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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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einheitliches Freiheitsgefühl zusammengeworbenen und ebenso wol
nur durch eine eiserne Zwangsgewalt zusammengehaltenen als
vom Volke gefürchteten und misachteten Soldatenthums. Erst
mit diesem culturhistorischen Proceß ist eigentlich das im vorigen
Jahrhundert noch immer vorhandene, nur verfärbte und im Wesen
weniger als durch eiserne Zucht äußerlich modificirte Landsknecht-
thum vollständig beseitigt worden.

Die Geschichte des Räuberthums, welches im Dreißigjährigen
Kriege seine höchste Blüte erreichte und erst Ende des ersten Viertels
dieses Jahrhunderts in dem anderthalbhundertjährigen Kampfe mit
der Polizei unterlag, läßt in ihrer Beziehung zur Geschichte des
Söldnerthums ein helles Licht auf jenen culturhistorischen Proceß
fallen. Die neuwieder Bande, die in Rudimenten immer weiter
nach Norden gedrängt und zerstückelt wurde, konnte ihre Ahnen
im Dreißigjährigen Kriege aufweisen. Jhre nächste Stammutter,
die mersener Bande, läßt sich am bestimmtesten mit ihrem Stamm-
baum zu diesem Kriege zurückführen, wo es nur Räuber und
Soldaten und nur Soldaten und Räuber gab. Die Gauner-
linguistik erreichte in diesem Kriege ihre classische Blüte, und das
Wörterbuch des Gauners Andreas Hempel (1687) ist mit dem
Waldheimer Lexikon (1722) seit dem Liber vagatorum das erste
selbständige Gaunerwörterbuch, in welchem höchst bezeichnend die
specifisch deutsche "Spitzbubensprache" in starker Läuterung vor das
Judendeutsch vortritt. Der Einfluß des Soldatenthums auf dies
überwiegende Hervortreten des deutschen Sprachelements in der
Gaunersprache aus der frühern schon vor und nach dem Liber vaga-
torum
stark mit Judendeutsch versetzten Gaunersprache ist unver-
kennbar. Die räuberischen Söldner des Dreißigjährigen Kriegs
stießen nicht nur die Juden von sich, sondern verfolgten sie auf
das erbittertste, wie denn Spanier und Wallonen des kaiser-
lichen Heeres 1620 bei Regensburg alle Reisende auf Wegen und
Stegen anhielten und an den nächsten besten Baum jeden henkten,
welcher kein Crucifix bei sich trug. Jn ihrem Uebermuthe schäm-
ten sich die Soldaten sogar, Verbrecher gemeinsam mit Juden zu
sein. Das hatte auf die Gaunersprache sehr bedeutenden Ein-

einheitliches Freiheitsgefühl zuſammengeworbenen und ebenſo wol
nur durch eine eiſerne Zwangsgewalt zuſammengehaltenen als
vom Volke gefürchteten und misachteten Soldatenthums. Erſt
mit dieſem culturhiſtoriſchen Proceß iſt eigentlich das im vorigen
Jahrhundert noch immer vorhandene, nur verfärbte und im Weſen
weniger als durch eiſerne Zucht äußerlich modificirte Landsknecht-
thum vollſtändig beſeitigt worden.

