christlichen Betriebsgenossen unterschieden!" Thiele statuirt also ein specifisch jüdisches Gaunerthum. Wie grundfalsch diese unerhörte Aufstellung ist, das beweist die ganze bisherige Darstellung der Geschichte, Literatur, Kunst und Sprache des Gaunerthums. Aber Thiele selbst konnte nicht ernstlich an sein specifisch jüdisches Gau- nerthum glauben. Auf den ersten Blick in sein Wörterbuch erkennt man, was ihn zu seiner Aufstellung brachte. Jhm war Gottfried Selig's Handbuch der jüdischdeutschen Sprache in die Hände ge- rathen, und dies Handbuch, in welchem charakteristisch auch noch die Aussprache der mit deutschrabbinischen Lettern gegebenen vielen jüdischdeutschen Vocabeln mit lateinischen Lettern in niedersächsi- schem Dialekt beigedruckt ist, ward sein Orakel. Er war auch hier eitel und literarisch unaufrichtig genug, diese seine Hauptquelle ganz zu verschweigen. Das Judendeutsch war noch niemals gram- matisch bearbeitet und noch niemals den von Thiele "zunächst mit seinem Buche bewidmeten Criminal- und Polizeibeamten" genauer bekannt geworden; die überwiegend größte Zahl der Löwenthal'- schen Jnquisiten bestand aus Juden, welche sämmtlich das Juden- deutsch gründlich kannten und als gewöhnliche jüdische Volks- umgangssprache kennen mußten: es war leicht zu wagen, unter dem Glanz und Credit der großartigen Löwenthal'schen Unter- suchung das aus Selig's jüdischem Handbuch, ohne Kenntniß, ohne Wahl und Kritik, mit allen vielen Sprach-, Verständniß- und Druckfehlern Zusammengelesene den Unkundigen als Gaunersprache zu geben, der zusammengelesenen Masse den Schein der Offen- barung aus dem Munde der Jnquisiten zu verleihen und somit auch das eitle Dogma eines specifisch jüdischen Gaunerthums auf- zustellen.
So gespreizt Thiele auch über Grolman und seine Vorgän- ger urtheilt, so breit er sich macht, um sich das Ansehen von Kenntniß und Befähigung zur kritischen Beurtheilung der jüdisch- deutschen Sprache zu geben: so bestimmt geht aus seinem ganzen Werke hervor, daß er nicht einmal die hebräischen Buchstaben (Quadratschrift), geschweige denn die deutschrabbinischen der jüdisch- deutschen Sprache gekannt hat, obwol er hier und da in Noten
Ave-Lallemant, Gaunerthum. IV. 17
chriſtlichen Betriebsgenoſſen unterſchieden!“ Thiele ſtatuirt alſo ein ſpecifiſch jüdiſches Gaunerthum. Wie grundfalſch dieſe unerhörte Aufſtellung iſt, das beweiſt die ganze bisherige Darſtellung der Geſchichte, Literatur, Kunſt und Sprache des Gaunerthums. Aber Thiele ſelbſt konnte nicht ernſtlich an ſein ſpecifiſch jüdiſches Gau- nerthum glauben. Auf den erſten Blick in ſein Wörterbuch erkennt man, was ihn zu ſeiner Aufſtellung brachte. Jhm war Gottfried Selig’s Handbuch der jüdiſchdeutſchen Sprache in die Hände ge- rathen, und dies Handbuch, in welchem charakteriſtiſch auch noch die Ausſprache der mit deutſchrabbiniſchen Lettern gegebenen vielen jüdiſchdeutſchen Vocabeln mit lateiniſchen Lettern in niederſächſi- ſchem Dialekt beigedruckt iſt, ward ſein Orakel. Er war auch hier eitel und literariſch unaufrichtig genug, dieſe ſeine Hauptquelle ganz zu verſchweigen. Das Judendeutſch war noch niemals gram- matiſch bearbeitet und noch niemals den von Thiele „zunächſt mit ſeinem Buche bewidmeten Criminal- und Polizeibeamten“ genauer bekannt geworden; die überwiegend größte Zahl der Löwenthal’- ſchen Jnquiſiten beſtand aus Juden, welche ſämmtlich das Juden- deutſch gründlich kannten und als gewöhnliche jüdiſche Volks- umgangsſprache kennen mußten: es war leicht zu wagen, unter dem Glanz und Credit der großartigen Löwenthal’ſchen Unter- ſuchung das aus Selig’s jüdiſchem Handbuch, ohne Kenntniß, ohne Wahl und Kritik, mit allen vielen Sprach-, Verſtändniß- und Druckfehlern Zuſammengeleſene den Unkundigen als Gaunerſprache zu geben, der zuſammengeleſenen Maſſe den Schein der Offen- barung aus dem Munde der Jnquiſiten zu verleihen und ſomit auch das eitle Dogma eines ſpecifiſch jüdiſchen Gaunerthums auf- zuſtellen.
