Anlaß gegeben. Auf der andern Seite ist aber auch das Rot- welsch selbst nur sehr dürftig gekannt und gar nicht durchforscht worden. Auch hat sich die Zigeunersprache wol zuerst wesentlich in der Association der Zigeuner mit dem Gaunerthum offenbart, welches bei der begierig ergriffenen Verbrüderung mit den Zigeu- nern auch hier in ihrer Sprache einen Versteck suchte und fand, wiewol bei der volksthümlichen Fremdartigkeit der Zigeunersprache und bei der durchaus auf deutschvolksthümlichem Boden wurzeln- den Eigenthümlichkeit der deutschen Gaunersprache die gegenseitige Sprachhospitalität nur armselig und frostig war, sodaß man durchaus nur einen gegenseitigen kargen Austausch einzelner Wör- ter, niemals aber ganzer Redensarten und Wendungen erkennt und somit nur von einem gegenseitigen beschränkten, flauen und gewissermaßen vorsichtigen Sprachschutzbürgerthum die Rede sein kann. Das blickt auf das bestimmteste in Stoff und Geschichte der Gaunersprache durch, und somit kann bei der Behandlung der Gaunersprache kein Anspruch auf eine grammatische Darstellung der Zigeunersprache erhoben werden. Die ganze Berücksichtigung der Zigeunersprache bei Darstellung der Gaunersprache hat sich nur auf diejenigen einzelnen Zigeunerwörter zu beschränken, welche im allmählichen Verlauf der Zeit jene beschränkte Aufnahme in die Gaunersprache gefunden haben. Die Resultate, welche Pott 1) mit herrlicher Gründlichkeit aus eigenen Forschungen wie aus den For- schungen anderer gewonnen hat, werden von Schleicher 2), S. 128, in prägnanter Kürze so zusammengefaßt gegeben:
1) Die Zigeunermundarten sämmtlicher Länder, von so vie- len uns eine Kunde zukam, erweisen sich trotz der unendlich bun- ten und mächtigen Einwirkung fremder Jdiome auf sie in ihrem tiefinnersten Grunde einig und gleichartig.
2) Man kann unmöglich darin eine besondere, mit den Gau-
1) "Die Zigeuner in Europa und Asien. Ethnographisch-linguistische Un- tersuchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten und unge- druckten Quellen" (2 Thle., Halle 1844 und 1845).
2) "Die Sprachen Europas in systematischer Uebersicht" (Bonn 1850).
Anlaß gegeben. Auf der andern Seite iſt aber auch das Rot- welſch ſelbſt nur ſehr dürftig gekannt und gar nicht durchforſcht worden. Auch hat ſich die Zigeunerſprache wol zuerſt weſentlich in der Aſſociation der Zigeuner mit dem Gaunerthum offenbart, welches bei der begierig ergriffenen Verbrüderung mit den Zigeu- nern auch hier in ihrer Sprache einen Verſteck ſuchte und fand, wiewol bei der volksthümlichen Fremdartigkeit der Zigeunerſprache und bei der durchaus auf deutſchvolksthümlichem Boden wurzeln- den Eigenthümlichkeit der deutſchen Gaunerſprache die gegenſeitige Sprachhospitalität nur armſelig und froſtig war, ſodaß man durchaus nur einen gegenſeitigen kargen Austauſch einzelner Wör- ter, niemals aber ganzer Redensarten und Wendungen erkennt und ſomit nur von einem gegenſeitigen beſchränkten, flauen und gewiſſermaßen vorſichtigen Sprachſchutzbürgerthum die Rede ſein kann. Das blickt auf das beſtimmteſte in Stoff und Geſchichte der Gaunerſprache durch, und ſomit kann bei der Behandlung der Gaunerſprache kein Anſpruch auf eine grammatiſche Darſtellung der Zigeunerſprache erhoben werden. Die ganze Berückſichtigung der Zigeunerſprache bei Darſtellung der Gaunerſprache hat ſich nur auf diejenigen einzelnen Zigeunerwörter zu beſchränken, welche im allmählichen Verlauf der Zeit jene beſchränkte Aufnahme in die Gaunerſprache gefunden haben. Die Reſultate, welche Pott 1) mit herrlicher Gründlichkeit aus eigenen Forſchungen wie aus den For- ſchungen anderer gewonnen hat, werden von Schleicher 2), S. 128, in prägnanter Kürze ſo zuſammengefaßt gegeben:
1) Die Zigeunermundarten ſämmtlicher Länder, von ſo vie- len uns eine Kunde zukam, erweiſen ſich trotz der unendlich bun- ten und mächtigen Einwirkung fremder Jdiome auf ſie in ihrem tiefinnerſten Grunde einig und gleichartig.
