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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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beschreibungen und Nachweisen eben nicht besonders eingehend ist,
kann man auch keinerlei linguistische Nachweise erkennen. Doch ist
der Heimathsnachweis der 114 signalisirten Jndividuen insofern
wichtig, als daraus erhellt, wie diese fast sämmtlich dem südwest-
lichen Theile Deutschlands bis in die Schweiz hinein angehören
und somit die starke mundartige Verfärbung in den Vocabeln des
Wörterbuchs erklärlich machen. 1) Dieses leidet nun zwar zunächst
an demselben Fehler, wie das später zu besprechende Wörterbuch
Bischoff's, daß es nämlich in deutscher alphabetischer Folge einge-
richtet ist, mithin weit weniger eine durch treffende Uebersetzung
gegebene deutliche Erklärung als eine immer nur einseitig bleibende,
dürftige Uebersetzung des vereinzelten deutschen Begriffs ist, wel-
cher in der Gaunersprache weit prägnanter durch sehr vielfache
Wendungen, Zusammensetzungen und selbst Paraphrasen gegeben
und erst durch die Gesammtheit dieser Ausdrücke vollständig klar
wird. Dazu genügen selbst zwei oder drei verschiedene Ausdrucks-
formen nicht. Wenn z. B. im vorliegenden Wörterbuche S. 71
der einfache deutsche Begriff "machen" erläutert werden soll, so ge-
nügen die an sich nur in beschränkter Weise richtigen Ausdrücke
Malochen, Pflanzen, nicht: der Begriff "machen" kann auch
noch durch Fetzen, Osenen, Handeln, Scheften, Febern,
Bosseln
u. s. w. gegeben werden, von welchen jeder Ausdruck
seine eigenthümliche Beziehung zu dem Begriffe "machen" hat.
Was die Eigenthümlichkeit jeder Sprache verlangt, trifft auch ganz
besonders die versteckte Gaunersprache: jeder specifische Ausdruck
muß in seiner vollen logischen Bedeutung nach allen Seiten hin
erklärt, nicht aber allein mit der einzelnen Wortübersetzung ab-

1) Bedeutender und gehaltvoller ist die sieben Jahre später auf Verfügung
des großherzoglich badischen Ministeriums des Jnnern herausgegebene Jauner-
liste nach Angabe der in Mannheim in Untersuchung sich befindenden Jauner
und Strohmer Sebastian Amende, Adam Keller, Peter Talmond, Tobias Lau-
terbach und Jakob Stein. Leider ist dabei kein neues Wörterbuch veranstaltet
worden, das, nach der Tüchtigkeit der Redaction der interessanten Liste, auch
gewiß reichhaltiger und werthvoller ausgefallen sein würde als die frühere Liste,
zumal ersichtlich der ganze Gaunerzug sich von Schwaben durch Baiern nach
Oesterreich hinein bewegt zu haben scheint.

beſchreibungen und Nachweiſen eben nicht beſonders eingehend iſt,
kann man auch keinerlei linguiſtiſche Nachweiſe erkennen. Doch iſt
der Heimathsnachweis der 114 ſignaliſirten Jndividuen inſofern
wichtig, als daraus erhellt, wie dieſe faſt ſämmtlich dem ſüdweſt-
lichen Theile Deutſchlands bis in die Schweiz hinein angehören
und ſomit die ſtarke mundartige Verfärbung in den Vocabeln des
Wörterbuchs erklärlich machen. 1) Dieſes leidet nun zwar zunächſt
an demſelben Fehler, wie das ſpäter zu beſprechende Wörterbuch
Biſchoff’s, daß es nämlich in deutſcher alphabetiſcher Folge einge-
richtet iſt, mithin weit weniger eine durch treffende Ueberſetzung
gegebene deutliche Erklärung als eine immer nur einſeitig bleibende,
dürftige Ueberſetzung des vereinzelten deutſchen Begriffs iſt, wel-
cher in der Gaunerſprache weit prägnanter durch ſehr vielfache
Wendungen, Zuſammenſetzungen und ſelbſt Paraphraſen gegeben
und erſt durch die Geſammtheit dieſer Ausdrücke vollſtändig klar
wird. Dazu genügen ſelbſt zwei oder drei verſchiedene Ausdrucks-
formen nicht. Wenn z. B. im vorliegenden Wörterbuche S. 71
der einfache deutſche Begriff „machen“ erläutert werden ſoll, ſo ge-
nügen die an ſich nur in beſchränkter Weiſe richtigen Ausdrücke
Malochen, Pflanzen, nicht: der Begriff „machen“ kann auch
noch durch Fetzen, Oſenen, Handeln, Scheften, Febern,
Boſſeln
u. ſ. w. gegeben werden, von welchen jeder Ausdruck
ſeine eigenthümliche Beziehung zu dem Begriffe „machen“ hat.
Was die Eigenthümlichkeit jeder Sprache verlangt, trifft auch ganz
beſonders die verſteckte Gaunerſprache: jeder ſpecifiſche Ausdruck
muß in ſeiner vollen logiſchen Bedeutung nach allen Seiten hin
erklärt, nicht aber allein mit der einzelnen Wortüberſetzung ab-

