Denn häufig werden allzu bekannte Wörter absichtlich mit der vol- len Buchstabenlautbezeichnung ausgesprochen, um ihre Bedeutung zu verstecken, z. B.: Schinpelommet für [fremdsprachliches Material], schofel, schlecht; Lommetaleph für [fremdsprachliches Material], lo, lau, nicht. Bei dieser ungemeinen Vieldeutigkeit der Abbreviaturen hat denn der Scharfsinn, Witz und Humor des jüdischen Volkes gerade in den Abbreviaturen eine sehr reiche Gelegenheit gefunden, in häufig überraschender, ja blendender Weise zu glänzen. Dieses reiche und dankbare Gebiet hat nun aber auch das Gaunerthum mit dem vollsten Uebermuth und mit bodenloser Frivolität ausgebeutet, sodaß man hier vor- züglich den Schlüssel zu der verwegenen, tollkühnen Exegetik der Gaunersprache findet. Gerade auf diesem mit dem unerhörtesten Sprachmaterial gesättigten Sprachboden wuchert das Gaunerthum mit so absoluter Unbändigkeit, daß es aller Regel spottet, daß nur in einem Wörterbuche diese tollen Kunstausdrücke als statuirte Terminologien aufgeführt werden können und daß man oft genug über sich selbst lächeln muß, wenn man plötzlich eine heillos ver- wegene Frivolität findet, wo man lange mit gelehrtem Apparat und ernster Forschung nach einer versteckten Wortwurzel suchte.
Das Abbreviationszeichen besteht in einem einzelnen oder in einem doppelten Strich links oberhalb des durch seinen bloßen Anfangsbuchstaben angedeuteten Worts 1), z. B.: [fremdsprachliches Material], [fremdsprachliches Material]. Alle abbrevirten Buchstaben werden in Schrift und Druck etwas isolirt und augenfällig gestellt, damit sie sogleich als Ab- breviatur hervorstechen. Stehen mehrere Abbreviaturen nebenein- ander, so bekommt gewöhnlich der Anfangsbuchstabe des vorletzten Worts das Zeichen, z. B.: [fremdsprachliches Material], kol bne beisso, alle die Sei- nigen, wobei der letzte Buchstabe etwas links davon und isolirt gestellt wird, z. B.: [fremdsprachliches Material], ko diwre owicho, so sind die Worte deines Vaters; [fremdsprachliches Material], ken assiras awdecho, also ist das Gebet deines Knechtes. Gehören zwei Buchstaben zu einem einzigen
1) Jn manchen Manuscripten findet man den Buchstaben des abbrevirten Worts oder die ganze Buchstabengruppe oberhalb mit einem horizontalen Strich versehen, wie eine Raphe, z. B. [fremdsprachliches Material] u. s. w. Vgl. Nr. 23 in den Proben aus der jüdischdeutschen Literatur.
Denn häufig werden allzu bekannte Wörter abſichtlich mit der vol- len Buchſtabenlautbezeichnung ausgeſprochen, um ihre Bedeutung zu verſtecken, z. B.: Schinpelommet für [fremdsprachliches Material], schofel, ſchlecht; Lommetaleph für [fremdsprachliches Material], lo, lau, nicht. Bei dieſer ungemeinen Vieldeutigkeit der Abbreviaturen hat denn der Scharfſinn, Witz und Humor des jüdiſchen Volkes gerade in den Abbreviaturen eine ſehr reiche Gelegenheit gefunden, in häufig überraſchender, ja blendender Weiſe zu glänzen. Dieſes reiche und dankbare Gebiet hat nun aber auch das Gaunerthum mit dem vollſten Uebermuth und mit bodenloſer Frivolität ausgebeutet, ſodaß man hier vor- züglich den Schlüſſel zu der verwegenen, tollkühnen Exegetik der Gaunerſprache findet. Gerade auf dieſem mit dem unerhörteſten Sprachmaterial geſättigten Sprachboden wuchert das Gaunerthum mit ſo abſoluter Unbändigkeit, daß es aller Regel ſpottet, daß nur in einem Wörterbuche dieſe tollen Kunſtausdrücke als ſtatuirte Terminologien aufgeführt werden können und daß man oft genug über ſich ſelbſt lächeln muß, wenn man plötzlich eine heillos ver- wegene Frivolität findet, wo man lange mit gelehrtem Apparat und ernſter Forſchung nach einer verſteckten Wortwurzel ſuchte.
