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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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Aus diesen Zusammenziehungen bestanden jene vielen geheim-
nißvollen zaubermystischen Geister- und Beschwörungszeichen, deren
sich die betrügerischen Astrologen und Nekromanten im Mittelalter
bedienten und welche sie für unglaubliche Summen -- es kommen
Kaufpreise von 9000 Dukaten vor für ein einziges Zeichen --
verkauften.

Es darf nicht auffallen, daß schon Agrippa von Nettesheym,
welcher von 1486--1535 lebte, dieses kabbalistische Alphabet als
bekannt und profan erklärte. 1) Tabourot führt (liv. I, chap. XXI,
fol. 159b
und besonders fol. 161 und 162), freilich schon sehr un-
klar und verwildert und mit zu großer französischer Färbung die-
selbe Kammerschrift als volksthümliche Spielerei auf und gibt dazu
Beispiele in französischer Sprache. Es ist charakteristisch, daß
Tabourot die seltsame graphische Erscheinung schon durchaus als
volksthümliche Erscheinung auffaßt, deren kabbalistischer Ursprung
ihm selbst so unklar ist, daß er entfernte Aehnlichkeit mit den
hebräischen Schriftzeichen darin findet (qui ressembleront quelque
chose a la lettre hebraique, si on veut un peu entourner les
traicts des lettres
) und bei ihrer Uebertragung in das Franzö-
sische die Kammern theils mit hebräischen, theils mit verkehrt ge-
stellten großen griechischen und lateinischen Buchstaben, ungeschickt
und willkürlich genug, abtheilt. Geschickter und klarer hat sein
Zeitgenosse, Blaise de Vigenere, in seinem sehr selten gewordenen
"Traite des chiffres" (Paris 1587, fol. 276b) die Kammerschrift
aufgefaßt, sodaß er in der Diplomatie, welche sich aber gerade
auch nicht bedeutend um den kabbalistischen Ursprung gekümmert
zu haben scheint, sondern nur ihre versteckten Zwecke verfolgte, für
den Erfinder der aus der Kammerschrift entsprungenen und bis
zur Stunde in der diplomatischen wie in der Gaunerpraxis stark

ternden Beispielen nicht besonders glücklich ist und überhaupt nicht recht klar
und unbefangen in die Kabbala hineingeblickt hat.
1) a. a. O., S. 318: "Hic modus apud Cabalistas olim magna ve-
neratione habitus, sed hodie tam communis effectus, ut fere inter pro-
phana locum sortitus sit
".

Aus dieſen Zuſammenziehungen beſtanden jene vielen geheim-
nißvollen zaubermyſtiſchen Geiſter- und Beſchwörungszeichen, deren
ſich die betrügeriſchen Aſtrologen und Nekromanten im Mittelalter
bedienten und welche ſie für unglaubliche Summen — es kommen
Kaufpreiſe von 9000 Dukaten vor für ein einziges Zeichen —
verkauften.

Es darf nicht auffallen, daß ſchon Agrippa von Nettesheym,
welcher von 1486—1535 lebte, dieſes kabbaliſtiſche Alphabet als
bekannt und profan erklärte. 1) Tabourot führt (liv. I, chap. XXI,
fol. 159b
und beſonders fol. 161 und 162), freilich ſchon ſehr un-
klar und verwildert und mit zu großer franzöſiſcher Färbung die-
ſelbe Kammerſchrift als volksthümliche Spielerei auf und gibt dazu
Beiſpiele in franzöſiſcher Sprache. Es iſt charakteriſtiſch, daß
Tabourot die ſeltſame graphiſche Erſcheinung ſchon durchaus als
volksthümliche Erſcheinung auffaßt, deren kabbaliſtiſcher Urſprung
ihm ſelbſt ſo unklar iſt, daß er entfernte Aehnlichkeit mit den
hebräiſchen Schriftzeichen darin findet (qui ressembleront quelque
chose à la lettre hebraïque, si on veut un peu entourner les
traicts des lettres
) und bei ihrer Uebertragung in das Franzö-
ſiſche die Kammern theils mit hebräiſchen, theils mit verkehrt ge-
ſtellten großen griechiſchen und lateiniſchen Buchſtaben, ungeſchickt
und willkürlich genug, abtheilt. Geſchickter und klarer hat ſein
Zeitgenoſſe, Blaiſe de Vigenère, in ſeinem ſehr ſelten gewordenen
Traité des chiffres“ (Paris 1587, fol. 276b) die Kammerſchrift
aufgefaßt, ſodaß er in der Diplomatie, welche ſich aber gerade
auch nicht bedeutend um den kabbaliſtiſchen Urſprung gekümmert
zu haben ſcheint, ſondern nur ihre verſteckten Zwecke verfolgte, für
den Erfinder der aus der Kammerſchrift entſprungenen und bis
zur Stunde in der diplomatiſchen wie in der Gaunerpraxis ſtark

