welcher der Wirth sich durch seine an alle Zimmerthüren geheftete Erklärung schon von vornherein ausdrücklich lossagt. Es darf keine sogenannten Hotelbesitzer, sondern nur wirkliche Wirthe geben, welche unter voller eigener persönlicher Haftung ihre Wirth- schaft selbst leiten und für das Eigenthum ihrer Gäste verant- wortlich gemacht werden. Von den mit großem Raffinement oft genug durch das Hauspersonal selbst in den Hotels verübten Gaunereien wird selten etwas im Publikum bekannt, da die Hotelbesitzer den Ruf ihres Hauses mit den größten Opfern auf- recht zu halten suchen müssen und deshalb dem Bestohlenen gern vollen Ersatz leisten, damit er nur schweigt.
Das Kellnerwesen ist seit der Einführung der Eisenbahnen ein Uebel geworden, das, wenn es auch zur Zeit nur wie ein heimlich zwischen Reisenden und Wirth glimmendes Feuer er- scheint, doch sehr bald zum verheerenden Brande zu werden droht, wenn nicht auch hier Abhülfe geschieht. Die Menge Reisemittel und Reisepunkte hat die Zahl der Kellner in das Massenhafte und zum Uebermaß gesteigert. Die alten soliden Kellnerschulen, welche manchen Städten, z. B. Frankfurt, Wien, Dresden u. s. w., einen günstigen Ruf erworben haben, treten bei der wüsten Con- currenz immermehr zurück und drohen ganz obsolet zu werden. Nicht mit bedachter und vorbereiteter Berufsbestimmung, sondern weil wegen Untüchtigkeit, Leichtsinn oder Vrrgehen der Weg zu einer andern Carriere versperrt ist, ziehen Scharen verdorbener Subjecte von einem Ort, von einem Hotel zum andern, um als Kellner kurze Zeit zu figuriren und dann fortgejagt zu werden. Das "Glück", welches einmal ein mit glimmender Cigarre und mit fein geschnittenem Rock in sein erstauntes Dorf zurückkehrender Bauerbursche gemacht hat, bewegt die Mehrzahl seiner Dorf- kameraden, überdies zum schweren Nachtheil für die landwirth- schaftliche Arbeit, in die Stadt zu gehen, um mit dem Haus- knecht und Kellner den Anfang zum großen Herrn zu machen, sodaß die Erscheinung schlichter ehrlicher Hausknechte ebenso rasch aus dem Leben schwindet, wie sie schon lange vom Theater ver- schwunden und zur einfältigen Mythe geworden ist. Die moderne
Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 9
welcher der Wirth ſich durch ſeine an alle Zimmerthüren geheftete Erklärung ſchon von vornherein ausdrücklich losſagt. Es darf keine ſogenannten Hotelbeſitzer, ſondern nur wirkliche Wirthe geben, welche unter voller eigener perſönlicher Haftung ihre Wirth- ſchaft ſelbſt leiten und für das Eigenthum ihrer Gäſte verant- wortlich gemacht werden. Von den mit großem Raffinement oft genug durch das Hausperſonal ſelbſt in den Hotels verübten Gaunereien wird ſelten etwas im Publikum bekannt, da die Hotelbeſitzer den Ruf ihres Hauſes mit den größten Opfern auf- recht zu halten ſuchen müſſen und deshalb dem Beſtohlenen gern vollen Erſatz leiſten, damit er nur ſchweigt.