Das Abbreviationszeichen beſteht in einem einzelnen oder in einem doppelten Strich links oberhalb des durch ſeinen bloßen Anfangsbuchſtaben angedeuteten Worts 1), z. B.: [fremdsprachliches Material], [fremdsprachliches Material]. Alle abbrevirten Buchſtaben werden in Schrift und Druck etwas iſolirt und augenfällig geſtellt, damit ſie ſogleich als Ab- breviatur hervorſtechen. Stehen mehrere Abbreviaturen nebenein- ander, ſo bekommt gewöhnlich der Anfangsbuchſtabe des vorletzten Worts das Zeichen, z. B.: [fremdsprachliches Material], kol bne beisso, alle die Sei- nigen, wobei der letzte Buchſtabe etwas links davon und iſolirt geſtellt wird, z. B.: [fremdsprachliches Material], kô diwre owicho, ſo ſind die Worte deines Vaters; [fremdsprachliches Material], ken assiras awdecho, alſo iſt das Gebet deines Knechtes. Gehören zwei Buchſtaben zu einem einzigen
1) Jn manchen Manuſcripten findet man den Buchſtaben des abbrevirten Worts oder die ganze Buchſtabengruppe oberhalb mit einem horizontalen Strich verſehen, wie eine Raphe, z. B. [fremdsprachliches Material] u. ſ. w. Vgl. Nr. 23 in den Proben aus der jüdiſchdeutſchen Literatur.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0361"n="327"/>
Denn häufig werden allzu bekannte Wörter abſichtlich mit der vol-<lb/>
len Buchſtabenlautbezeichnung ausgeſprochen, um ihre Bedeutung<lb/>
zu verſtecken, z. B.: <hirendition="#g">Schinpelommet</hi> für <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">schofel,</hi>ſchlecht;<lb/><hirendition="#g">Lommetaleph</hi> für <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">lo, lau,</hi> nicht. Bei dieſer ungemeinen<lb/>
Vieldeutigkeit der Abbreviaturen hat denn der Scharfſinn, Witz<lb/>
und Humor des jüdiſchen Volkes gerade in den Abbreviaturen<lb/>
eine ſehr reiche Gelegenheit gefunden, in häufig überraſchender, ja<lb/>
blendender Weiſe zu glänzen. Dieſes reiche und dankbare Gebiet<lb/>
hat nun aber auch das Gaunerthum mit dem vollſten Uebermuth<lb/>
und mit bodenloſer Frivolität ausgebeutet, ſodaß man hier vor-<lb/>
züglich den Schlüſſel zu der verwegenen, tollkühnen Exegetik der<lb/>
Gaunerſprache findet. Gerade auf dieſem mit dem unerhörteſten<lb/>
Sprachmaterial geſättigten Sprachboden wuchert das Gaunerthum<lb/>
mit ſo abſoluter Unbändigkeit, daß es aller Regel ſpottet, daß nur<lb/>
in einem Wörterbuche dieſe tollen Kunſtausdrücke als ſtatuirte<lb/>
Terminologien aufgeführt werden können und daß man oft genug<lb/>
über ſich ſelbſt lächeln muß, wenn man plötzlich eine heillos ver-<lb/>
wegene Frivolität findet, wo man lange mit gelehrtem Apparat<lb/>
und ernſter Forſchung nach einer verſteckten Wortwurzel ſuchte.</p><lb/><p>Das Abbreviationszeichen beſteht in einem einzelnen oder in<lb/>
einem doppelten Strich links oberhalb des durch ſeinen bloßen<lb/>
Anfangsbuchſtaben angedeuteten Worts <noteplace="foot"n="1)">Jn manchen Manuſcripten findet man den Buchſtaben des abbrevirten<lb/>
Worts oder die ganze Buchſtabengruppe oberhalb mit einem horizontalen Strich<lb/>
verſehen, wie eine Raphe, z. B. <gapreason="fm"/> u. ſ. w. Vgl. Nr. 23 in den Proben<lb/>
