wackern, schon längst verstorbenen, aber unvergeßlichen Christensen eine bemerkenswerthe Rolle. Obwol er eher alles andere in der Welt war als Linguist, und obwol er von Wesen, Stoff und Bau der Gaunersprache so gut wie gar keine Kenntnisse hatte, konnte doch seinem großen Scharfsinn die wichtige Geltung der Gauner- sprache überhaupt nicht entgehen, welche ihm überall entgegentrat. Er fing an, Vocabeln aus dem Munde seiner Gauner zu sam- meln. Bei seinem strengen Ernst und seltenen Scharfblick hätten seine Jnquisiten nicht wagen dürfen, ihn zu täuschen oder auch nur so kurz abzufertigen, wie Pfister's Gauner das ersichtlich ge- than hatten. Diese vollkommene persönliche Gewährleistung Chri- stensen's macht sich denn auch in der ganzen echt gaunerischen, wenngleich dialektisch stark verfärbten Vocabulatur durchaus gel- tend. Man findet in dem ganzen Wortvorrath, wie das die Ver- gleichung ergibt, die unverkennbare Erbschaft des Dreißigjährigen Krieges wieder, wie sie zuerst bei Andreas Hempel deponirt und im weitern Erbschaftszuge fortgegangen ist. Doch findet man die Masse bei Christensen begreiflicherweise mannichfach verändert und namentlich mit jüdischdeutscher und besonders dialektisch niederdeut- scher Beimischung bis zur Entstellung versetzt. Man kann mit Sicherheit sagen, daß Christensen's Gauner bei weitem offener und bestimmter mit ihrem linguistischen Testamente waren als Pfister's Gauner. Christensen hatte nur die eine einzige Quelle: den Gau- nermund. Pfister hatte aber, im Gefühl der Unsicherheit seinen Jnquisiten gegenüber, noch nebenher nach andern Quellen ge- griffen, die er aber verschweigt, weil er sie nicht als seine eigene directe Ausbeute geben konnte und die er doch als solche mit
Polizeianekdoten genug zu erzählen. Bei aller seiner hohen geistigen Befähi- gung, seinem größen Fleiß und Scharfsinn zog er es doch oft vor, den gordi- schen Knoten einer verwickelten Untersuchung mit reckenhaftem und jedesmal glücklichem Streiche durchzuhauen. Einem alten, geschulten Spitzbuben, wel- cher eines Silberdiebstahls verdächtig war, rief er beim Eintritt ins Verhör- zimmer so imponirend mit seiner kräftigen Stimme entgegen: "Na, hett he de Lepels mitbröcht, de he stahlen hett?!" daß der entsetzte Gauner auf der Stelle den Silberdiebstahl eingestand.
wackern, ſchon längſt verſtorbenen, aber unvergeßlichen Chriſtenſen eine bemerkenswerthe Rolle. Obwol er eher alles andere in der Welt war als Linguiſt, und obwol er von Weſen, Stoff und Bau der Gaunerſprache ſo gut wie gar keine Kenntniſſe hatte, konnte doch ſeinem großen Scharfſinn die wichtige Geltung der Gauner- ſprache überhaupt nicht entgehen, welche ihm überall entgegentrat. Er fing an, Vocabeln aus dem Munde ſeiner Gauner zu ſam- meln. Bei ſeinem ſtrengen Ernſt und ſeltenen Scharfblick hätten ſeine Jnquiſiten nicht wagen dürfen, ihn zu täuſchen oder auch nur ſo kurz abzufertigen, wie Pfiſter’s Gauner das erſichtlich ge- than hatten. Dieſe vollkommene perſönliche Gewährleiſtung Chri- ſtenſen’s macht ſich denn auch in der ganzen echt gauneriſchen, wenngleich dialektiſch ſtark verfärbten Vocabulatur durchaus gel- tend. Man findet in dem ganzen Wortvorrath, wie das die Ver- gleichung ergibt, die unverkennbare Erbſchaft des Dreißigjährigen Krieges wieder, wie ſie zuerſt bei Andreas Hempel deponirt und im weitern Erbſchaftszuge fortgegangen iſt. Doch findet man die Maſſe bei Chriſtenſen begreiflicherweiſe mannichfach verändert und namentlich mit jüdiſchdeutſcher und beſonders dialektiſch niederdeut- ſcher Beimiſchung bis zur Entſtellung verſetzt. Man kann mit Sicherheit ſagen, daß Chriſtenſen’s Gauner bei weitem offener und beſtimmter mit ihrem linguiſtiſchen Teſtamente waren als Pfiſter’s Gauner. Chriſtenſen hatte nur die eine einzige Quelle: den Gau- nermund. Pfiſter hatte aber, im Gefühl der Unſicherheit ſeinen Jnquiſiten gegenüber, noch nebenher nach andern Quellen ge- griffen, die er aber verſchweigt, weil er ſie nicht als ſeine eigene directe Ausbeute geben konnte und die er doch als ſolche mit
Polizeianekdoten genug zu erzählen. Bei aller ſeiner hohen geiſtigen Befähi- gung, ſeinem größen Fleiß und Scharfſinn zog er es doch oft vor, den gordi- ſchen Knoten einer verwickelten Unterſuchung mit reckenhaftem und jedesmal glücklichem Streiche durchzuhauen. Einem alten, geſchulten Spitzbuben, wel- cher eines Silberdiebſtahls verdächtig war, rief er beim Eintritt ins Verhör- zimmer ſo imponirend mit ſeiner kräftigen Stimme entgegen: „Na, hett he de Lepels mitbröcht, de he ſtahlen hett?!“ daß der entſetzte Gauner auf der Stelle den Silberdiebſtahl eingeſtand.
