thümlich fremdartigen Form der jüdischdeutschen Diction ganze Wörter und Sätze nur schwer zu enträthseln sind, weshalb denn auch im nachfolgenden Bruchstück, welches den Roman zwischen Potiphar's Weib Selicha und Joseph mit unerwarteter Discretion im Verhältniß zur höchst schmuzigen Behandlung des Stoffes im Ahasverusspiel enthält, die wortgetreue deutsche Uebersetzung bei- gefügt ist. Man kommt daher in Versuchung, die Mechirus wenn auch nicht für ein deutsches Originallustspiel, doch für die Be- arbeitung eines ältern jüdischdeutschen Lustspiels zu halten, bei welcher der Verfasser es sich angelegen sein ließ, die jüdischdeut- schen Jdiotismen auszumerzen und dafür die zu seiner Zeit herr- schende deutsche Ausdrucksweise zu geben, welche aber in der That noch buntscheckiger ist, als das gerade zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in seiner vollsten Eigenthümlichkeit blühende Juden- deutsch, wovon das schmuzige Ahasverusspiel ein viel treffenderes Bild gibt, obschon es ebenfalls als eine Nachahmung des ältern deutschen Lustspiels gelten muß.
Zum Verständniß des hier folgenden Bruchstücks, welches sich im wesentlichen an den biblischen Stoff hält, dient Folgendes. Nach dem Prolog tritt Joseph vor Jakob auf und setzt seine Brü- der bei ihm an. Jakob schenkt ihm "zum Recompens ein seidenes Hemde" aus seiner Mutter Rahel Nachlaß, wobei die Brüder ihrem Unmuth Luft machen. Ein Engel singt dem Joseph den Traum von den elf Garben vor, die sich vor ihm neigen. Joseph erzählt den Traum wieder, wodurch seine Brüder noch mehr er- bittert werden. Der Engel singt wieder vom Neigen der Sonne und des Mondes vor Joseph. Joseph erzählt auch diesen Traum. Die Erbitterung der Brüder wächst; Jakob gebietet nun dem Jo- seph, "den Mund zu halten und auf solchen Phantasie kein datum zu stellen", und schickt den Joseph nach den Weideplätzen zu den Brüdern. Unterwegs warnt der Engel den Joseph, welcher jedoch die Warnung misachtet, ein "Schäferlied" singt, zu den Brüdern gelangt und in die Grube geworfen wird, in welcher er "Klag- lieder" singt. Er wird dann an die Jsmaeliten und Midianiten verkauft. Joseph singt ein Lied an seiner Mutter Rahel Grab
thümlich fremdartigen Form der jüdiſchdeutſchen Diction ganze Wörter und Sätze nur ſchwer zu enträthſeln ſind, weshalb denn auch im nachfolgenden Bruchſtück, welches den Roman zwiſchen Potiphar’s Weib Selicha und Joſeph mit unerwarteter Discretion im Verhältniß zur höchſt ſchmuzigen Behandlung des Stoffes im Ahasverusſpiel enthält, die wortgetreue deutſche Ueberſetzung bei- gefügt iſt. Man kommt daher in Verſuchung, die Mechirus wenn auch nicht für ein deutſches Originalluſtſpiel, doch für die Be- arbeitung eines ältern jüdiſchdeutſchen Luſtſpiels zu halten, bei welcher der Verfaſſer es ſich angelegen ſein ließ, die jüdiſchdeut- ſchen Jdiotismen auszumerzen und dafür die zu ſeiner Zeit herr- ſchende deutſche Ausdrucksweiſe zu geben, welche aber in der That noch buntſcheckiger iſt, als das gerade zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in ſeiner vollſten Eigenthümlichkeit blühende Juden- deutſch, wovon das ſchmuzige Ahasverusſpiel ein viel treffenderes Bild gibt, obſchon es ebenfalls als eine Nachahmung des ältern deutſchen Luſtſpiels gelten muß.
