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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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z. B. der Kelch zu Kelef, Kelf (Hund) 1), Kedescho (Metze)
für Kedoscho, die Heilige; Kedeschim (Metzen) für Kedoschim,
die heiligen Jungfrauen; Taschmidim (Vertilgte, Ausgestoßene)
für Talmidim, die Apostel; Kessach (Ausschneidung, Vernichtung)
für Pessach, Ostern. Andere Wortspiele, von welchen Bibliophilus
viele Blasphemien, Tendlau aber eine Menge interessanter volks-
thümlicher Beispiele anführt, findet man im Wörterbuch.

Hinsichtlich der Syntax der Gaunersprache ist weiter nichts
zu sagen, als was bereits Th. III, S. 400 fg. in den syntaktischen
Bemerkungen über die deutsche Volkssprache und über die jüdisch-
deutsche Sprache als deutsche Volkssprache gesagt ist. Zum Schluß
mag hier noch angeführt werden, was Pott, a. a. O., II, 11,
mit treffendem Einblick in die Gaunersprache sagt: "Die ganze
Syntax, ja selbst die Bildungs- und Umbildungsgesetze der Wör-
ter halten sich im ganzen gleichfalls innerhalb der Landessprache,
indem nur der Wortschatz sich wesentlich davon entfernt. Zweck
der Spitzbubensprachen ist ganz eigentlich, wenn auch in niedrig-
ster Sphäre, ein diplomatischer, oder jener von Talleyrand der
menschlichen Sprache überhaupt nicht ohne einen gewissen Ernst un-
tergeschobene: "Mittel zu sein zur Verbergung seiner Gedanken",
und auf dies Ziel, wenigstens allen Uneingeweiheten möglichst
unzugänglich zu sein und zu bleiben, haben sie natürlich hinzu-
arbeiten. Jnsofern jedoch, als Verständniß für die Einge-
weihten,
nicht minder als Ausschliessung aller Uebrigen eine,
von ihnen selbst anzuerkennende Bedingung ihrer Existenz ist,
müssen sie unaufhörlichem Wandel mindestens in ihrer Gesammt-
erscheinung entsagen und so mit einer gewissen unabweisbaren
Stetigkeit 2) sogleich in sich die Möglichkeit des Verrathes an An-

1) Vgl. das "Wörterbuch von St.-Georgen am See", Kap. 24, sowie
den "Jüdischen Sprachmeister" von Bibliophilus (1742, S. 72--81), welcher
mit Erbitterung eine Menge solcher Lästerungen aufführt.
2) "Eine solche", setzt Pott in der Note hinzu, "ergibt sich mir nament-
lich aus dem deutschen Rotwälsch, in welchem bei allerdings vorkommendem
Wechsel im einzelnen je nach Zeit und Ort, sich doch in der Masse große Be-
ständigkeit zeigt. -- Einige Verwunderung erregt, daß sich nicht selten, wie in

z. B. der Kelch zu Kelef, Kelf (Hund) 1), Kedeſcho (Metze)
für Kedoſcho, die Heilige; Kedeſchim (Metzen) für Kedoſchim,
die heiligen Jungfrauen; Taſchmidim (Vertilgte, Ausgeſtoßene)
für Talmidim, die Apoſtel; Keſſach (Ausſchneidung, Vernichtung)
für Peſſach, Oſtern. Andere Wortſpiele, von welchen Bibliophilus
viele Blasphemien, Tendlau aber eine Menge intereſſanter volks-
thümlicher Beiſpiele anführt, findet man im Wörterbuch.

Hinſichtlich der Syntax der Gaunerſprache iſt weiter nichts
zu ſagen, als was bereits Th. III, S. 400 fg. in den ſyntaktiſchen
Bemerkungen über die deutſche Volksſprache und über die jüdiſch-
deutſche Sprache als deutſche Volksſprache geſagt iſt. Zum Schluß
mag hier noch angeführt werden, was Pott, a. a. O., II, 11,
mit treffendem Einblick in die Gaunerſprache ſagt: „Die ganze
Syntax, ja ſelbſt die Bildungs- und Umbildungsgeſetze der Wör-
ter halten ſich im ganzen gleichfalls innerhalb der Landesſprache,
indem nur der Wortſchatz ſich weſentlich davon entfernt. Zweck
der Spitzbubenſprachen iſt ganz eigentlich, wenn auch in niedrig-
ſter Sphäre, ein diplomatiſcher, oder jener von Talleyrand der
menſchlichen Sprache überhaupt nicht ohne einen gewiſſen Ernſt un-
tergeſchobene: «Mittel zu ſein zur Verbergung ſeiner Gedanken»,
und auf dies Ziel, wenigſtens allen Uneingeweiheten möglichſt
unzugänglich zu ſein und zu bleiben, haben ſie natürlich hinzu-
arbeiten. Jnſofern jedoch, als Verſtändniß für die Einge-
weihten,
nicht minder als Ausſchlieſſung aller Uebrigen eine,
von ihnen ſelbſt anzuerkennende Bedingung ihrer Exiſtenz iſt,
müſſen ſie unaufhörlichem Wandel mindeſtens in ihrer Geſammt-
erſcheinung entſagen und ſo mit einer gewiſſen unabweisbaren
Stetigkeit 2) ſogleich in ſich die Möglichkeit des Verrathes an An-

