Tieflingschule hat aber ihren geregelten Gang. Hat der dörfliche Novize das Flaschenspülen gelernt, so beginnt der Unterricht im Keller vor dem Weinoxhoft, wobei er begreifen lernt, daß aus einem und demselben Gefäße vier und mehr Sorten Wein von funfzehn Groschen bis zu zwei Thalern die Flasche abgezogen wer- den können, je nachdem man den Flaschenkopf in den rothen, gelben, grünen oder schwarzen Lacktopf taucht. Dann folgt die höhere Schule des Behandelns ("Schnitts") des Weins und der Biere im Keller, geheim und wunderbar wie die Mysterien der Ceres. Die Küche mit den Stoffen, welche sie schafft und genießbar macht, ist ein bewundernswürdiges zoologisches Cabinet und Adeptenlaboratorium. Dann lernt der Aspirant das Geld- wechselgeschäft, den Curs, die Agioberechnung fremden Metall- und Papiergeldes, den Verkauf schlechter Cigarren für gutes Geld, den Uhren- und Pretiosenhandel, die Besorgung von Commissionen aller Art, auch der kupplerischen, das Leihen auf Pfand, nament- lich an unberathene junge Leute, und als Zeichen höchsten Ver- trauens und hingebenden Wohlwollens den Verkauf obscöner colorirter französischer Bilder und Spielkarten mit den gemeinsten transparenten Zoten.
Wenn der Fremde im Gasthofe sich gänzlich in der Hand des Gasthofpersonals befindet, welches mit seinem Erwerb fast ausschließlich auf ihn angewiesen ist und die eigne Kenntniß der Verhältnisse und Lebensweise des Orts, der Unkenntniß des Frem- den gegenüber, bedeutend zu seinem Vortheile ausbeuten kann: so ist die Gefahr für den Fremden nur desto größer und ernst- licher, wenn er in die Hände von Personen gegeben ist, welche nicht nur die scholastische Tieflingscarriere durchgemacht und alle gewöhnlichen Kellnerkniffe kennen gelernt, sondern sogar auch schon wegen Betrug und Diebstahl Strafen erlitten haben. Es ist eine sehr schlechte Ueberraschung, wenn der Polizeimann in fremden Gasthöfen unter dem Dienstpersonale alte Bekanntschaften vom Verhörtisch her erneuern muß. 1)
1) Das mag wol manchem Polizeimann so gehen. Jch selbst habe ein- mal einen puer mollis als Stubenkellner und ein andermal eine infa nticida als
Tieflingſchule hat aber ihren geregelten Gang. Hat der dörfliche Novize das Flaſchenſpülen gelernt, ſo beginnt der Unterricht im Keller vor dem Weinoxhoft, wobei er begreifen lernt, daß aus einem und demſelben Gefäße vier und mehr Sorten Wein von funfzehn Groſchen bis zu zwei Thalern die Flaſche abgezogen wer- den können, je nachdem man den Flaſchenkopf in den rothen, gelben, grünen oder ſchwarzen Lacktopf taucht. Dann folgt die höhere Schule des Behandelns („Schnitts“) des Weins und der Biere im Keller, geheim und wunderbar wie die Myſterien der Ceres. Die Küche mit den Stoffen, welche ſie ſchafft und genießbar macht, iſt ein bewundernswürdiges zoologiſches Cabinet und Adeptenlaboratorium. Dann lernt der Aſpirant das Geld- wechſelgeſchäft, den Curs, die Agioberechnung fremden Metall- und Papiergeldes, den Verkauf ſchlechter Cigarren für gutes Geld, den Uhren- und Pretioſenhandel, die Beſorgung von Commiſſionen aller Art, auch der kuppleriſchen, das Leihen auf Pfand, nament- lich an unberathene junge Leute, und als Zeichen höchſten Ver- trauens und hingebenden Wohlwollens den Verkauf obſcöner colorirter franzöſiſcher Bilder und Spielkarten mit den gemeinſten transparenten Zoten.
