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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862.

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ders ist der Hinblick auf die Zeit der Aufnahme eines Wortes für
die richtige Erkennung der Wortwurzel deshalb wichtig, weil das
fremdwurzelhafte Stammwort in älterer Zeit noch wenig durch die
dialektische Verfärbung gelitten hat. So ist man leicht versucht,
nach der neuern Schreibung Gehege, Spital, vom deutschen
hegen, mit Beziehung auf die Abgeschlossenheit der Spitäler, ab-
zuleiten, während die wenn auch immer schon dialektisch entstellte
Schreibung des Liber Vagatorum Hegiß ist, welches leicht auf
die richtige Stammwurzel [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], kus, [irrelevantes Material - Zeichen fehlt], hekis, er hat zur Ader
gelassen, führt.

Aber auch Land und Ort, wo die Sammlung entstanden
ist, muß berücksichtigt werden. Aus den Sammlungen erkennt
man nicht nur die Zusammensetzung und den Geist der specifischen
Gruppe, aus deren Munde und geoffenbartem Leben der Wort-
vorrath gesammelt war: man sieht auch bei dem freien Rechte
alles Dialektischen in der Gaunersprache das als gaunerisches Ge-
sammtgut längst statuirte specifisch Dialektische des entlegenen Orts
der Sammlung häufig einer neuen dialektisch veränderten Redaction
unterworfen, sodaß man oft nicht einmal die ursprüngliche Wurzel
zu erkennen vermag und daß der ungeübte Blick leider nur zu oft
auf ganz wunderliche Etymologien geräth, wovon namentlich Fran-
cisque-Michel in seinem "Argot" und Thiele in seinen "Jüdi-
schen Gaunern" die frappantesten Proben geben. Auf der andern
Seite darf man aber auch wieder auf das oft willkürlich zur vor-
herrschenden Geltung gebrachte Dialektische des Redactionsorts kein
zu großes Gewicht legen, sondern muß -- und das ist sehr zu
beachten bei Sammlungen, welche bei größern und wichtigern
Untersuchungen aus den Acten und dem Munde der Jnquisiten
zusammengetragen sind -- immer auch auf die Herkunft und auf
den hauptsächlichsten frühern Verkehr und Aufenthalt der Jnqui-
siten oder Sträflinge sehen. Die Polizeidirection zu Hannover hat
hier ein sehr zur Nachahmung zu empfehlendes Beispiel gegeben,
indem sie vor wenigen Jahren in sämmtlichen Strafanstalten aus
dem Munde der Sträflinge eine Sammlung von Gaunerwörtern
zusammentragen ließ, welche, wenn auch nur klein an Umfang,

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ders iſt der Hinblick auf die Zeit der Aufnahme eines Wortes für
die richtige Erkennung der Wortwurzel deshalb wichtig, weil das
fremdwurzelhafte Stammwort in älterer Zeit noch wenig durch die
dialektiſche Verfärbung gelitten hat. So iſt man leicht verſucht,
nach der neuern Schreibung Gehege, Spital, vom deutſchen
hegen, mit Beziehung auf die Abgeſchloſſenheit der Spitäler, ab-
zuleiten, während die wenn auch immer ſchon dialektiſch entſtellte
Schreibung des Liber Vagatorum Hegiß iſt, welches leicht auf
die richtige Stammwurzel [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], kus, [irrelevantes Material – Zeichen fehlt], hekis, er hat zur Ader
gelaſſen, führt.