So geſpreizt Thiele auch über Grolman und ſeine Vorgän- ger urtheilt, ſo breit er ſich macht, um ſich das Anſehen von Kenntniß und Befähigung zur kritiſchen Beurtheilung der jüdiſch- deutſchen Sprache zu geben: ſo beſtimmt geht aus ſeinem ganzen Werke hervor, daß er nicht einmal die hebräiſchen Buchſtaben (Quadratſchrift), geſchweige denn die deutſchrabbiniſchen der jüdiſch- deutſchen Sprache gekannt hat, obwol er hier und da in Noten
Avé-Lallemant, Gaunerthum. IV. 17
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chriſtlichen Betriebsgenoſſen unterſchieden!“ Thiele ſtatuirt alſo ein
ſpecifiſch jüdiſches Gaunerthum. Wie grundfalſch dieſe unerhörte
Aufſtellung iſt, das beweiſt die ganze bisherige Darſtellung der
Geſchichte, Literatur, Kunſt und Sprache des Gaunerthums. Aber
Thiele ſelbſt konnte nicht ernſtlich an ſein ſpecifiſch jüdiſches Gau-
nerthum glauben. Auf den erſten Blick in ſein Wörterbuch erkennt
man, was ihn zu ſeiner Aufſtellung brachte. Jhm war Gottfried
Selig’s Handbuch der jüdiſchdeutſchen Sprache in die Hände ge-
rathen, und dies Handbuch, in welchem charakteriſtiſch auch noch
die Ausſprache der mit deutſchrabbiniſchen Lettern gegebenen vielen
jüdiſchdeutſchen Vocabeln mit lateiniſchen Lettern in niederſächſi-
ſchem Dialekt beigedruckt iſt, ward ſein Orakel. Er war auch hier
eitel und literariſch unaufrichtig genug, dieſe ſeine Hauptquelle
ganz zu verſchweigen. Das Judendeutſch war noch niemals gram-
matiſch bearbeitet und noch niemals den von Thiele „zunächſt mit
ſeinem Buche bewidmeten Criminal- und Polizeibeamten“ genauer
bekannt geworden; die überwiegend größte Zahl der Löwenthal’-
ſchen Jnquiſiten beſtand aus Juden, welche ſämmtlich das Juden-
deutſch gründlich kannten und als gewöhnliche jüdiſche Volks-
umgangsſprache kennen mußten: es war leicht zu wagen, unter
dem Glanz und Credit der großartigen Löwenthal’ſchen Unter-
ſuchung das aus Selig’s jüdiſchem Handbuch, ohne Kenntniß,
ohne Wahl und Kritik, mit allen vielen Sprach-, Verſtändniß- und
Druckfehlern Zuſammengeleſene den Unkundigen als Gaunerſprache
zu geben, der zuſammengeleſenen Maſſe den Schein der Offen-
barung aus dem Munde der Jnquiſiten zu verleihen und ſomit
auch das eitle Dogma eines ſpecifiſch jüdiſchen Gaunerthums auf-
zuſtellen.
So geſpreizt Thiele auch über Grolman und ſeine Vorgän-
ger urtheilt, ſo breit er ſich macht, um ſich das Anſehen von
Kenntniß und Befähigung zur kritiſchen Beurtheilung der jüdiſch-
deutſchen Sprache zu geben: ſo beſtimmt geht aus ſeinem ganzen
Werke hervor, daß er nicht einmal die hebräiſchen Buchſtaben
(Quadratſchrift), geſchweige denn die deutſchrabbiniſchen der jüdiſch-
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/269>, abgerufen am 24.11.2024.
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