Boden beginnt, gibt aber der ganze Sprachbau des Judendeutsch, besonders des jüdischdeutschen Vocalismus und Diphthongismus, welcher, wie er auch heute noch in der deutschen Verkehrssprache der Juden ausgeprägt ist, weit entfernt, eine jüdische Eigenthüm- lichkeit zu sein, das volle Gepräge des Althochdeutschen und Alt- niederdeutschen an sich trägt und den bestimmten Beweis liefert, wie tief das Judenthum sogleich bei seinem ersten Erscheinen auf deut- schem Boden in Wesen und Sprache des deutschen Volkes einge- drungen ist und wie die wunderbare innere Zähigkeit und wie- derum die ebenso wunderbare Fügigkeit des Judenthums das auf deutschem Boden Erworbene beständig treu und zäh festgehalten hat, vielfach sogar treuer und zäher als das deutsche Volk selbst, sodaß man das in der Verkehrssprache des deutschen Volkes längst aufgegebene und vergessene Althochdeutsch und Altniederdeutsch mit überraschender Kundgebung im Jüdischdeutschen aufbewahrt findet. Auf der andern Seite ist die jüdischdeutsche Sprache wieder mit äußerster Gefügigkeit der deutschen historischen Sprachwandelung gefolgt, sodaß man ebenso viel Mittelhochdeutsches wie Neuhoch- deutsches im Judendeutsch deponirt findet und somit das Juden- deutsch eine große Zuverlässigkeit in Bewahrung der deutschen Sprachwandelungen aller Phasen besitzt, welche sehr überrascht und für die deutsche Sprachforschung von Wichtigkeit ist.
Vierundvierzigstes Kapitel. 2) Die allgemeine jüdischdeutsche Titeratur.
Es liegt in der eigenthümlichen Stellung des jüdischen Vol- kes in Deutschland und in der eigenthümlichen Natur der jüdisch- deutschen Volkssprache, daß von einer Literatur, d. h. von dem Jnbegriff der in Sprache und Schrift gegebenen Erzeugnisse des menschlichen Geistes, aus denen man vorzugsweise den Gang der geistigen Entwickelung erkennt, nicht füglich vor Erfindung der
Boden beginnt, gibt aber der ganze Sprachbau des Judendeutſch, beſonders des jüdiſchdeutſchen Vocalismus und Diphthongismus, welcher, wie er auch heute noch in der deutſchen Verkehrsſprache der Juden ausgeprägt iſt, weit entfernt, eine jüdiſche Eigenthüm- lichkeit zu ſein, das volle Gepräge des Althochdeutſchen und Alt- niederdeutſchen an ſich trägt und den beſtimmten Beweis liefert, wie tief das Judenthum ſogleich bei ſeinem erſten Erſcheinen auf deut- ſchem Boden in Weſen und Sprache des deutſchen Volkes einge- drungen iſt und wie die wunderbare innere Zähigkeit und wie- derum die ebenſo wunderbare Fügigkeit des Judenthums das auf deutſchem Boden Erworbene beſtändig treu und zäh feſtgehalten hat, vielfach ſogar treuer und zäher als das deutſche Volk ſelbſt, ſodaß man das in der Verkehrsſprache des deutſchen Volkes längſt aufgegebene und vergeſſene Althochdeutſch und Altniederdeutſch mit überraſchender Kundgebung im Jüdiſchdeutſchen aufbewahrt findet. Auf der andern Seite iſt die jüdiſchdeutſche Sprache wieder mit äußerſter Gefügigkeit der deutſchen hiſtoriſchen Sprachwandelung gefolgt, ſodaß man ebenſo viel Mittelhochdeutſches wie Neuhoch- deutſches im Judendeutſch deponirt findet und ſomit das Juden- deutſch eine große Zuverläſſigkeit in Bewahrung der deutſchen Sprachwandelungen aller Phaſen beſitzt, welche ſehr überraſcht und für die deutſche Sprachforſchung von Wichtigkeit iſt.
Vierundvierzigſtes Kapitel. 2) Die allgemeine jüdiſchdeutſche Titeratur.
Es liegt in der eigenthümlichen Stellung des jüdiſchen Vol- kes in Deutſchland und in der eigenthümlichen Natur der jüdiſch- deutſchen Volksſprache, daß von einer Literatur, d. h. von dem Jnbegriff der in Sprache und Schrift gegebenen Erzeugniſſe des menſchlichen Geiſtes, aus denen man vorzugsweiſe den Gang der geiſtigen Entwickelung erkennt, nicht füglich vor Erfindung der
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Boden beginnt, gibt aber der ganze Sprachbau des Judendeutſch,
beſonders des jüdiſchdeutſchen Vocalismus und Diphthongismus,
welcher, wie er auch heute noch in der deutſchen Verkehrsſprache
der Juden ausgeprägt iſt, weit entfernt, eine jüdiſche Eigenthüm-
lichkeit zu ſein, das volle Gepräge des Althochdeutſchen und Alt-
niederdeutſchen an ſich trägt und den beſtimmten Beweis liefert, wie
tief das Judenthum ſogleich bei ſeinem erſten Erſcheinen auf deut-
ſchem Boden in Weſen und Sprache des deutſchen Volkes einge-
drungen iſt und wie die wunderbare innere Zähigkeit und wie-
derum die ebenſo wunderbare Fügigkeit des Judenthums das auf
deutſchem Boden Erworbene beſtändig treu und zäh feſtgehalten
hat, vielfach ſogar treuer und zäher als das deutſche Volk ſelbſt,
ſodaß man das in der Verkehrsſprache des deutſchen Volkes längſt
aufgegebene und vergeſſene Althochdeutſch und Altniederdeutſch mit
überraſchender Kundgebung im Jüdiſchdeutſchen aufbewahrt findet.
Auf der andern Seite iſt die jüdiſchdeutſche Sprache wieder mit
äußerſter Gefügigkeit der deutſchen hiſtoriſchen Sprachwandelung
gefolgt, ſodaß man ebenſo viel Mittelhochdeutſches wie Neuhoch-
deutſches im Judendeutſch deponirt findet und ſomit das Juden-
deutſch eine große Zuverläſſigkeit in Bewahrung der deutſchen
Sprachwandelungen aller Phaſen beſitzt, welche ſehr überraſcht
und für die deutſche Sprachforſchung von Wichtigkeit iſt.
Vierundvierzigſtes Kapitel.
2) Die allgemeine jüdiſchdeutſche Titeratur.
Es liegt in der eigenthümlichen Stellung des jüdiſchen Vol-
kes in Deutſchland und in der eigenthümlichen Natur der jüdiſch-
deutſchen Volksſprache, daß von einer Literatur, d. h. von dem
Jnbegriff der in Sprache und Schrift gegebenen Erzeugniſſe des
menſchlichen Geiſtes, aus denen man vorzugsweiſe den Gang der
geiſtigen Entwickelung erkennt, nicht füglich vor Erfindung der
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/241>, abgerufen am 21.11.2024.
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