Die Geſchichte des Räuberthums, welches im Dreißigjährigen
Kriege ſeine höchſte Blüte erreichte und erſt Ende des erſten Viertels
dieſes Jahrhunderts in dem anderthalbhundertjährigen Kampfe mit
der Polizei unterlag, läßt in ihrer Beziehung zur Geſchichte des
Söldnerthums ein helles Licht auf jenen culturhiſtoriſchen Proceß
fallen. Die neuwieder Bande, die in Rudimenten immer weiter
nach Norden gedrängt und zerſtückelt wurde, konnte ihre Ahnen
im Dreißigjährigen Kriege aufweiſen. Jhre nächſte Stammutter,
die merſener Bande, läßt ſich am beſtimmteſten mit ihrem Stamm-
baum zu dieſem Kriege zurückführen, wo es nur Räuber und
Soldaten und nur Soldaten und Räuber gab. Die Gauner-
linguiſtik erreichte in dieſem Kriege ihre claſſiſche Blüte, und das
Wörterbuch des Gauners Andreas Hempel (1687) iſt mit dem
Waldheimer Lexikon (1722) ſeit dem Liber vagatorum das erſte
ſelbſtändige Gaunerwörterbuch, in welchem höchſt bezeichnend die
ſpecifiſch deutſche „Spitzbubenſprache“ in ſtarker Läuterung vor das
Judendeutſch vortritt. Der Einfluß des Soldatenthums auf dies
überwiegende Hervortreten des deutſchen Sprachelements in der
Gaunerſprache aus der frühern ſchon vor und nach dem Liber vaga-
torum
ſtark mit Judendeutſch verſetzten Gaunerſprache iſt unver-
kennbar. Die räuberiſchen Söldner des Dreißigjährigen Kriegs
ſtießen nicht nur die Juden von ſich, ſondern verfolgten ſie auf
das erbittertſte, wie denn Spanier und Wallonen des kaiſer-
lichen Heeres 1620 bei Regensburg alle Reiſende auf Wegen und
Stegen anhielten und an den nächſten beſten Baum jeden henkten,
welcher kein Crucifix bei ſich trug. Jn ihrem Uebermuthe ſchäm-
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[123/0157] einheitliches Freiheitsgefühl zuſammengeworbenen und ebenſo wol nur durch eine eiſerne Zwangsgewalt zuſammengehaltenen als vom Volke gefürchteten und misachteten Soldatenthums. Erſt mit dieſem culturhiſtoriſchen Proceß iſt eigentlich das im vorigen Jahrhundert noch immer vorhandene, nur verfärbte und im Weſen weniger als durch eiſerne Zucht äußerlich modificirte Landsknecht- thum vollſtändig beſeitigt worden. Die Geſchichte des Räuberthums, welches im Dreißigjährigen Kriege ſeine höchſte Blüte erreichte und erſt Ende des erſten Viertels dieſes Jahrhunderts in dem anderthalbhundertjährigen Kampfe mit der Polizei unterlag, läßt in ihrer Beziehung zur Geſchichte des Söldnerthums ein helles Licht auf jenen culturhiſtoriſchen Proceß fallen. Die neuwieder Bande, die in Rudimenten immer weiter nach Norden gedrängt und zerſtückelt wurde, konnte ihre Ahnen im Dreißigjährigen Kriege aufweiſen. Jhre nächſte Stammutter, die merſener Bande, läßt ſich am beſtimmteſten mit ihrem Stamm- baum zu dieſem Kriege zurückführen, wo es nur Räuber und Soldaten und nur Soldaten und Räuber gab. Die Gauner- linguiſtik erreichte in dieſem Kriege ihre claſſiſche Blüte, und das Wörterbuch des Gauners Andreas Hempel (1687) iſt mit dem Waldheimer Lexikon (1722) ſeit dem Liber vagatorum das erſte ſelbſtändige Gaunerwörterbuch, in welchem höchſt bezeichnend die ſpecifiſch deutſche „Spitzbubenſprache“ in ſtarker Läuterung vor das Judendeutſch vortritt. Der Einfluß des Soldatenthums auf dies überwiegende Hervortreten des deutſchen Sprachelements in der Gaunerſprache aus der frühern ſchon vor und nach dem Liber vaga- torum ſtark mit Judendeutſch verſetzten Gaunerſprache iſt unver- kennbar. Die räuberiſchen Söldner des Dreißigjährigen Kriegs ſtießen nicht nur die Juden von ſich, ſondern verfolgten ſie auf das erbittertſte, wie denn Spanier und Wallonen des kaiſer- lichen Heeres 1620 bei Regensburg alle Reiſende auf Wegen und Stegen anhielten und an den nächſten beſten Baum jeden henkten, welcher kein Crucifix bei ſich trug. Jn ihrem Uebermuthe ſchäm- ten ſich die Soldaten ſogar, Verbrecher gemeinſam mit Juden zu ſein. Das hatte auf die Gaunerſprache ſehr bedeutenden Ein-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/157>, abgerufen am 21.11.2024.