Zum Verſtändniß des hier folgenden Bruchſtücks, welches ſich im weſentlichen an den bibliſchen Stoff hält, dient Folgendes. Nach dem Prolog tritt Joſeph vor Jakob auf und ſetzt ſeine Brü- der bei ihm an. Jakob ſchenkt ihm „zum Recompens ein ſeidenes Hemde“ aus ſeiner Mutter Rahel Nachlaß, wobei die Brüder ihrem Unmuth Luft machen. Ein Engel ſingt dem Joſeph den Traum von den elf Garben vor, die ſich vor ihm neigen. Joſeph erzählt den Traum wieder, wodurch ſeine Brüder noch mehr er- bittert werden. Der Engel ſingt wieder vom Neigen der Sonne und des Mondes vor Joſeph. Joſeph erzählt auch dieſen Traum. Die Erbitterung der Brüder wächſt; Jakob gebietet nun dem Jo- ſeph, „den Mund zu halten und auf ſolchen Phantaſie kein datum zu ſtellen“, und ſchickt den Joſeph nach den Weideplätzen zu den Brüdern. Unterwegs warnt der Engel den Joſeph, welcher jedoch die Warnung misachtet, ein „Schäferlied“ ſingt, zu den Brüdern gelangt und in die Grube geworfen wird, in welcher er „Klag- lieder“ ſingt. Er wird dann an die Jſmaeliten und Midianiten verkauft. Joſeph ſingt ein Lied an ſeiner Mutter Rahel Grab
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thümlich fremdartigen Form der jüdiſchdeutſchen Diction ganze
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auch im nachfolgenden Bruchſtück, welches den Roman zwiſchen
Potiphar’s Weib Selicha und Joſeph mit unerwarteter Discretion
im Verhältniß zur höchſt ſchmuzigen Behandlung des Stoffes im
Ahasverusſpiel enthält, die wortgetreue deutſche Ueberſetzung bei-
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auch nicht für ein deutſches Originalluſtſpiel, doch für die Be-
arbeitung eines ältern jüdiſchdeutſchen Luſtſpiels zu halten, bei
welcher der Verfaſſer es ſich angelegen ſein ließ, die jüdiſchdeut-
ſchen Jdiotismen auszumerzen und dafür die zu ſeiner Zeit herr-
ſchende deutſche Ausdrucksweiſe zu geben, welche aber in der That
noch buntſcheckiger iſt, als das gerade zu Anfang des vorigen
Jahrhunderts in ſeiner vollſten Eigenthümlichkeit blühende Juden-
deutſch, wovon das ſchmuzige Ahasverusſpiel ein viel treffenderes
Bild gibt, obſchon es ebenfalls als eine Nachahmung des ältern
deutſchen Luſtſpiels gelten muß.
Zum Verſtändniß des hier folgenden Bruchſtücks, welches ſich
im weſentlichen an den bibliſchen Stoff hält, dient Folgendes.
Nach dem Prolog tritt Joſeph vor Jakob auf und ſetzt ſeine Brü-
der bei ihm an. Jakob ſchenkt ihm „zum Recompens ein ſeidenes
Hemde“ aus ſeiner Mutter Rahel Nachlaß, wobei die Brüder
ihrem Unmuth Luft machen. Ein Engel ſingt dem Joſeph den
Traum von den elf Garben vor, die ſich vor ihm neigen. Joſeph
erzählt den Traum wieder, wodurch ſeine Brüder noch mehr er-
bittert werden. Der Engel ſingt wieder vom Neigen der Sonne
und des Mondes vor Joſeph. Joſeph erzählt auch dieſen Traum.
Die Erbitterung der Brüder wächſt; Jakob gebietet nun dem Jo-
ſeph, „den Mund zu halten und auf ſolchen Phantaſie kein datum
zu ſtellen“, und ſchickt den Joſeph nach den Weideplätzen zu den
Brüdern. Unterwegs warnt der Engel den Joſeph, welcher jedoch
die Warnung misachtet, ein „Schäferlied“ ſingt, zu den Brüdern
gelangt und in die Grube geworfen wird, in welcher er „Klag-
lieder“ ſingt. Er wird dann an die Jſmaeliten und Midianiten
verkauft. Joſeph ſingt ein Lied an ſeiner Mutter Rahel Grab
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/526>, abgerufen am 22.11.2024.
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