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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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die starke dialektische Modulation selbst fremdsprachlicher Wörter,
welche sonst die deutsche Sprache der Bildung nach bestimmten
einfachen Regeln aufnimmt und flectirt, in der Gaunersprache als
eine bei weitem auffallendere gesuchte Operation. Während die
eigenthümliche Hospitalität der deutschen Schriftsprache fremden
Wörtern, welche sie aufgenommen hat, gern ihre Eigenthümlichkeit
in Laut und Betonung läßt und im allgemeinen nach der Ana-
logie ursprünglich deutscher Wörter flectirt, unterwirft die Gauner-
sprache die Fremdwörter einer sehr willkürlichen, bunten, deutsch-
mundartigen Modulation, sodaß sehr häufig die Fremdwörter in
ihrer Ursprünglichkeit kaum noch zu erkennen sind. Wenn auch
schon das Jüdischdeutsche in Norddeutschland merklich (und zwar
je weiter nach Norden herauf, desto bestimmter) der Dehnung und
Diphthongirung der Vocale sich hingibt und nach Osten in der
Verdünnung der Vocale und in der Fülle der Consonanten der
slawischen Nachbarschaft sich zuneigt, im Süden und Südwesten
aber, gleich der deutschen Schriftsprache, mit bestimmterer Selbst-
ständigkeit gegen das Französische sich abschließt, welches letztere
fast nur in der Gegend von Aachen und Trier einen allerdings
sehr widerlichen Einfluß auf die deutsche Sprache ausübt: so läßt die
Gaunersprache für ihre Fremdwörter jegliche deutschdialektische Mo-
dulation zu, sodaß ein und dasselbe Wort in der buntesten Va-
riation vorkommt. Die von Thiele, a. a. O., S. 207, an Grol-
man so arg gerügten Beispiele geben zum Theil die besten Belege:
[irrelevantes Material - Zeichen fehlt], keleb, kelew, Hund, Kelov, Keilov, Kalef, Kolof, Keilef,
Kelef, Kohluf, Giluf, Klöbe. [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], chajus, Leben, Lebhaftigkeit,
Chajes, Chaijes, Cayes, Hayes, Kais, Gais. [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], chebel,
chewel,
Pl. [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], chabolim, Chawohl, Gewol, Gawohl, Ge-
wel, Kabel (niederdeutsch), Kabohl, Kehbel. [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], challon, Fen-
ster, Chalon, Chalm, Chalom, Galon, Gallon, Kalon, Kallen,
Kahlaum. Böhmisch: poljwka, polewka, Suppe, Bolifke, Belifke,
Belifska, Bellifte, Beliffe, Polifte, Wolfke. Zigeunerisch: tschor,
Dieb, tschoraf, stehlen, Schur, Schurer, tschornen, schuren, scho-
ren. Französisch: fenetre (phanestra, phainein, lat. fenestra, span.
finiestra, schwed. fenster, niederd. Finster), Feneter, Fenette, Finet-

die ſtarke dialektiſche Modulation ſelbſt fremdſprachlicher Wörter,
welche ſonſt die deutſche Sprache der Bildung nach beſtimmten
einfachen Regeln aufnimmt und flectirt, in der Gaunerſprache als
eine bei weitem auffallendere geſuchte Operation. Während die
eigenthümliche Hoſpitalität der deutſchen Schriftſprache fremden
Wörtern, welche ſie aufgenommen hat, gern ihre Eigenthümlichkeit
in Laut und Betonung läßt und im allgemeinen nach der Ana-
logie urſprünglich deutſcher Wörter flectirt, unterwirft die Gauner-
ſprache die Fremdwörter einer ſehr willkürlichen, bunten, deutſch-
mundartigen Modulation, ſodaß ſehr häufig die Fremdwörter in
ihrer Urſprünglichkeit kaum noch zu erkennen ſind. Wenn auch
ſchon das Jüdiſchdeutſche in Norddeutſchland merklich (und zwar
je weiter nach Norden herauf, deſto beſtimmter) der Dehnung und
Diphthongirung der Vocale ſich hingibt und nach Oſten in der
Verdünnung der Vocale und in der Fülle der Conſonanten der
ſlawiſchen Nachbarſchaft ſich zuneigt, im Süden und Südweſten
aber, gleich der deutſchen Schriftſprache, mit beſtimmterer Selbſt-
