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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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Jn der Conjugation deutscher Zeitwörter hat die jüdischdeut-
sche Sprache nichts Eigenthümliches. Die Conjugation ist durch-
aus deutsch. Die Umständlichkeit, mit welcher Stern, a. a. O.,
S. 195--200, die vollständigen Conjugationsparadigmen der
Hülfszeitwörter sein, haben und werden in jüdischdeutscher
Mundart, obendrein in specifisch bairischer Abfärbung gibt, ist da-
her ganz überflüssig. Die Abweichungen vom Hochdeutschen be-
schränken sich nur auf das Mundartige, Aussprachliche, lassen
aber die deutsche Flexion durchaus unberührt. Richtig ist die von
Stern gemachte Bemerkung, daß der Conjunctiv des Präsens höchst
selten gebraucht und dafür der Conjunctiv des Jmperfectums ge-
nommen, sowie auch statt des ungebräuchlichen Conjunctivs des
Perfectums der Conjunctiv des Plusquamperfectums gebraucht
wird. Doch ist dies nicht nur bei den drei deutschen Hülfszeit-
wörtern, sondern überhaupt bei allen Verben, und wiederum dies
alles nicht nur in der jüdischdeutschen Sprache, sondern auch in
der niederdeutschen und überhaupt in der deutschen Volkssprache
allerorten der Fall, wie denn in gleicher Weise sogar auch im Nie-
derdeutschen der Jndicativ des Jmperfectums wenig im Gebrauch
ist, vielmehr, namentlich als erzählendes historisches Tempus, mei-
stens das Perfectum genommen wird.

Jn der ungebundensten Weise geht aber die jüdischdeutsche
Sprache mit der Conjugation hebräischer Zeitwörter um. Während
die substantivischen Formen und Verbindungen recipirter hebräischer
Wörter sich immer streng nach den Gesetzen der hebräischen Gram-
matik richten und sich nur ein kaum erheblicher Unterschied in der
vollen Schreibung gegen die hebräische defective bemerkbar macht,
germanisirt die jüdischdeutsche Sprache hebräische Verbastämme
vollständig und flectirt sie durchaus deutsch. So wird z. B. aus
[fremdsprachliches Material], achal, er hat gegessen, [fremdsprachliches Material], acheln, essen. Dieses acheln
wird durchaus deutsch flectirt: ich achle, du achelst, er achelt; ich
habe geachelt; ich werde acheln u. s. w.; ebenso [fremdsprachliches Material], halach,
er ist gegangen, [fremdsprachliches Material], halchen, alchen, holchen, hulchen, ich
halchne, bin gehalchenet, werde alchen u. s. w.; [fremdsprachliches Material], ganab, er
hat gestohlen, [fremdsprachliches Material], gannewen, ganfen; [fremdsprachliches Material], gasal, er hat

Ave-Lallemant, Gaunerthum. III. 25

Jn der Conjugation deutſcher Zeitwörter hat die jüdiſchdeut-
ſche Sprache nichts Eigenthümliches. Die Conjugation iſt durch-
aus deutſch. Die Umſtändlichkeit, mit welcher Stern, a. a. O.,
S. 195—200, die vollſtändigen Conjugationsparadigmen der
Hülfszeitwörter ſein, haben und werden in jüdiſchdeutſcher
Mundart, obendrein in ſpecifiſch bairiſcher Abfärbung gibt, iſt da-
her ganz überflüſſig. Die Abweichungen vom Hochdeutſchen be-
ſchränken ſich nur auf das Mundartige, Ausſprachliche, laſſen
aber die deutſche Flexion durchaus unberührt. Richtig iſt die von
Stern gemachte Bemerkung, daß der Conjunctiv des Präſens höchſt
ſelten gebraucht und dafür der Conjunctiv des Jmperfectums ge-
nommen, ſowie auch ſtatt des ungebräuchlichen Conjunctivs des
Perfectums der Conjunctiv des Plusquamperfectums gebraucht
wird. Doch iſt dies nicht nur bei den drei deutſchen Hülfszeit-
wörtern, ſondern überhaupt bei allen Verben, und wiederum dies
alles nicht nur in der jüdiſchdeutſchen Sprache, ſondern auch in
der niederdeutſchen und überhaupt in der deutſchen Volksſprache
allerorten der Fall, wie denn in gleicher Weiſe ſogar auch im Nie-
derdeutſchen der Jndicativ des Jmperfectums wenig im Gebrauch
iſt, vielmehr, namentlich als erzählendes hiſtoriſches Tempus, mei-
ſtens das Perfectum genommen wird.