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wackern, ſchon längſt verſtorbenen, aber unvergeßlichen Chriſtenſen
eine bemerkenswerthe Rolle. Obwol er eher alles andere in der
Welt war als Linguiſt, und obwol er von Weſen, Stoff und Bau
der Gaunerſprache ſo gut wie gar keine Kenntniſſe hatte, konnte
doch ſeinem großen Scharfſinn die wichtige Geltung der Gauner-
ſprache überhaupt nicht entgehen, welche ihm überall entgegentrat.
Er fing an, Vocabeln aus dem Munde ſeiner Gauner zu ſam-
meln. Bei ſeinem ſtrengen Ernſt und ſeltenen Scharfblick hätten
ſeine Jnquiſiten nicht wagen dürfen, ihn zu täuſchen oder auch
nur ſo kurz abzufertigen, wie Pfiſter’s Gauner das erſichtlich ge-
than hatten. Dieſe vollkommene perſönliche Gewährleiſtung Chri-
ſtenſen’s macht ſich denn auch in der ganzen echt gauneriſchen,
wenngleich dialektiſch ſtark verfärbten Vocabulatur durchaus gel-
tend. Man findet in dem ganzen Wortvorrath, wie das die Ver-
gleichung ergibt, die unverkennbare Erbſchaft des Dreißigjährigen
Krieges wieder, wie ſie zuerſt bei Andreas Hempel deponirt und
im weitern Erbſchaftszuge fortgegangen iſt. Doch findet man die
Maſſe bei Chriſtenſen begreiflicherweiſe mannichfach verändert und
namentlich mit jüdiſchdeutſcher und beſonders dialektiſch niederdeut-
ſcher Beimiſchung bis zur Entſtellung verſetzt. Man kann mit
Sicherheit ſagen, daß Chriſtenſen’s Gauner bei weitem offener und
beſtimmter mit ihrem linguiſtiſchen Teſtamente waren als Pfiſter’s
Gauner. Chriſtenſen hatte nur die eine einzige Quelle: den Gau-
nermund. Pfiſter hatte aber, im Gefühl der Unſicherheit ſeinen
Jnquiſiten gegenüber, noch nebenher nach andern Quellen ge-
griffen, die er aber verſchweigt, weil er ſie nicht als ſeine eigene
directe Ausbeute geben konnte und die er doch als ſolche mit
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1) Polizeianekdoten genug zu erzählen. Bei aller ſeiner hohen geiſtigen Befähi-
gung, ſeinem größen Fleiß und Scharfſinn zog er es doch oft vor, den gordi-
ſchen Knoten einer verwickelten Unterſuchung mit reckenhaftem und jedesmal
glücklichem Streiche durchzuhauen. Einem alten, geſchulten Spitzbuben, wel-
cher eines Silberdiebſtahls verdächtig war, rief er beim Eintritt ins Verhör-
zimmer ſo imponirend mit ſeiner kräftigen Stimme entgegen: „Na, hett he de
Lepels mitbröcht, de he ſtahlen hett?!“ daß der entſetzte Gauner auf der Stelle
den Silberdiebſtahl eingeſtand.
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/208>, abgerufen am 21.11.2024.
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