unterſten ſocialpolitiſchen Schichten mit überraſchend mächtiger Wirkung hineinklang, wagte auch der ermuthigte gemeine und Bauersmann den Blick von ſei- ner bisherigen Welt, der Erdſcholle, zu erheben und außer ſeinem Herrn und Gebieter auch dem Treiben der Welt, wenngleich nicht über ſeine beſchränkte Horizontlinie hinaus, ins Angeſicht zu ſchauen und für ſinnliche Genüſſe empfänglicher und muthiger zu werden. Von oben herab ſuchte auch wieder die in künſtlichem Treiben der Höfe, Burgen, Klöſter und Städte ermattete Sinn- lichkeit ſich in der freien Natur zu erholen und entweihte ſchon

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/132>, abgerufen am 24.11.2024.