Das Kellnerweſen iſt ſeit der Einführung der Eiſenbahnen ein Uebel geworden, das, wenn es auch zur Zeit nur wie ein heimlich zwiſchen Reiſenden und Wirth glimmendes Feuer er- ſcheint, doch ſehr bald zum verheerenden Brande zu werden droht, wenn nicht auch hier Abhülfe geſchieht. Die Menge Reiſemittel und Reiſepunkte hat die Zahl der Kellner in das Maſſenhafte und zum Uebermaß geſteigert. Die alten ſoliden Kellnerſchulen, welche manchen Städten, z. B. Frankfurt, Wien, Dresden u. ſ. w., einen günſtigen Ruf erworben haben, treten bei der wüſten Con- currenz immermehr zurück und drohen ganz obſolet zu werden. Nicht mit bedachter und vorbereiteter Berufsbeſtimmung, ſondern weil wegen Untüchtigkeit, Leichtſinn oder Vrrgehen der Weg zu einer andern Carrière verſperrt iſt, ziehen Scharen verdorbener Subjecte von einem Ort, von einem Hotel zum andern, um als Kellner kurze Zeit zu figuriren und dann fortgejagt zu werden. Das „Glück“, welches einmal ein mit glimmender Cigarre und mit fein geſchnittenem Rock in ſein erſtauntes Dorf zurückkehrender Bauerburſche gemacht hat, bewegt die Mehrzahl ſeiner Dorf- kameraden, überdies zum ſchweren Nachtheil für die landwirth- ſchaftliche Arbeit, in die Stadt zu gehen, um mit dem Haus- knecht und Kellner den Anfang zum großen Herrn zu machen, ſodaß die Erſcheinung ſchlichter ehrlicher Hausknechte ebenſo raſch aus dem Leben ſchwindet, wie ſie ſchon lange vom Theater ver- ſchwunden und zur einfältigen Mythe geworden iſt. Die moderne
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 9
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welcher der Wirth ſich durch ſeine an alle Zimmerthüren geheftete
Erklärung ſchon von vornherein ausdrücklich losſagt. Es darf
keine ſogenannten Hotelbeſitzer, ſondern nur wirkliche Wirthe
geben, welche unter voller eigener perſönlicher Haftung ihre Wirth-
ſchaft ſelbſt leiten und für das Eigenthum ihrer Gäſte verant-
wortlich gemacht werden. Von den mit großem Raffinement oft
genug durch das Hausperſonal ſelbſt in den Hotels verübten
Gaunereien wird ſelten etwas im Publikum bekannt, da die
Hotelbeſitzer den Ruf ihres Hauſes mit den größten Opfern auf-
recht zu halten ſuchen müſſen und deshalb dem Beſtohlenen gern
vollen Erſatz leiſten, damit er nur ſchweigt.
Das Kellnerweſen iſt ſeit der Einführung der Eiſenbahnen
ein Uebel geworden, das, wenn es auch zur Zeit nur wie ein
heimlich zwiſchen Reiſenden und Wirth glimmendes Feuer er-
ſcheint, doch ſehr bald zum verheerenden Brande zu werden droht,
wenn nicht auch hier Abhülfe geſchieht. Die Menge Reiſemittel
und Reiſepunkte hat die Zahl der Kellner in das Maſſenhafte
und zum Uebermaß geſteigert. Die alten ſoliden Kellnerſchulen,
welche manchen Städten, z. B. Frankfurt, Wien, Dresden u. ſ. w.,
einen günſtigen Ruf erworben haben, treten bei der wüſten Con-
currenz immermehr zurück und drohen ganz obſolet zu werden.
Nicht mit bedachter und vorbereiteter Berufsbeſtimmung, ſondern
weil wegen Untüchtigkeit, Leichtſinn oder Vrrgehen der Weg zu einer
andern Carrière verſperrt iſt, ziehen Scharen verdorbener Subjecte
von einem Ort, von einem Hotel zum andern, um als Kellner
kurze Zeit zu figuriren und dann fortgejagt zu werden. Das
„Glück“, welches einmal ein mit glimmender Cigarre und mit
fein geſchnittenem Rock in ſein erſtauntes Dorf zurückkehrender
Bauerburſche gemacht hat, bewegt die Mehrzahl ſeiner Dorf-
kameraden, überdies zum ſchweren Nachtheil für die landwirth-
ſchaftliche Arbeit, in die Stadt zu gehen, um mit dem Haus-
knecht und Kellner den Anfang zum großen Herrn zu machen,
ſodaß die Erſcheinung ſchlichter ehrlicher Hausknechte ebenſo raſch
aus dem Leben ſchwindet, wie ſie ſchon lange vom Theater ver-
ſchwunden und zur einfältigen Mythe geworden iſt. Die moderne
Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 9
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/163>, abgerufen am 21.11.2024.
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