Aber auch Land und Ort, wo die Sammlung entſtanden
iſt, muß berückſichtigt werden. Aus den Sammlungen erkennt
man nicht nur die Zuſammenſetzung und den Geiſt der ſpecifiſchen
Gruppe, aus deren Munde und geoffenbartem Leben der Wort-
vorrath geſammelt war: man ſieht auch bei dem freien Rechte
alles Dialektiſchen in der Gaunerſprache das als gauneriſches Ge-
ſammtgut längſt ſtatuirte ſpecifiſch Dialektiſche des entlegenen Orts
der Sammlung häufig einer neuen dialektiſch veränderten Redaction
unterworfen, ſodaß man oft nicht einmal die urſprüngliche Wurzel
zu erkennen vermag und daß der ungeübte Blick leider nur zu oft
auf ganz wunderliche Etymologien geräth, wovon namentlich Fran-
cisque-Michel in ſeinem „Argot“ und Thiele in ſeinen „Jüdi-
ſchen Gaunern“ die frappanteſten Proben geben. Auf der andern
Seite darf man aber auch wieder auf das oft willkürlich zur vor-
herrſchenden Geltung gebrachte Dialektiſche des Redactionsorts kein
zu großes Gewicht legen, ſondern muß — und das iſt ſehr zu
beachten bei Sammlungen, welche bei größern und wichtigern
Unterſuchungen aus den Acten und dem Munde der Jnquiſiten
zuſammengetragen ſind — immer auch auf die Herkunft und auf
den hauptſächlichſten frühern Verkehr und Aufenthalt der Jnqui-
ſiten oder Sträflinge ſehen. Die Polizeidirection zu Hannover hat
hier ein ſehr zur Nachahmung zu empfehlendes Beiſpiel gegeben,
indem ſie vor wenigen Jahren in ſämmtlichen Strafanſtalten aus
dem Munde der Sträflinge eine Sammlung von Gaunerwörtern
zuſammentragen ließ, welche, wenn auch nur klein an Umfang,

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[51/0063] ders iſt der Hinblick auf die Zeit der Aufnahme eines Wortes für die richtige Erkennung der Wortwurzel deshalb wichtig, weil das fremdwurzelhafte Stammwort in älterer Zeit noch wenig durch die dialektiſche Verfärbung gelitten hat. So iſt man leicht verſucht, nach der neuern Schreibung Gehege, Spital, vom deutſchen hegen, mit Beziehung auf die Abgeſchloſſenheit der Spitäler, ab- zuleiten, während die wenn auch immer ſchon dialektiſch entſtellte Schreibung des Liber Vagatorum Hegiß iſt, welches leicht auf die richtige Stammwurzel _ , kus, _ , hekis, er hat zur Ader gelaſſen, führt. Aber auch Land und Ort, wo die Sammlung entſtanden iſt, muß berückſichtigt werden. Aus den Sammlungen erkennt man nicht nur die Zuſammenſetzung und den Geiſt der ſpecifiſchen Gruppe, aus deren Munde und geoffenbartem Leben der Wort- vorrath geſammelt war: man ſieht auch bei dem freien Rechte alles Dialektiſchen in der Gaunerſprache das als gauneriſches Ge- ſammtgut längſt ſtatuirte ſpecifiſch Dialektiſche des entlegenen Orts der Sammlung häufig einer neuen dialektiſch veränderten Redaction unterworfen, ſodaß man oft nicht einmal die urſprüngliche Wurzel zu erkennen vermag und daß der ungeübte Blick leider nur zu oft auf ganz wunderliche Etymologien geräth, wovon namentlich Fran- cisque-Michel in ſeinem „Argot“ und Thiele in ſeinen „Jüdi- ſchen Gaunern“ die frappanteſten Proben geben. Auf der andern Seite darf man aber auch wieder auf das oft willkürlich zur vor- herrſchenden Geltung gebrachte Dialektiſche des Redactionsorts kein zu großes Gewicht legen, ſondern muß — und das iſt ſehr zu beachten bei Sammlungen, welche bei größern und wichtigern Unterſuchungen aus den Acten und dem Munde der Jnquiſiten zuſammengetragen ſind — immer auch auf die Herkunft und auf den hauptſächlichſten frühern Verkehr und Aufenthalt der Jnqui- ſiten oder Sträflinge ſehen. Die Polizeidirection zu Hannover hat hier ein ſehr zur Nachahmung zu empfehlendes Beiſpiel gegeben, indem ſie vor wenigen Jahren in ſämmtlichen Strafanſtalten aus dem Munde der Sträflinge eine Sammlung von Gaunerwörtern zuſammentragen ließ, welche, wenn auch nur klein an Umfang, 4*

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/63>, abgerufen am 24.11.2024.