aus der jüdiſchdeutſchen Literatur.</note>, z. B.: <gapreason="fm"/>,<lb/><gapreason="fm"/>. Alle abbrevirten Buchſtaben werden in Schrift und Druck<lb/>
etwas iſolirt und augenfällig geſtellt, damit ſie ſogleich als Ab-<lb/>
breviatur hervorſtechen. Stehen mehrere Abbreviaturen nebenein-<lb/>
ander, ſo bekommt gewöhnlich der Anfangsbuchſtabe des vorletzten<lb/>
Worts das Zeichen, z. B.: <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">kol bne beisso,</hi> alle die Sei-<lb/>
nigen, wobei der letzte Buchſtabe etwas links davon und iſolirt<lb/>
geſtellt wird, z. B.: <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">kô diwre owicho,</hi>ſo ſind die Worte<lb/>
deines Vaters; <gapreason="fm"/>, <hirendition="#aq">ken assiras awdecho,</hi> alſo iſt das Gebet<lb/>
deines Knechtes. Gehören zwei Buchſtaben zu einem einzigen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[327/0361]
Denn häufig werden allzu bekannte Wörter abſichtlich mit der vol-
len Buchſtabenlautbezeichnung ausgeſprochen, um ihre Bedeutung
zu verſtecken, z. B.: Schinpelommet für _ , schofel, ſchlecht;
Lommetaleph für _ , lo, lau, nicht. Bei dieſer ungemeinen
Vieldeutigkeit der Abbreviaturen hat denn der Scharfſinn, Witz
und Humor des jüdiſchen Volkes gerade in den Abbreviaturen
eine ſehr reiche Gelegenheit gefunden, in häufig überraſchender, ja
blendender Weiſe zu glänzen. Dieſes reiche und dankbare Gebiet
hat nun aber auch das Gaunerthum mit dem vollſten Uebermuth
und mit bodenloſer Frivolität ausgebeutet, ſodaß man hier vor-
züglich den Schlüſſel zu der verwegenen, tollkühnen Exegetik der
Gaunerſprache findet. Gerade auf dieſem mit dem unerhörteſten
Sprachmaterial geſättigten Sprachboden wuchert das Gaunerthum
mit ſo abſoluter Unbändigkeit, daß es aller Regel ſpottet, daß nur
in einem Wörterbuche dieſe tollen Kunſtausdrücke als ſtatuirte
Terminologien aufgeführt werden können und daß man oft genug
über ſich ſelbſt lächeln muß, wenn man plötzlich eine heillos ver-
wegene Frivolität findet, wo man lange mit gelehrtem Apparat
und ernſter Forſchung nach einer verſteckten Wortwurzel ſuchte.
Das Abbreviationszeichen beſteht in einem einzelnen oder in
einem doppelten Strich links oberhalb des durch ſeinen bloßen
Anfangsbuchſtaben angedeuteten Worts 1), z. B.: _ ,
_ . Alle abbrevirten Buchſtaben werden in Schrift und Druck
etwas iſolirt und augenfällig geſtellt, damit ſie ſogleich als Ab-
breviatur hervorſtechen. Stehen mehrere Abbreviaturen nebenein-
ander, ſo bekommt gewöhnlich der Anfangsbuchſtabe des vorletzten
Worts das Zeichen, z. B.: _ , kol bne beisso, alle die Sei-
nigen, wobei der letzte Buchſtabe etwas links davon und iſolirt
geſtellt wird, z. B.: _ , kô diwre owicho, ſo ſind die Worte
deines Vaters; _ , ken assiras awdecho, alſo iſt das Gebet
deines Knechtes. Gehören zwei Buchſtaben zu einem einzigen
1) Jn manchen Manuſcripten findet man den Buchſtaben des abbrevirten
Worts oder die ganze Buchſtabengruppe oberhalb mit einem horizontalen Strich
verſehen, wie eine Raphe, z. B. _ u. ſ. w. Vgl. Nr. 23 in den Proben
aus der jüdiſchdeutſchen Literatur.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/361>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.