1) Bedeutender und gehaltvoller iſt die ſieben Jahre ſpäter auf Verfügung
des großherzoglich badiſchen Miniſteriums des Jnnern herausgegebene Jauner-
liſte nach Angabe der in Mannheim in Unterſuchung ſich befindenden Jauner
und Strohmer Sebaſtian Amende, Adam Keller, Peter Talmond, Tobias Lau-
terbach und Jakob Stein. Leider iſt dabei kein neues Wörterbuch veranſtaltet
worden, das, nach der Tüchtigkeit der Redaction der intereſſanten Liſte, auch
gewiß reichhaltiger und werthvoller ausgefallen ſein würde als die frühere Liſte,
zumal erſichtlich der ganze Gaunerzug ſich von Schwaben durch Baiern nach
Oeſterreich hinein bewegt zu haben ſcheint.
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[231/0243] beſchreibungen und Nachweiſen eben nicht beſonders eingehend iſt, kann man auch keinerlei linguiſtiſche Nachweiſe erkennen. Doch iſt der Heimathsnachweis der 114 ſignaliſirten Jndividuen inſofern wichtig, als daraus erhellt, wie dieſe faſt ſämmtlich dem ſüdweſt- lichen Theile Deutſchlands bis in die Schweiz hinein angehören und ſomit die ſtarke mundartige Verfärbung in den Vocabeln des Wörterbuchs erklärlich machen. 1) Dieſes leidet nun zwar zunächſt an demſelben Fehler, wie das ſpäter zu beſprechende Wörterbuch Biſchoff’s, daß es nämlich in deutſcher alphabetiſcher Folge einge- richtet iſt, mithin weit weniger eine durch treffende Ueberſetzung gegebene deutliche Erklärung als eine immer nur einſeitig bleibende, dürftige Ueberſetzung des vereinzelten deutſchen Begriffs iſt, wel- cher in der Gaunerſprache weit prägnanter durch ſehr vielfache Wendungen, Zuſammenſetzungen und ſelbſt Paraphraſen gegeben und erſt durch die Geſammtheit dieſer Ausdrücke vollſtändig klar wird. Dazu genügen ſelbſt zwei oder drei verſchiedene Ausdrucks- formen nicht. Wenn z. B. im vorliegenden Wörterbuche S. 71 der einfache deutſche Begriff „machen“ erläutert werden ſoll, ſo ge- nügen die an ſich nur in beſchränkter Weiſe richtigen Ausdrücke Malochen, Pflanzen, nicht: der Begriff „machen“ kann auch noch durch Fetzen, Oſenen, Handeln, Scheften, Febern, Boſſeln u. ſ. w. gegeben werden, von welchen jeder Ausdruck ſeine eigenthümliche Beziehung zu dem Begriffe „machen“ hat. Was die Eigenthümlichkeit jeder Sprache verlangt, trifft auch ganz beſonders die verſteckte Gaunerſprache: jeder ſpecifiſche Ausdruck muß in ſeiner vollen logiſchen Bedeutung nach allen Seiten hin erklärt, nicht aber allein mit der einzelnen Wortüberſetzung ab- 1) Bedeutender und gehaltvoller iſt die ſieben Jahre ſpäter auf Verfügung des großherzoglich badiſchen Miniſteriums des Jnnern herausgegebene Jauner- liſte nach Angabe der in Mannheim in Unterſuchung ſich befindenden Jauner und Strohmer Sebaſtian Amende, Adam Keller, Peter Talmond, Tobias Lau- terbach und Jakob Stein. Leider iſt dabei kein neues Wörterbuch veranſtaltet worden, das, nach der Tüchtigkeit der Redaction der intereſſanten Liſte, auch gewiß reichhaltiger und werthvoller ausgefallen ſein würde als die frühere Liſte, zumal erſichtlich der ganze Gaunerzug ſich von Schwaben durch Baiern nach Oeſterreich hinein bewegt zu haben ſcheint.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/243>, abgerufen am 21.11.2024.