Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

tewos, Wortköpfe, Wortanfänge, in der That ein eigenes Studium
erfordert. Ursprünglich wurden nur solche Wörter abbrevirt, welche
Gegenstände des religiösen und täglichen Lebens betrafen, mithin
so allgemein kenntlich waren, daß es nur einer flüchtigen Andeu-
tung des Anfangsbuchstabens bedurfte, um sogleich die volle rich-
tige Erkenntniß des abbrevirten Worts herbeizuführen. Doch
arteten die Abbreviaturen zuletzt in leere Willkür aus und ge-
diehen zu einer wirklichen Künstelei, zu deren Verständniß genaue
Sprachkenntniß und Scharfsinn gehört, welcher noch dazu häufig
genug sich auf ein kühnes Rathen legen muß, besonders da eine
und dieselbe Abbreviatur oft sehr viele ganz verschiedene Bedeu-
tungen hat. Es gibt im Hebräischen weit über 7000 solcher Ab-
breviaturen, von denen nicht nur die Mehrzahl in die jüdisch-
deutsche Sprache mit übergegangen ist, sondern zu denen sich auch
noch gemischte deutsche und hebräische Abbreviaturen in der bun-
testen, kaum zu enträthselnden Weise gesellt haben. So bedeutet
z. B. die Abbreviatur [fremdsprachliches Material] geränderte (unbeschnittene) Dukaten,
nämlich [fremdsprachliches Material], Dukaten, und [fremdsprachliches Material], gerändert. Andere Abbre-
viaturen beschränken sich lediglich auf deutsche Wörter, z. B. [fremdsprachliches Material],
polnischer Groschen; [fremdsprachliches Material], böhmischer Groschen; [fremdsprachliches Material], Reichs-Tha-
ler, wobei der häufige Gebrauch diese Abbreviaturen nicht selten
zu selbständigen, phonetisch belebten Wörtern ausgebildet hat. So
wird [fremdsprachliches Material] (oder [fremdsprachliches Material]) auch ohne Abbreviationszeichen geschrieben,
wie wenn es [fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material] (oder [fremdsprachliches Material]), Pag, Pach (Bag,
Bach)
wäre, und hat überhaupt die Bedeutung Groschen. Ebenso
[fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material], Reichsthaler, Thaler. Vielfach wird auch der
Laut des bloßen Anfangsbuchstaben nach seiner hebräischen Be-
nennung zum deutschen Begriffswort erhoben, z. B.: [fremdsprachliches Material], Schin,
Schließer; [fremdsprachliches Material], Schindollet, Schandarm (Gensdarm). Dazu
entstehen die wunderlichsten Composita, z. B.: [fremdsprachliches Material], Schinaggel,
vom deutschen Schub und dem hebräischen [fremdsprachliches Material], agoloh, Wagen,
Karren, also Schubkarren; davon schienaggeln, auf der
Festung als Sträfling karren. Dabei muß man sich aber auch in
anderer Hinsicht oft hüten, mehrere Buchstaben hintereinander,
deren Composition unklar scheint, für Abbreviaturen anzusehen.

tewos, Wortköpfe, Wortanfänge, in der That ein eigenes Studium
erfordert. Urſprünglich wurden nur ſolche Wörter abbrevirt, welche
Gegenſtände des religiöſen und täglichen Lebens betrafen, mithin
ſo allgemein kenntlich waren, daß es nur einer flüchtigen Andeu-
tung des Anfangsbuchſtabens bedurfte, um ſogleich die volle rich-
tige Erkenntniß des abbrevirten Worts herbeizuführen. Doch
arteten die Abbreviaturen zuletzt in leere Willkür aus und ge-
diehen zu einer wirklichen Künſtelei, zu deren Verſtändniß genaue
Sprachkenntniß und Scharfſinn gehört, welcher noch dazu häufig
genug ſich auf ein kühnes Rathen legen muß, beſonders da eine
und dieſelbe Abbreviatur oft ſehr viele ganz verſchiedene Bedeu-
tungen hat. Es gibt im Hebräiſchen weit über 7000 ſolcher Ab-
breviaturen, von denen nicht nur die Mehrzahl in die jüdiſch-
deutſche Sprache mit übergegangen iſt, ſondern zu denen ſich auch
noch gemiſchte deutſche und hebräiſche Abbreviaturen in der bun-
teſten, kaum zu enträthſelnden Weiſe geſellt haben. So bedeutet