1) Vgl. das „Wörterbuch von St.-Georgen am See“, Kap. 24, ſowie
den „Jüdiſchen Sprachmeiſter“ von Bibliophilus (1742, S. 72—81), welcher
mit Erbitterung eine Menge ſolcher Läſterungen aufführt.
2) „Eine ſolche“, ſetzt Pott in der Note hinzu, „ergibt ſich mir nament-
lich aus dem deutſchen Rotwälſch, in welchem bei allerdings vorkommendem
Wechſel im einzelnen je nach Zeit und Ort, ſich doch in der Maſſe große Be-
ſtändigkeit zeigt. — Einige Verwunderung erregt, daß ſich nicht ſelten, wie in
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[312/0324] z. B. der Kelch zu Kelef, Kelf (Hund) 1), Kedeſcho (Metze) für Kedoſcho, die Heilige; Kedeſchim (Metzen) für Kedoſchim, die heiligen Jungfrauen; Taſchmidim (Vertilgte, Ausgeſtoßene) für Talmidim, die Apoſtel; Keſſach (Ausſchneidung, Vernichtung) für Peſſach, Oſtern. Andere Wortſpiele, von welchen Bibliophilus viele Blasphemien, Tendlau aber eine Menge intereſſanter volks- thümlicher Beiſpiele anführt, findet man im Wörterbuch. Hinſichtlich der Syntax der Gaunerſprache iſt weiter nichts zu ſagen, als was bereits Th. III, S. 400 fg. in den ſyntaktiſchen Bemerkungen über die deutſche Volksſprache und über die jüdiſch- deutſche Sprache als deutſche Volksſprache geſagt iſt. Zum Schluß mag hier noch angeführt werden, was Pott, a. a. O., II, 11, mit treffendem Einblick in die Gaunerſprache ſagt: „Die ganze Syntax, ja ſelbſt die Bildungs- und Umbildungsgeſetze der Wör- ter halten ſich im ganzen gleichfalls innerhalb der Landesſprache, indem nur der Wortſchatz ſich weſentlich davon entfernt. Zweck der Spitzbubenſprachen iſt ganz eigentlich, wenn auch in niedrig- ſter Sphäre, ein diplomatiſcher, oder jener von Talleyrand der menſchlichen Sprache überhaupt nicht ohne einen gewiſſen Ernſt un- tergeſchobene: «Mittel zu ſein zur Verbergung ſeiner Gedanken», und auf dies Ziel, wenigſtens allen Uneingeweiheten möglichſt unzugänglich zu ſein und zu bleiben, haben ſie natürlich hinzu- arbeiten. Jnſofern jedoch, als Verſtändniß für die Einge- weihten, nicht minder als Ausſchlieſſung aller Uebrigen eine, von ihnen ſelbſt anzuerkennende Bedingung ihrer Exiſtenz iſt, müſſen ſie unaufhörlichem Wandel mindeſtens in ihrer Geſammt- erſcheinung entſagen und ſo mit einer gewiſſen unabweisbaren Stetigkeit 2) ſogleich in ſich die Möglichkeit des Verrathes an An- 1) Vgl. das „Wörterbuch von St.-Georgen am See“, Kap. 24, ſowie den „Jüdiſchen Sprachmeiſter“ von Bibliophilus (1742, S. 72—81), welcher mit Erbitterung eine Menge ſolcher Läſterungen aufführt. 2) „Eine ſolche“, ſetzt Pott in der Note hinzu, „ergibt ſich mir nament- lich aus dem deutſchen Rotwälſch, in welchem bei allerdings vorkommendem Wechſel im einzelnen je nach Zeit und Ort, ſich doch in der Maſſe große Be- ſtändigkeit zeigt. — Einige Verwunderung erregt, daß ſich nicht ſelten, wie in

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/324>, abgerufen am 24.11.2024.