Wenn der Fremde im Gaſthofe ſich gänzlich in der Hand des Gaſthofperſonals befindet, welches mit ſeinem Erwerb faſt ausſchließlich auf ihn angewieſen iſt und die eigne Kenntniß der Verhältniſſe und Lebensweiſe des Orts, der Unkenntniß des Frem- den gegenüber, bedeutend zu ſeinem Vortheile ausbeuten kann: ſo iſt die Gefahr für den Fremden nur deſto größer und ernſt- licher, wenn er in die Hände von Perſonen gegeben iſt, welche nicht nur die ſcholaſtiſche Tieflingscarrière durchgemacht und alle gewöhnlichen Kellnerkniffe kennen gelernt, ſondern ſogar auch ſchon wegen Betrug und Diebſtahl Strafen erlitten haben. Es iſt eine ſehr ſchlechte Ueberraſchung, wenn der Polizeimann in fremden Gaſthöfen unter dem Dienſtperſonale alte Bekanntſchaften vom Verhörtiſch her erneuern muß. 1)
1) Das mag wol manchem Polizeimann ſo gehen. Jch ſelbſt habe ein- mal einen puer mollis als Stubenkellner und ein andermal eine infa nticida als
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Tieflingſchule hat aber ihren geregelten Gang. Hat der dörfliche
Novize das Flaſchenſpülen gelernt, ſo beginnt der Unterricht im
Keller vor dem Weinoxhoft, wobei er begreifen lernt, daß aus
einem und demſelben Gefäße vier und mehr Sorten Wein von
funfzehn Groſchen bis zu zwei Thalern die Flaſche abgezogen wer-
den können, je nachdem man den Flaſchenkopf in den rothen,
gelben, grünen oder ſchwarzen Lacktopf taucht. Dann folgt die
höhere Schule des Behandelns („Schnitts“) des Weins und
der Biere im Keller, geheim und wunderbar wie die Myſterien
der Ceres. Die Küche mit den Stoffen, welche ſie ſchafft und
genießbar macht, iſt ein bewundernswürdiges zoologiſches Cabinet
und Adeptenlaboratorium. Dann lernt der Aſpirant das Geld-
wechſelgeſchäft, den Curs, die Agioberechnung fremden Metall-
und Papiergeldes, den Verkauf ſchlechter Cigarren für gutes Geld,
den Uhren- und Pretioſenhandel, die Beſorgung von Commiſſionen
aller Art, auch der kuppleriſchen, das Leihen auf Pfand, nament-
lich an unberathene junge Leute, und als Zeichen höchſten Ver-
trauens und hingebenden Wohlwollens den Verkauf obſcöner
colorirter franzöſiſcher Bilder und Spielkarten mit den gemeinſten
transparenten Zoten.
Wenn der Fremde im Gaſthofe ſich gänzlich in der Hand
des Gaſthofperſonals befindet, welches mit ſeinem Erwerb faſt
ausſchließlich auf ihn angewieſen iſt und die eigne Kenntniß der
Verhältniſſe und Lebensweiſe des Orts, der Unkenntniß des Frem-
den gegenüber, bedeutend zu ſeinem Vortheile ausbeuten kann:
ſo iſt die Gefahr für den Fremden nur deſto größer und ernſt-
licher, wenn er in die Hände von Perſonen gegeben iſt, welche
nicht nur die ſcholaſtiſche Tieflingscarrière durchgemacht und alle
gewöhnlichen Kellnerkniffe kennen gelernt, ſondern ſogar auch
ſchon wegen Betrug und Diebſtahl Strafen erlitten haben. Es
iſt eine ſehr ſchlechte Ueberraſchung, wenn der Polizeimann in
fremden Gaſthöfen unter dem Dienſtperſonale alte Bekanntſchaften
vom Verhörtiſch her erneuern muß. 1)
1) Das mag wol manchem Polizeimann ſo gehen. Jch ſelbſt habe ein-
mal einen puer mollis als Stubenkellner und ein andermal eine infa nticida als
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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