nicht erreicht werden kann und welche obendrein in ihrer wunder- lichen volksthümlichen phonetischen Belebung sehr merkwürdige und tief in die deutsche Volkssprache überhaupt eingedrungene Erscheinungen darbieten. Auch hier war Selig zu Grunde gelegt, aber auch hier galt es, sehr viele Fehler und Unrichtigkeiten zu verbessern und viele von Selig übersehene Abbreviaturen einzu- schalten, wie denn Selig unter anderm S. 112 und 113 seines Handbuchs die ganze Reihe von [fremdsprachliches Material] bis [fremdsprachliches Material] durchaus vergessen hat. Gleich hier bemerkt der Verfasser, daß er bei erläuternden Allegaten aus den heiligen Schriften soviel wie möglich die por- tugiesische Aussprache festzuhalten suchte. Die sehr verschiedenartige Aussprache der jüdischdeutschen Vocale bot aber große Schwierig- keiten, weil unter den in alle Theile Deutschlands zerstreuten Juden kein eigentlicher jüdischdeutscher Dialekt existirt, mithin von der Führerschaft eines bestimmten Dialekts in der Schriftsprache nicht die Rede sein kann. Die phonetische Modulation ist daher sehr bunt. So z. B. lesen manche das Pathach mit nachfolgendem Chatuph Pathach wie ai (etwas durch die Nase), andere wieder wie ana, den Vocal mit Metheg, das Chatuph als Schwa mobile mit a-Laut, also mit ganz kurzem a. Der Verfasser konnte sich daher weder ganz genau an die Aussprache des Prager noch an die des Selig'schen Wörterbuchs binden, obschon er die letztere im ersten und zweiten Theile dieses Werks vorzugsweise berücksichtigt hatte. Jhm blieb nichts anderes als der Volksmund, wie dieser im Handel und Wandel sich ihm offenbart hatte. Daher im Wörterbuche gewöhnlich nur die einfache Lesart im phonetischen Ausdruck.
Nur dann erst, als der massenhafte wüste Stoff in größere Abtheilungen gebracht, dann weiter gesondert, gesichtet, im einzel- nen zergliedert und culturhistorisch und grammatisch verglichen und erläutert war, konnte der Parasitenwuchs der Gaunersprache klar vor Augen gelegt und ihr behendes geheimnißvolles Hinein-
nicht erreicht werden kann und welche obendrein in ihrer wunder- lichen volksthümlichen phonetiſchen Belebung ſehr merkwürdige und tief in die deutſche Volksſprache überhaupt eingedrungene Erſcheinungen darbieten. Auch hier war Selig zu Grunde gelegt, aber auch hier galt es, ſehr viele Fehler und Unrichtigkeiten zu verbeſſern und viele von Selig überſehene Abbreviaturen einzu- ſchalten, wie denn Selig unter anderm S. 112 und 113 ſeines Handbuchs die ganze Reihe von [fremdsprachliches Material] bis [fremdsprachliches Material] durchaus vergeſſen hat. Gleich hier bemerkt der Verfaſſer, daß er bei erläuternden Allegaten aus den heiligen Schriften ſoviel wie möglich die por- tugieſiſche Ausſprache feſtzuhalten ſuchte. Die ſehr verſchiedenartige Ausſprache der jüdiſchdeutſchen Vocale bot aber große Schwierig- keiten, weil unter den in alle Theile Deutſchlands zerſtreuten Juden kein eigentlicher jüdiſchdeutſcher Dialekt exiſtirt, mithin von der Führerſchaft eines beſtimmten Dialekts in der Schriftſprache nicht die Rede ſein kann. Die phonetiſche Modulation iſt daher ſehr bunt. So z. B. leſen manche das Pathach mit nachfolgendem Chatuph Pathach wie ai (etwas durch die Naſe), andere wieder wie āă, den Vocal mit Metheg, das Chatuph als Schwa mobile mit a-Laut, alſo mit ganz kurzem a. Der Verfaſſer konnte ſich daher weder ganz genau an die Ausſprache des Prager noch an die des Selig’ſchen Wörterbuchs binden, obſchon er die letztere im erſten und zweiten Theile dieſes Werks vorzugsweiſe berückſichtigt hatte. Jhm blieb nichts anderes als der Volksmund, wie dieſer im Handel und Wandel ſich ihm offenbart hatte. Daher im Wörterbuche gewöhnlich nur die einfache Lesart im phonetiſchen Ausdruck.
Nur dann erſt, als der maſſenhafte wüſte Stoff in größere Abtheilungen gebracht, dann weiter geſondert, geſichtet, im einzel- nen zergliedert und culturhiſtoriſch und grammatiſch verglichen und erläutert war, konnte der Paraſitenwuchs der Gaunerſprache klar vor Augen gelegt und ihr behendes geheimnißvolles Hinein-
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[XVIII/0022]
nicht erreicht werden kann und welche obendrein in ihrer wunder-
lichen volksthümlichen phonetiſchen Belebung ſehr merkwürdige
und tief in die deutſche Volksſprache überhaupt eingedrungene
Erſcheinungen darbieten. Auch hier war Selig zu Grunde gelegt,
aber auch hier galt es, ſehr viele Fehler und Unrichtigkeiten zu
verbeſſern und viele von Selig überſehene Abbreviaturen einzu-
ſchalten, wie denn Selig unter anderm S. 112 und 113 ſeines
Handbuchs die ganze Reihe von _ bis _ durchaus vergeſſen
hat. Gleich hier bemerkt der Verfaſſer, daß er bei erläuternden
Allegaten aus den heiligen Schriften ſoviel wie möglich die por-
tugieſiſche Ausſprache feſtzuhalten ſuchte. Die ſehr verſchiedenartige
Ausſprache der jüdiſchdeutſchen Vocale bot aber große Schwierig-
keiten, weil unter den in alle Theile Deutſchlands zerſtreuten Juden
kein eigentlicher jüdiſchdeutſcher Dialekt exiſtirt, mithin von der
Führerſchaft eines beſtimmten Dialekts in der Schriftſprache nicht
die Rede ſein kann. Die phonetiſche Modulation iſt daher ſehr
bunt. So z. B. leſen manche das Pathach mit nachfolgendem
Chatuph Pathach wie ai (etwas durch die Naſe), andere wieder
wie āă, den Vocal mit Metheg, das Chatuph als Schwa mobile
mit a-Laut, alſo mit ganz kurzem a. Der Verfaſſer konnte ſich
daher weder ganz genau an die Ausſprache des Prager noch an
die des Selig’ſchen Wörterbuchs binden, obſchon er die letztere im
erſten und zweiten Theile dieſes Werks vorzugsweiſe berückſichtigt
hatte. Jhm blieb nichts anderes als der Volksmund, wie dieſer
im Handel und Wandel ſich ihm offenbart hatte. Daher im
Wörterbuche gewöhnlich nur die einfache Lesart im phonetiſchen
Ausdruck.
Nur dann erſt, als der maſſenhafte wüſte Stoff in größere
Abtheilungen gebracht, dann weiter geſondert, geſichtet, im einzel-
nen zergliedert und culturhiſtoriſch und grammatiſch verglichen
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/22>, abgerufen am 24.11.2024.
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