Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

also überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig-
keit, Aufwand, Uebermuth. Während gail schon in den ältesten
althochdeutschen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be-
deutung Mund erst viel später im Mittelhochdeutschen. Mindestens
habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von
Bühel's "Leben Diocletian's" (15. Jahrhundert):

Solt ym aber übel beschehen
So muosz ich iuch ouch das veriehen
So tett der wint vff sinen giel
Dem pferde er in den swanz viel. 1)

Aus diesem ahd. gail ist sehr wahrscheinlich das mhd. gei-
len
und Geiler entstanden mit der Bedeutung des unverschäm-
ten Forderns und Bettelns, wovon Frisch, a. a. O., S. 335, noch
zahlreichere Beispiele und Composita anführt. Man vgl. auch bei
Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch
noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt ist. Man
vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O.,
S. 215.

Endlich ist noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen,
Geilen, Giler
und Geiler sowol der alten als auch der neuen
Gaunersprache selbst ganz fremd sind. Auch nicht der Bedeler
orden, welcher, wie seine bedeutende Vocabelzugabe ausweist, eifrig
bestrebt ist, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern
und zum Rotboß des letztern das diesem fehlende rottun, bedeler,
und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein-
ziges Derivatum oder Compositum gefunden.

Somit erscheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler,
Vagant, Gauner, welcher, um sich ein kränkliches und unkennt-
liches Ansehen zu geben, das Gesicht oder die entblößten Körper-
theile mit Farbe bemalt und entstellt. Nach dem in der baseler
Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beisatz Schwartz mag

1) Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4
die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachsenheim und weist im Wör-
terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf diese Stelle.

alſo überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig-
keit, Aufwand, Uebermuth. Während gail ſchon in den älteſten
althochdeutſchen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be-
deutung Mund erſt viel ſpäter im Mittelhochdeutſchen. Mindeſtens
habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von
Bühel’s „Leben Diocletian’s“ (15. Jahrhundert):

Solt ym aber übel beschehen
So muosz ich iuch ouch das veriehen
So tett der wint vff sinen giel
Dem pferde er in den swanz viel. 1)

Aus dieſem ahd. gail iſt ſehr wahrſcheinlich das mhd. gei-
len
und Geiler entſtanden mit der Bedeutung des unverſchäm-
ten Forderns und Bettelns, wovon Friſch, a. a. O., S. 335, noch
zahlreichere Beiſpiele und Compoſita anführt. Man vgl. auch bei
Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch
noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt iſt. Man
vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O.,
S. 215.

Endlich iſt noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen,
Geilen, Giler
und Geiler ſowol der alten als auch der neuen
Gaunerſprache ſelbſt ganz fremd ſind. Auch nicht der Bedeler
orden, welcher, wie ſeine bedeutende Vocabelzugabe ausweiſt, eifrig
beſtrebt iſt, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern
und zum Rotboß des letztern das dieſem fehlende rottun, bedeler,
und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein-
ziges Derivatum oder Compoſitum gefunden.

Somit erſcheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler,
Vagant, Gauner, welcher, um ſich ein kränkliches und unkennt-
liches Anſehen zu geben, das Geſicht oder die entblößten Körper-
theile mit Farbe bemalt und entſtellt. Nach dem in der baſeler
Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beiſatz Schwartz mag

1) Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4
die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachſenheim und weiſt im Wör-
terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf dieſe Stelle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0055" n="21"/>
al&#x017F;o überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig-<lb/>
keit, Aufwand, Uebermuth. Während <hi rendition="#aq">gail</hi> &#x017F;chon in den älte&#x017F;ten<lb/>
althochdeut&#x017F;chen Urkunden vorkommt, findet man <hi rendition="#g">giel</hi> in der Be-<lb/>
deutung Mund er&#x017F;t viel &#x017F;päter im Mittelhochdeut&#x017F;chen. Minde&#x017F;tens<lb/>
habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von<lb/>
Bühel&#x2019;s &#x201E;Leben Diocletian&#x2019;s&#x201C; (15. Jahrhundert):</p><lb/>
              <lg type="poem">
                <l> <hi rendition="#aq">Solt ym aber übel beschehen</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">So muosz ich iuch ouch das veriehen</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">So tett der wint vff sinen giel</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">Dem pferde er in den swanz viel.</hi> <note place="foot" n="1)">Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4<lb/>
die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sach&#x017F;enheim und wei&#x017F;t im Wör-<lb/>
terbuch, wo er <hi rendition="#aq">giel</hi> mit Prahler erklärt, auf die&#x017F;e Stelle.</note>
                </l>
              </lg><lb/>
              <p>Aus die&#x017F;em ahd. <hi rendition="#aq">gail</hi> i&#x017F;t &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich das mhd. <hi rendition="#g">gei-<lb/>
len</hi> und <hi rendition="#g">Geiler</hi> ent&#x017F;tanden mit der Bedeutung des unver&#x017F;chäm-<lb/>
ten Forderns und Bettelns, wovon Fri&#x017F;ch, a. a. O., S. 335, noch<lb/>
zahlreichere Bei&#x017F;piele und Compo&#x017F;ita anführt. Man vgl. auch bei<lb/>
Schmeller, a. a. O., <hi rendition="#aq">II,</hi> 31, die Reihe <hi rendition="#g">gal,</hi> wo bei geilen auch<lb/>
noch <hi rendition="#g">Bettelgeiler</hi> für den frechen Bettler angeführt i&#x017F;t. Man<lb/>
vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O.,<lb/>
S. 215.</p><lb/>
              <p>Endlich i&#x017F;t noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke <hi rendition="#g">Gilen,<lb/>
Geilen, Giler</hi> und <hi rendition="#g">Geiler</hi> &#x017F;owol der alten als auch der neuen<lb/>
Gauner&#x017F;prache &#x017F;elb&#x017F;t ganz fremd &#x017F;ind. Auch nicht der Bedeler<lb/>
orden, welcher, wie &#x017F;eine bedeutende Vocabelzugabe auswei&#x017F;t, eifrig<lb/>
be&#x017F;trebt i&#x017F;t, das Vocabular des <hi rendition="#aq">Liber Vagatorum</hi> zu bereichern<lb/>
und zum <hi rendition="#g">Rotboß</hi> des letztern das die&#x017F;em fehlende <hi rendition="#g">rottun,</hi> bedeler,<lb/>
und <hi rendition="#g">rotten,</hi> bedelen, hinzufügt, hat zu <hi rendition="#g">Giel,</hi> Mund, kein ein-<lb/>
ziges Derivatum oder Compo&#x017F;itum gefunden.</p><lb/>
              <p>Somit er&#x017F;cheint der <hi rendition="#g">Rot,</hi> gleich dem Gilen, als der Bettler,<lb/>
Vagant, Gauner, welcher, um &#x017F;ich ein kränkliches und unkennt-<lb/>
liches An&#x017F;ehen zu geben, das Ge&#x017F;icht oder die entblößten Körper-<lb/>
theile mit Farbe bemalt und ent&#x017F;tellt. Nach dem in der ba&#x017F;eler<lb/>
Bündnißacte von 1391 vorkommenden Bei&#x017F;atz <hi rendition="#g">Schwartz</hi> mag<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0055] alſo überall der Begriff von Fruchtbarkeit, Ueberfluß, Ueppig- keit, Aufwand, Uebermuth. Während gail ſchon in den älteſten althochdeutſchen Urkunden vorkommt, findet man giel in der Be- deutung Mund erſt viel ſpäter im Mittelhochdeutſchen. Mindeſtens habe ich keine ältere Stelle finden können als die in Hans von Bühel’s „Leben Diocletian’s“ (15. Jahrhundert): Solt ym aber übel beschehen So muosz ich iuch ouch das veriehen So tett der wint vff sinen giel Dem pferde er in den swanz viel. 1) Aus dieſem ahd. gail iſt ſehr wahrſcheinlich das mhd. gei- len und Geiler entſtanden mit der Bedeutung des unverſchäm- ten Forderns und Bettelns, wovon Friſch, a. a. O., S. 335, noch zahlreichere Beiſpiele und Compoſita anführt. Man vgl. auch bei Schmeller, a. a. O., II, 31, die Reihe gal, wo bei geilen auch noch Bettelgeiler für den frechen Bettler angeführt iſt. Man vgl. auch noch Schmid, a. a. O., S. 225, und Schwenck, a. a. O., S. 215. Endlich iſt noch zu erwähnen, daß die Ausdrücke Gilen, Geilen, Giler und Geiler ſowol der alten als auch der neuen Gaunerſprache ſelbſt ganz fremd ſind. Auch nicht der Bedeler orden, welcher, wie ſeine bedeutende Vocabelzugabe ausweiſt, eifrig beſtrebt iſt, das Vocabular des Liber Vagatorum zu bereichern und zum Rotboß des letztern das dieſem fehlende rottun, bedeler, und rotten, bedelen, hinzufügt, hat zu Giel, Mund, kein ein- ziges Derivatum oder Compoſitum gefunden. Somit erſcheint der Rot, gleich dem Gilen, als der Bettler, Vagant, Gauner, welcher, um ſich ein kränkliches und unkennt- liches Anſehen zu geben, das Geſicht oder die entblößten Körper- theile mit Farbe bemalt und entſtellt. Nach dem in der baſeler Bündnißacte von 1391 vorkommenden Beiſatz Schwartz mag 1) Vgl. Wackernagel, a. a. O., S. 957, 34. W. hat noch S. 1005, 4 die oben angeführte Stelle aus Hermann von Sachſenheim und weiſt im Wör- terbuch, wo er giel mit Prahler erklärt, auf dieſe Stelle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/55
Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/55>, abgerufen am 22.11.2024.