ternden Beiſpielen nicht beſonders glücklich iſt und überhaupt nicht recht klar
und unbefangen in die Kabbala hineingeblickt hat.
1) a. a. O., S. 318: „Hic modus apud Cabalistas olim magna ve-
neratione habitus, sed hodie tam communis effectus, ut fere inter pro-
phana locum sortitus sit
“.
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[10/0022] Aus dieſen Zuſammenziehungen beſtanden jene vielen geheim- nißvollen zaubermyſtiſchen Geiſter- und Beſchwörungszeichen, deren ſich die betrügeriſchen Aſtrologen und Nekromanten im Mittelalter bedienten und welche ſie für unglaubliche Summen — es kommen Kaufpreiſe von 9000 Dukaten vor für ein einziges Zeichen — verkauften. Es darf nicht auffallen, daß ſchon Agrippa von Nettesheym, welcher von 1486—1535 lebte, dieſes kabbaliſtiſche Alphabet als bekannt und profan erklärte. 1) Tabourot führt (liv. I, chap. XXI, fol. 159b und beſonders fol. 161 und 162), freilich ſchon ſehr un- klar und verwildert und mit zu großer franzöſiſcher Färbung die- ſelbe Kammerſchrift als volksthümliche Spielerei auf und gibt dazu Beiſpiele in franzöſiſcher Sprache. Es iſt charakteriſtiſch, daß Tabourot die ſeltſame graphiſche Erſcheinung ſchon durchaus als volksthümliche Erſcheinung auffaßt, deren kabbaliſtiſcher Urſprung ihm ſelbſt ſo unklar iſt, daß er entfernte Aehnlichkeit mit den hebräiſchen Schriftzeichen darin findet (qui ressembleront quelque chose à la lettre hebraïque, si on veut un peu entourner les traicts des lettres) und bei ihrer Uebertragung in das Franzö- ſiſche die Kammern theils mit hebräiſchen, theils mit verkehrt ge- ſtellten großen griechiſchen und lateiniſchen Buchſtaben, ungeſchickt und willkürlich genug, abtheilt. Geſchickter und klarer hat ſein Zeitgenoſſe, Blaiſe de Vigenère, in ſeinem ſehr ſelten gewordenen „Traité des chiffres“ (Paris 1587, fol. 276b) die Kammerſchrift aufgefaßt, ſodaß er in der Diplomatie, welche ſich aber gerade auch nicht bedeutend um den kabbaliſtiſchen Urſprung gekümmert zu haben ſcheint, ſondern nur ihre verſteckten Zwecke verfolgte, für den Erfinder der aus der Kammerſchrift entſprungenen und bis zur Stunde in der diplomatiſchen wie in der Gaunerpraxis ſtark 1) 1) a. a. O., S. 318: „Hic modus apud Cabalistas olim magna ve- neratione habitus, sed hodie tam communis effectus, ut fere inter pro- phana locum sortitus sit“. 1) ternden Beiſpielen nicht beſonders glücklich iſt und überhaupt nicht recht klar und unbefangen in die Kabbala hineingeblickt hat.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/22>, abgerufen am 21.11.2024.