getrocknet sind. Trotz dieser Verkümmerung, welcher besonders die Consonanten anheimgefallen sind, haben sie doch, zumal die Vocale, ein eigenthümliches Leben und deuten auf eine wol geahnte, jedoch immer noch nicht klar gewordene Verwandt- schaft des indogermanischen Sprachstamms mit dem semiti- schen, welche bei der Betrachtung namentlich des beiderseiti- gen Vocalismus sich wol kaum ableugnen läßt. Bei aller Kümmerlichkeit des ganzen Buchstabenvorraths und bei der ge- waltsamen bunten Zusammenschiebung des ganzen Sprachstoffs bewegt sich dennoch die jüdischdeutsche Sprace mit einer der äu- ßern Form nach kaum zu vermuthenden Beweglichkeit und Lebendig- keit, sodaß sie in dieser Eigenthümlichkeit einen beträchtlichen Vor- rath von Wörtern und Redensarten so nachhaltig und tief in die deutsche Volkssprache selbst hat hineintragen können, daß durch die Frühzeitigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Hingabe und Aufnahme vielfach die Spuren des exotischen Ursprungs verwischt und dafür der Schein volksdeutscher Originalität gewonnen wurde. Diese Rücksicht ist für die Analyse deutscher Wortwurzeln und über- haupt für die Sprachvergleichung von erheblicher Wichtigkeit und macht die nähere Erforschung der jüdischdeutschen Sprache mit ihrer ganz daniederliegenden Grammatik trotz ihrer bis zur Wüst- heit reichenden Verwilderung zu einem interessanten Gegenstande, dessen weitere und genauere Cultivirung recht dringend zu wün- schen steht.
Um einen klaren Ueberblick über die eigenthümliche Wand- lung der hebräischen Buchstaben bei ihrem Uebergange in die jüdischdeutsche Sprache zu gewinnen, scheint es zunächst geeignet, die Classification der hebräischen Consonanten mit der Einthei-
getrocknet ſind. Trotz dieſer Verkümmerung, welcher beſonders die Conſonanten anheimgefallen ſind, haben ſie doch, zumal die Vocale, ein eigenthümliches Leben und deuten auf eine wol geahnte, jedoch immer noch nicht klar gewordene Verwandt- ſchaft des indogermaniſchen Sprachſtamms mit dem ſemiti- ſchen, welche bei der Betrachtung namentlich des beiderſeiti- gen Vocalismus ſich wol kaum ableugnen läßt. Bei aller Kümmerlichkeit des ganzen Buchſtabenvorraths und bei der ge- waltſamen bunten Zuſammenſchiebung des ganzen Sprachſtoffs bewegt ſich dennoch die jüdiſchdeutſche Sprace mit einer der äu- ßern Form nach kaum zu vermuthenden Beweglichkeit und Lebendig- keit, ſodaß ſie in dieſer Eigenthümlichkeit einen beträchtlichen Vor- rath von Wörtern und Redensarten ſo nachhaltig und tief in die deutſche Volksſprache ſelbſt hat hineintragen können, daß durch die Frühzeitigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Hingabe und Aufnahme vielfach die Spuren des exotiſchen Urſprungs verwiſcht und dafür der Schein volksdeutſcher Originalität gewonnen wurde. Dieſe Rückſicht iſt für die Analyſe deutſcher Wortwurzeln und über- haupt für die Sprachvergleichung von erheblicher Wichtigkeit und macht die nähere Erforſchung der jüdiſchdeutſchen Sprache mit ihrer ganz daniederliegenden Grammatik trotz ihrer bis zur Wüſt- heit reichenden Verwilderung zu einem intereſſanten Gegenſtande, deſſen weitere und genauere Cultivirung recht dringend zu wün- ſchen ſteht.
Um einen klaren Ueberblick über die eigenthümliche Wand- lung der hebräiſchen Buchſtaben bei ihrem Uebergange in die jüdiſchdeutſche Sprache zu gewinnen, ſcheint es zunächſt geeignet, die Claſſification der hebräiſchen Conſonanten mit der Einthei-
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getrocknet ſind. Trotz dieſer Verkümmerung, welcher beſonders
die Conſonanten anheimgefallen ſind, haben ſie doch, zumal
die Vocale, ein eigenthümliches Leben und deuten auf eine wol
geahnte, jedoch immer noch nicht klar gewordene Verwandt-
ſchaft des indogermaniſchen Sprachſtamms mit dem ſemiti-
ſchen, welche bei der Betrachtung namentlich des beiderſeiti-
gen Vocalismus ſich wol kaum ableugnen läßt. Bei aller
Kümmerlichkeit des ganzen Buchſtabenvorraths und bei der ge-
waltſamen bunten Zuſammenſchiebung des ganzen Sprachſtoffs
bewegt ſich dennoch die jüdiſchdeutſche Sprace mit einer der äu-
ßern Form nach kaum zu vermuthenden Beweglichkeit und Lebendig-
keit, ſodaß ſie in dieſer Eigenthümlichkeit einen beträchtlichen Vor-
rath von Wörtern und Redensarten ſo nachhaltig und tief in die
deutſche Volksſprache ſelbſt hat hineintragen können, daß durch
die Frühzeitigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Hingabe und Aufnahme
vielfach die Spuren des exotiſchen Urſprungs verwiſcht und dafür
der Schein volksdeutſcher Originalität gewonnen wurde. Dieſe
Rückſicht iſt für die Analyſe deutſcher Wortwurzeln und über-
haupt für die Sprachvergleichung von erheblicher Wichtigkeit und
macht die nähere Erforſchung der jüdiſchdeutſchen Sprache mit
ihrer ganz daniederliegenden Grammatik trotz ihrer bis zur Wüſt-
heit reichenden Verwilderung zu einem intereſſanten Gegenſtande,
deſſen weitere und genauere Cultivirung recht dringend zu wün-
ſchen ſteht.
Fünfundfunfzigſtes Kapitel.
β. Conſonantismus.
_ . Allgemeine Ueberſicht.
Um einen klaren Ueberblick über die eigenthümliche Wand-
lung der hebräiſchen Buchſtaben bei ihrem Uebergange in die
jüdiſchdeutſche Sprache zu gewinnen, ſcheint es zunächſt geeignet,
die Claſſification der hebräiſchen Conſonanten mit der Einthei-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/299>, abgerufen am 24.11.2024.
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