ſtändigkeit gegen das Franzöſiſche ſich abſchließt, welches letztere
faſt nur in der Gegend von Aachen und Trier einen allerdings
ſehr widerlichen Einfluß auf die deutſche Sprache ausübt: ſo läßt die
Gaunerſprache für ihre Fremdwörter jegliche deutſchdialektiſche Mo-
dulation zu, ſodaß ein und daſſelbe Wort in der bunteſten Va-
riation vorkommt. Die von Thiele, a. a. O., S. 207, an Grol-
man ſo arg gerügten Beiſpiele geben zum Theil die beſten Belege:
[irrelevantes Material – Zeichen fehlt], keleb, kelew, Hund, Kelov, Keilov, Kalef, Kolof, Keilef,
Kelef, Kohluf, Giluf, Klöbe. [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], chajus, Leben, Lebhaftigkeit,
Chajes, Chaijes, Cayes, Hayes, Kais, Gais. [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], chebel,
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Pl. [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], chabolim, Chawohl, Gewol, Gawohl, Ge-
wel, Kabel (niederdeutſch), Kabohl, Kehbel. [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], challon, Fen-
ſter, Chalon, Chalm, Chalom, Galon, Gallon, Kalon, Kallen,
Kahlaum. Böhmiſch: poljwka, polewka, Suppe, Bolifke, Belifke,
Belifska, Bellifte, Beliffe, Polifte, Wolfke. Zigeuneriſch: tschor,
Dieb, tschoraf, ſtehlen, Schur, Schurer, tſchornen, ſchuren, ſcho-
ren. Franzöſiſch: fenêtre (φανέστρα, φαίνειν, lat. fenestra, ſpan.
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[278/0290] die ſtarke dialektiſche Modulation ſelbſt fremdſprachlicher Wörter, welche ſonſt die deutſche Sprache der Bildung nach beſtimmten einfachen Regeln aufnimmt und flectirt, in der Gaunerſprache als eine bei weitem auffallendere geſuchte Operation. Während die eigenthümliche Hoſpitalität der deutſchen Schriftſprache fremden Wörtern, welche ſie aufgenommen hat, gern ihre Eigenthümlichkeit in Laut und Betonung läßt und im allgemeinen nach der Ana- logie urſprünglich deutſcher Wörter flectirt, unterwirft die Gauner- ſprache die Fremdwörter einer ſehr willkürlichen, bunten, deutſch- mundartigen Modulation, ſodaß ſehr häufig die Fremdwörter in ihrer Urſprünglichkeit kaum noch zu erkennen ſind. Wenn auch ſchon das Jüdiſchdeutſche in Norddeutſchland merklich (und zwar je weiter nach Norden herauf, deſto beſtimmter) der Dehnung und Diphthongirung der Vocale ſich hingibt und nach Oſten in der Verdünnung der Vocale und in der Fülle der Conſonanten der ſlawiſchen Nachbarſchaft ſich zuneigt, im Süden und Südweſten aber, gleich der deutſchen Schriftſprache, mit beſtimmterer Selbſt- ſtändigkeit gegen das Franzöſiſche ſich abſchließt, welches letztere faſt nur in der Gegend von Aachen und Trier einen allerdings ſehr widerlichen Einfluß auf die deutſche Sprache ausübt: ſo läßt die Gaunerſprache für ihre Fremdwörter jegliche deutſchdialektiſche Mo- dulation zu, ſodaß ein und daſſelbe Wort in der bunteſten Va- riation vorkommt. Die von Thiele, a. a. O., S. 207, an Grol- man ſo arg gerügten Beiſpiele geben zum Theil die beſten Belege: _ , keleb, kelew, Hund, Kelov, Keilov, Kalef, Kolof, Keilef, Kelef, Kohluf, Giluf, Klöbe. _ , chajus, Leben, Lebhaftigkeit, Chajes, Chaijes, Cayes, Hayes, Kais, Gais. _ , chebel, chewel, Pl. _ , chabolim, Chawohl, Gewol, Gawohl, Ge- wel, Kabel (niederdeutſch), Kabohl, Kehbel. _ , challon, Fen- ſter, Chalon, Chalm, Chalom, Galon, Gallon, Kalon, Kallen, Kahlaum. Böhmiſch: poljwka, polewka, Suppe, Bolifke, Belifke, Belifska, Bellifte, Beliffe, Polifte, Wolfke. Zigeuneriſch: tschor, Dieb, tschoraf, ſtehlen, Schur, Schurer, tſchornen, ſchuren, ſcho- ren. Franzöſiſch: fenêtre (φανέστρα, φαίνειν, lat. fenestra, ſpan. finiestra, ſchwed. fenster, niederd. Finſter), Feneter, Fenette, Finet-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/290>, abgerufen am 24.11.2024.