z. B. die Abbreviatur [fremdsprachliches Material] geränderte (unbeſchnittene) Dukaten,
nämlich [fremdsprachliches Material], Dukaten, und [fremdsprachliches Material], gerändert. Andere Abbre-
viaturen beſchränken ſich lediglich auf deutſche Wörter, z. B. [fremdsprachliches Material],
polniſcher Groſchen; [fremdsprachliches Material], böhmiſcher Groſchen; [fremdsprachliches Material], Reichs-Tha-
ler, wobei der häufige Gebrauch dieſe Abbreviaturen nicht ſelten
zu ſelbſtändigen, phonetiſch belebten Wörtern ausgebildet hat. So
wird [fremdsprachliches Material] (oder [fremdsprachliches Material]) auch ohne Abbreviationszeichen geſchrieben,
wie wenn es [fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material] (oder [fremdsprachliches Material]), Pag, Pach (Bag,
Bach)
wäre, und hat überhaupt die Bedeutung Groſchen. Ebenſo
[fremdsprachliches Material] oder [fremdsprachliches Material], Reichsthaler, Thaler. Vielfach wird auch der
Laut des bloßen Anfangsbuchſtaben nach ſeiner hebräiſchen Be-
nennung zum deutſchen Begriffswort erhoben, z. B.: [fremdsprachliches Material], Schin,
Schließer; [fremdsprachliches Material], Schindollet, Schandarm (Gensdarm). Dazu
entſtehen die wunderlichſten Compoſita, z. B.: [fremdsprachliches Material], Schinaggel,
vom deutſchen Schub und dem hebräiſchen [fremdsprachliches Material], agoloh, Wagen,
Karren, alſo Schubkarren; davon ſchienaggeln, auf der
Feſtung als Sträfling karren. Dabei muß man ſich aber auch in
anderer Hinſicht oft hüten, mehrere Buchſtaben hintereinander,
deren Compoſition unklar ſcheint, für Abbreviaturen anzuſehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0360" n="326"/><hi rendition="#aq">tewos,</hi> Wortköpfe, Wortanfänge, in der That ein eigenes Studium<lb/>
erfordert. Ur&#x017F;prünglich wurden nur &#x017F;olche Wörter abbrevirt, welche<lb/>
Gegen&#x017F;tände des religiö&#x017F;en und täglichen Lebens betrafen, mithin<lb/>
&#x017F;o allgemein kenntlich waren, daß es nur einer flüchtigen Andeu-<lb/>
tung des Anfangsbuch&#x017F;tabens bedurfte, um &#x017F;ogleich die volle rich-<lb/>
tige Erkenntniß des abbrevirten Worts herbeizuführen. Doch<lb/>
arteten die Abbreviaturen zuletzt in leere Willkür aus und ge-<lb/>
diehen zu einer wirklichen Kün&#x017F;telei, zu deren Ver&#x017F;tändniß genaue<lb/>
Sprachkenntniß und Scharf&#x017F;inn gehört, welcher noch dazu häufig<lb/>
genug &#x017F;ich auf ein kühnes Rathen legen muß, be&#x017F;onders da eine<lb/>
und die&#x017F;elbe Abbreviatur oft &#x017F;ehr viele ganz ver&#x017F;chiedene Bedeu-<lb/>
tungen hat. Es gibt im Hebräi&#x017F;chen weit über 7000 &#x017F;olcher Ab-<lb/>
breviaturen, von denen nicht nur die Mehrzahl in die jüdi&#x017F;ch-<lb/>
deut&#x017F;che Sprache mit übergegangen i&#x017F;t, &#x017F;ondern zu denen &#x017F;ich auch<lb/>
noch gemi&#x017F;chte deut&#x017F;che und hebräi&#x017F;che Abbreviaturen in der bun-<lb/>
te&#x017F;ten, kaum zu enträth&#x017F;elnden Wei&#x017F;e ge&#x017F;ellt haben. So bedeutet<lb/>
z. B. die Abbreviatur <gap reason="fm"/> geränderte (unbe&#x017F;chnittene) Dukaten,<lb/>
nämlich <gap reason="fm"/>, Dukaten, und <gap reason="fm"/>, gerändert. Andere Abbre-<lb/>
viaturen be&#x017F;chränken &#x017F;ich lediglich auf deut&#x017F;che Wörter, z. B. <gap reason="fm"/>,<lb/>
polni&#x017F;cher Gro&#x017F;chen; <gap reason="fm"/>, böhmi&#x017F;cher Gro&#x017F;chen; <gap reason="fm"/>, Reichs-Tha-<lb/>
ler, wobei der häufige Gebrauch die&#x017F;e Abbreviaturen nicht &#x017F;elten<lb/>
zu &#x017F;elb&#x017F;tändigen, phoneti&#x017F;ch belebten Wörtern ausgebildet hat. So<lb/>
wird <gap reason="fm"/> (oder <gap reason="fm"/>) auch ohne Abbreviationszeichen ge&#x017F;chrieben,<lb/>