Jn der ungebundenſten Weiſe geht aber die jüdiſchdeutſche
Sprache mit der Conjugation hebräiſcher Zeitwörter um. Während
die ſubſtantiviſchen Formen und Verbindungen recipirter hebräiſcher
Wörter ſich immer ſtreng nach den Geſetzen der hebräiſchen Gram-
matik richten und ſich nur ein kaum erheblicher Unterſchied in der
vollen Schreibung gegen die hebräiſche defective bemerkbar macht,
germaniſirt die jüdiſchdeutſche Sprache hebräiſche Verbaſtämme
vollſtändig und flectirt ſie durchaus deutſch. So wird z. B. aus
[fremdsprachliches Material], achal, er hat gegeſſen, [fremdsprachliches Material], acheln, eſſen. Dieſes acheln
wird durchaus deutſch flectirt: ich achle, du achelſt, er achelt; ich
habe geachelt; ich werde acheln u. ſ. w.; ebenſo [fremdsprachliches Material], halach,
er iſt gegangen, [fremdsprachliches Material], halchen, alchen, holchen, hulchen, ich
halchne, bin gehalchenet, werde alchen u. ſ. w.; [fremdsprachliches Material], ganab, er
hat geſtohlen, [fremdsprachliches Material], gannewen, ganfen; [fremdsprachliches Material], gasal, er hat

Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 25
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[385/0419] Jn der Conjugation deutſcher Zeitwörter hat die jüdiſchdeut- ſche Sprache nichts Eigenthümliches. Die Conjugation iſt durch- aus deutſch. Die Umſtändlichkeit, mit welcher Stern, a. a. O., S. 195—200, die vollſtändigen Conjugationsparadigmen der Hülfszeitwörter ſein, haben und werden in jüdiſchdeutſcher Mundart, obendrein in ſpecifiſch bairiſcher Abfärbung gibt, iſt da- her ganz überflüſſig. Die Abweichungen vom Hochdeutſchen be- ſchränken ſich nur auf das Mundartige, Ausſprachliche, laſſen aber die deutſche Flexion durchaus unberührt. Richtig iſt die von Stern gemachte Bemerkung, daß der Conjunctiv des Präſens höchſt ſelten gebraucht und dafür der Conjunctiv des Jmperfectums ge- nommen, ſowie auch ſtatt des ungebräuchlichen Conjunctivs des Perfectums der Conjunctiv des Plusquamperfectums gebraucht wird. Doch iſt dies nicht nur bei den drei deutſchen Hülfszeit- wörtern, ſondern überhaupt bei allen Verben, und wiederum dies alles nicht nur in der jüdiſchdeutſchen Sprache, ſondern auch in der niederdeutſchen und überhaupt in der deutſchen Volksſprache allerorten der Fall, wie denn in gleicher Weiſe ſogar auch im Nie- derdeutſchen der Jndicativ des Jmperfectums wenig im Gebrauch iſt, vielmehr, namentlich als erzählendes hiſtoriſches Tempus, mei- ſtens das Perfectum genommen wird. Jn der ungebundenſten Weiſe geht aber die jüdiſchdeutſche Sprache mit der Conjugation hebräiſcher Zeitwörter um. Während die ſubſtantiviſchen Formen und Verbindungen recipirter hebräiſcher Wörter ſich immer ſtreng nach den Geſetzen der hebräiſchen Gram- matik richten und ſich nur ein kaum erheblicher Unterſchied in der vollen Schreibung gegen die hebräiſche defective bemerkbar macht, germaniſirt die jüdiſchdeutſche Sprache hebräiſche Verbaſtämme vollſtändig und flectirt ſie durchaus deutſch. So wird z. B. aus _ , achal, er hat gegeſſen, _ , acheln, eſſen. Dieſes acheln wird durchaus deutſch flectirt: ich achle, du achelſt, er achelt; ich habe geachelt; ich werde acheln u. ſ. w.; ebenſo _ , halach, er iſt gegangen, _ , halchen, alchen, holchen, hulchen, ich halchne, bin gehalchenet, werde alchen u. ſ. w.; _ , ganab, er hat geſtohlen, _ , gannewen, ganfen; _ , gasal, er hat Avé-Lallemant, Gaunerthum. III. 25

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/419>, abgerufen am 22.11.2024.