blos in einzelnen Vocabeln ihren immerhin auch nur sehr gerin- gen Beitrag zur Gaunersprache liefert, und deren Bedeutsamkeit und Beziehung zu dieser gewöhnlich viel zu hoch angeschlagen wird, während das Judendeutsch von der Gaunersprache in nahezu erschöpfender Weise ausgebeutet und sogar wieder durch diese selbst mannichfach bereichert worden ist. Es bedarf daher einer kurzen Hindeutung auf das Wesen der Zigeunersprache und des Juden- deutsch als gaunersprachlicher Beisätze, wie auch anderer Sprach- gruppen, welche entsprechende eigenthümliche Zusammensetzungen aufzuweisen haben und in die Gaunersprache haben hineinfließen lassen.
Siebzehntes Kapitel. G. Die Zigeunersprache.
Sobald die Zigeuner zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Deutschland auftraten, erschienen sie in ihrer vollen fremden Eigenthümlichkeit, ganz so wie der Dominicaner Hermann Corne- rus von Lübeck sagt, als extranea quaedam et praevie non visa vagabundaque multitudo hominum de orientalibus partibus (vgl. I, 25 fg.), und sind bis zur Stunde noch in dieser ihrer vollen Eigenthümlichkeit kennbar, wo und wie man sie auch aus ihrem nomadisirenden Treiben herausgerissen und in eine bestimmte Sphäre des bürgerlichen Lebens hineingezwungen findet. Es ist dabei sehr merkwürdig, daß die Zigeuner ihre aus der Heimat mitgebrachte eigenthümliche Volkssprache nicht aufgegeben haben, wenn sie auch bei der ursprünglichen Einfachheit und Armuth ihres Wortvorraths nach und nach eine sehr große Menge frem- der Wörter aufgenommen und ihrer Sprache dadurch ein sehr buntes, gemischtes Colorit gegeben haben, sodaß es sogar wol oft mit dem Rotwelsch verwechselt werden konnte. Dazu hat wol allerdings auf der einen Seite das unverständliche fremdartige Jdiom, das unverkennbar diebische und ränkevolle Treiben der Zigeuner und die schlaue Verstecktheit ihrer Künste und Sprache
blos in einzelnen Vocabeln ihren immerhin auch nur ſehr gerin- gen Beitrag zur Gaunerſprache liefert, und deren Bedeutſamkeit und Beziehung zu dieſer gewöhnlich viel zu hoch angeſchlagen wird, während das Judendeutſch von der Gaunerſprache in nahezu erſchöpfender Weiſe ausgebeutet und ſogar wieder durch dieſe ſelbſt mannichfach bereichert worden iſt. Es bedarf daher einer kurzen Hindeutung auf das Weſen der Zigeunerſprache und des Juden- deutſch als gaunerſprachlicher Beiſätze, wie auch anderer Sprach- gruppen, welche entſprechende eigenthümliche Zuſammenſetzungen aufzuweiſen haben und in die Gaunerſprache haben hineinfließen laſſen.
Siebzehntes Kapitel. G. Die Zigeunerſprache.
Sobald die Zigeuner zu Anfang des 15. Jahrhunderts in Deutſchland auftraten, erſchienen ſie in ihrer vollen fremden Eigenthümlichkeit, ganz ſo wie der Dominicaner Hermann Corne- rus von Lübeck ſagt, als extranea quaedam et praevie non visa vagabundaque multitudo hominum de orientalibus partibus (vgl. I, 25 fg.), und ſind bis zur Stunde noch in dieſer ihrer vollen Eigenthümlichkeit kennbar, wo und wie man ſie auch aus ihrem nomadiſirenden Treiben herausgeriſſen und in eine beſtimmte Sphäre des bürgerlichen Lebens hineingezwungen findet. Es iſt dabei ſehr merkwürdig, daß die Zigeuner ihre aus der Heimat mitgebrachte eigenthümliche Volksſprache nicht aufgegeben haben, wenn ſie auch bei der urſprünglichen Einfachheit und Armuth ihres Wortvorraths nach und nach eine ſehr große Menge frem- der Wörter aufgenommen und ihrer Sprache dadurch ein ſehr buntes, gemiſchtes Colorit gegeben haben, ſodaß es ſogar wol oft mit dem Rotwelſch verwechſelt werden konnte. Dazu hat wol allerdings auf der einen Seite das unverſtändliche fremdartige Jdiom, das unverkennbar diebiſche und ränkevolle Treiben der Zigeuner und die ſchlaue Verſtecktheit ihrer Künſte und Sprache
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blos in einzelnen Vocabeln ihren immerhin auch nur ſehr gerin-
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und Beziehung zu dieſer gewöhnlich viel zu hoch angeſchlagen
wird, während das Judendeutſch von der Gaunerſprache in nahezu
erſchöpfender Weiſe ausgebeutet und ſogar wieder durch dieſe ſelbſt
mannichfach bereichert worden iſt. Es bedarf daher einer kurzen
Hindeutung auf das Weſen der Zigeunerſprache und des Juden-
deutſch als gaunerſprachlicher Beiſätze, wie auch anderer Sprach-
gruppen, welche entſprechende eigenthümliche Zuſammenſetzungen
aufzuweiſen haben und in die Gaunerſprache haben hineinfließen
laſſen.
Siebzehntes Kapitel.
G. Die Zigeunerſprache.
Sobald die Zigeuner zu Anfang des 15. Jahrhunderts in
Deutſchland auftraten, erſchienen ſie in ihrer vollen fremden
Eigenthümlichkeit, ganz ſo wie der Dominicaner Hermann Corne-
rus von Lübeck ſagt, als extranea quaedam et praevie non visa
vagabundaque multitudo hominum de orientalibus partibus
(vgl. I, 25 fg.), und ſind bis zur Stunde noch in dieſer ihrer
vollen Eigenthümlichkeit kennbar, wo und wie man ſie auch aus
ihrem nomadiſirenden Treiben herausgeriſſen und in eine beſtimmte
Sphäre des bürgerlichen Lebens hineingezwungen findet. Es iſt
dabei ſehr merkwürdig, daß die Zigeuner ihre aus der Heimat
mitgebrachte eigenthümliche Volksſprache nicht aufgegeben haben,
wenn ſie auch bei der urſprünglichen Einfachheit und Armuth
ihres Wortvorraths nach und nach eine ſehr große Menge frem-
der Wörter aufgenommen und ihrer Sprache dadurch ein ſehr
buntes, gemiſchtes Colorit gegeben haben, ſodaß es ſogar wol oft
mit dem Rotwelſch verwechſelt werden konnte. Dazu hat wol
allerdings auf der einen Seite das unverſtändliche fremdartige
Jdiom, das unverkennbar diebiſche und ränkevolle Treiben der
Zigeuner und die ſchlaue Verſtecktheit ihrer Künſte und Sprache
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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