2) Man kann unmöglich darin eine beſondere, mit den Gau-
1) „Die Zigeuner in Europa und Aſien. Ethnographiſch-linguiſtiſche Un- terſuchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten und unge- druckten Quellen“ (2 Thle., Halle 1844 und 1845).
2) „Die Sprachen Europas in ſyſtematiſcher Ueberſicht“ (Bonn 1850).
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welſch ſelbſt nur ſehr dürftig gekannt und gar nicht durchforſcht
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in der Aſſociation der Zigeuner mit dem Gaunerthum offenbart,
welches bei der begierig ergriffenen Verbrüderung mit den Zigeu-
nern auch hier in ihrer Sprache einen Verſteck ſuchte und fand,
wiewol bei der volksthümlichen Fremdartigkeit der Zigeunerſprache
und bei der durchaus auf deutſchvolksthümlichem Boden wurzeln-
den Eigenthümlichkeit der deutſchen Gaunerſprache die gegenſeitige
Sprachhospitalität nur armſelig und froſtig war, ſodaß man
durchaus nur einen gegenſeitigen kargen Austauſch einzelner Wör-
ter, niemals aber ganzer Redensarten und Wendungen erkennt
und ſomit nur von einem gegenſeitigen beſchränkten, flauen und
gewiſſermaßen vorſichtigen Sprachſchutzbürgerthum die Rede ſein
kann. Das blickt auf das beſtimmteſte in Stoff und Geſchichte
der Gaunerſprache durch, und ſomit kann bei der Behandlung der
Gaunerſprache kein Anſpruch auf eine grammatiſche Darſtellung
der Zigeunerſprache erhoben werden. Die ganze Berückſichtigung
der Zigeunerſprache bei Darſtellung der Gaunerſprache hat ſich nur
auf diejenigen einzelnen Zigeunerwörter zu beſchränken, welche im
allmählichen Verlauf der Zeit jene beſchränkte Aufnahme in die
Gaunerſprache gefunden haben. Die Reſultate, welche Pott 1) mit
herrlicher Gründlichkeit aus eigenen Forſchungen wie aus den For-
ſchungen anderer gewonnen hat, werden von Schleicher 2), S. 128,
in prägnanter Kürze ſo zuſammengefaßt gegeben:
1) Die Zigeunermundarten ſämmtlicher Länder, von ſo vie-
len uns eine Kunde zukam, erweiſen ſich trotz der unendlich bun-
ten und mächtigen Einwirkung fremder Jdiome auf ſie in ihrem
tiefinnerſten Grunde einig und gleichartig.
2) Man kann unmöglich darin eine beſondere, mit den Gau-
1) „Die Zigeuner in Europa und Aſien. Ethnographiſch-linguiſtiſche Un-
terſuchung vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, nach gedruckten und unge-
druckten Quellen“ (2 Thle., Halle 1844 und 1845).
2) „Die Sprachen Europas in ſyſtematiſcher Ueberſicht“ (Bonn 1850).
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/73>, abgerufen am 24.11.2024.
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