wie wenn es <gap reason="fm"/> oder <gap reason="fm"/> (oder <gap reason="fm"/>), <hi rendition="#g">Pag, Pach (Bag,<lb/>
Bach)</hi> wäre, und hat überhaupt die Bedeutung <hi rendition="#g">Gro&#x017F;chen.</hi> Eben&#x017F;o<lb/><gap reason="fm"/> oder <gap reason="fm"/>, Reichsthaler, Thaler. Vielfach wird auch der<lb/>
Laut des bloßen Anfangsbuch&#x017F;taben nach &#x017F;einer hebräi&#x017F;chen Be-<lb/>
nennung zum deut&#x017F;chen Begriffswort erhoben, z. B.: <gap reason="fm"/>, <hi rendition="#g">Schin,</hi><lb/><hi rendition="#b">Sch</hi>ließer; <gap reason="fm"/>, <hi rendition="#g">Schindollet,</hi> <hi rendition="#b">Sch</hi>an<hi rendition="#b">d</hi>arm (Gensdarm). Dazu<lb/>
ent&#x017F;tehen die wunderlich&#x017F;ten Compo&#x017F;ita, z. B.: <gap reason="fm"/>, <hi rendition="#b">Sch</hi>in<hi rendition="#b">a</hi>ggel,<lb/>
vom deut&#x017F;chen <hi rendition="#b">Sch</hi>ub und dem hebräi&#x017F;chen <gap reason="fm"/>, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">a</hi>goloh,</hi> Wagen,<lb/>
Karren, al&#x017F;o <hi rendition="#g">Schubkarren;</hi> davon <hi rendition="#g">&#x017F;chienaggeln,</hi> auf der<lb/>
Fe&#x017F;tung als Sträfling karren. Dabei muß man &#x017F;ich aber auch in<lb/>
anderer Hin&#x017F;icht oft hüten, mehrere Buch&#x017F;taben hintereinander,<lb/>
deren Compo&#x017F;ition unklar &#x017F;cheint, für Abbreviaturen anzu&#x017F;ehen.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0360] tewos, Wortköpfe, Wortanfänge, in der That ein eigenes Studium erfordert. Urſprünglich wurden nur ſolche Wörter abbrevirt, welche Gegenſtände des religiöſen und täglichen Lebens betrafen, mithin ſo allgemein kenntlich waren, daß es nur einer flüchtigen Andeu- tung des Anfangsbuchſtabens bedurfte, um ſogleich die volle rich- tige Erkenntniß des abbrevirten Worts herbeizuführen. Doch arteten die Abbreviaturen zuletzt in leere Willkür aus und ge- diehen zu einer wirklichen Künſtelei, zu deren Verſtändniß genaue Sprachkenntniß und Scharfſinn gehört, welcher noch dazu häufig genug ſich auf ein kühnes Rathen legen muß, beſonders da eine und dieſelbe Abbreviatur oft ſehr viele ganz verſchiedene Bedeu- tungen hat. Es gibt im Hebräiſchen weit über 7000 ſolcher Ab- breviaturen, von denen nicht nur die Mehrzahl in die jüdiſch- deutſche Sprache mit übergegangen iſt, ſondern zu denen ſich auch noch gemiſchte deutſche und hebräiſche Abbreviaturen in der bun- teſten, kaum zu enträthſelnden Weiſe geſellt haben. So bedeutet z. B. die Abbreviatur _ geränderte (unbeſchnittene) Dukaten, nämlich _ , Dukaten, und _ , gerändert. Andere Abbre- viaturen beſchränken ſich lediglich auf deutſche Wörter, z. B. _ , polniſcher Groſchen; _ , böhmiſcher Groſchen; _ , Reichs-Tha- ler, wobei der häufige Gebrauch dieſe Abbreviaturen nicht ſelten zu ſelbſtändigen, phonetiſch belebten Wörtern ausgebildet hat. So wird _ (oder _ ) auch ohne Abbreviationszeichen geſchrieben, wie wenn es _ oder _ (oder _ ), Pag, Pach (Bag, Bach) wäre, und hat überhaupt die Bedeutung Groſchen. Ebenſo _ oder _ , Reichsthaler, Thaler. Vielfach wird auch der Laut des bloßen Anfangsbuchſtaben nach ſeiner hebräiſchen Be- nennung zum deutſchen Begriffswort erhoben, z. B.: _ , Schin, Schließer; _ , Schindollet, Schandarm (Gensdarm). Dazu entſtehen die wunderlichſten Compoſita, z. B.: _ , Schinaggel, vom deutſchen Schub und dem hebräiſchen _ , agoloh, Wagen, Karren, alſo Schubkarren; davon ſchienaggeln, auf der Feſtung als Sträfling karren. Dabei muß man ſich aber auch in anderer Hinſicht oft hüten, mehrere Buchſtaben hintereinander, deren Compoſition unklar ſcheint, für Abbreviaturen anzuſehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/360
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/360>, abgerufen am 22.11.2024.