doch im hohen Grade bemerkenswerth ist und ganz besonders dia- lektisch Verschiedenartiges und Entlegenes aufweist. Von sehr großer Wichtigkeit sind aber die freilich nur noch sehr sparsam von Fachmännern aus dem täglichen dichten Verkehr und Kampfe mit dem Gaunerthum in großen Städten veranstalteten Samm- lungen, wie z. B. die wenn im ganzen unvollständige und zuwei- len sogar nicht correcte, doch tüchtige und brauchbare von C. W. Zimmermann (Berlin 1847). Die großen Städte sind für die im- mer bewegliche Gaunerströmung die großen Bassins, in denen die ganze Sprachmasse beständig ab- und zufließt und zugleich sich ab- lagert. Sie sind bei dem dichten Zusammenströmen der zahlreichen Re- präsentanten des Gaunerthums die wahren Gaunersprachakademien, in denen die Sprache Form und Sanction erhält und mit einer Gewalt in das Volksleben zurückströmt, vor welcher man wahr- lich erschrecken muß, wie man das recht deutlich bei der Fiefelsprache erkennt, welche wesentlich nur aus einer einzigen Vorstadt Wiens über ganz Deutschland strömt.
Wesentlich für die Kritik der Gaunersprache ist endlich noch der Hinblick auf besondere historische und politische Ereig- nisse, welche immer auch eine starke und kühne Bewegung des Gaunerthums zur Folge hatten und bei dessen frechem Hervor- treten eine mehr oder minder größere Offenbarung des Wesens und der Sprache ermöglichten, je nachdem es der Behörde gelang, der verbrecherischen Gewalt energisch entgegenzutreten und ihren Sieg nicht allein mit Galgen und Rad zu feiern, sondern auch mit psychologischer und sprachlicher Forschung auszubeuten. Jn der wilden und kolossalen Bewegung des Dreißigjährigen Krieges trat das Gaunerthum in ungeheurer Fülle und Offenheit hervor. Es wurde nahezu volksthümlich und germanisirte seine bis dahin über- haupt und besonders hinter jüdischdeutschen Typen versteckte Sprache so überaus stark, daß in der Menge und Fülle der deutschen Aus- drücke die jüdischen Typen auffällig zurücktraten und daß die jetzt in ihrer vollen Eigenthümlichkeit als deutsche Volkssprache hervor- tretende Gaunersprache in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in vollste Blüte ausbrach und ihre classische Periode zu feiern
doch im hohen Grade bemerkenswerth iſt und ganz beſonders dia- lektiſch Verſchiedenartiges und Entlegenes aufweiſt. Von ſehr großer Wichtigkeit ſind aber die freilich nur noch ſehr ſparſam von Fachmännern aus dem täglichen dichten Verkehr und Kampfe mit dem Gaunerthum in großen Städten veranſtalteten Samm- lungen, wie z. B. die wenn im ganzen unvollſtändige und zuwei- len ſogar nicht correcte, doch tüchtige und brauchbare von C. W. Zimmermann (Berlin 1847). Die großen Städte ſind für die im- mer bewegliche Gaunerſtrömung die großen Baſſins, in denen die ganze Sprachmaſſe beſtändig ab- und zufließt und zugleich ſich ab- lagert. Sie ſind bei dem dichten Zuſammenſtrömen der zahlreichen Re- präſentanten des Gaunerthums die wahren Gaunerſprachakademien, in denen die Sprache Form und Sanction erhält und mit einer Gewalt in das Volksleben zurückſtrömt, vor welcher man wahr- lich erſchrecken muß, wie man das recht deutlich bei der Fiefelſprache erkennt, welche weſentlich nur aus einer einzigen Vorſtadt Wiens über ganz Deutſchland ſtrömt.
Weſentlich für die Kritik der Gaunerſprache iſt endlich noch der Hinblick auf beſondere hiſtoriſche und politiſche Ereig- niſſe, welche immer auch eine ſtarke und kühne Bewegung des Gaunerthums zur Folge hatten und bei deſſen frechem Hervor- treten eine mehr oder minder größere Offenbarung des Weſens und der Sprache ermöglichten, je nachdem es der Behörde gelang, der verbrecheriſchen Gewalt energiſch entgegenzutreten und ihren Sieg nicht allein mit Galgen und Rad zu feiern, ſondern auch mit pſychologiſcher und ſprachlicher Forſchung auszubeuten. Jn der wilden und koloſſalen Bewegung des Dreißigjährigen Krieges trat das Gaunerthum in ungeheurer Fülle und Offenheit hervor. Es wurde nahezu volksthümlich und germaniſirte ſeine bis dahin über- haupt und beſonders hinter jüdiſchdeutſchen Typen verſteckte Sprache ſo überaus ſtark, daß in der Menge und Fülle der deutſchen Aus- drücke die jüdiſchen Typen auffällig zurücktraten und daß die jetzt in ihrer vollen Eigenthümlichkeit als deutſche Volksſprache hervor- tretende Gaunerſprache in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in vollſte Blüte ausbrach und ihre claſſiſche Periode zu feiern
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doch im hohen Grade bemerkenswerth iſt und ganz beſonders dia-
lektiſch Verſchiedenartiges und Entlegenes aufweiſt. Von ſehr
großer Wichtigkeit ſind aber die freilich nur noch ſehr ſparſam
von Fachmännern aus dem täglichen dichten Verkehr und Kampfe
mit dem Gaunerthum in großen Städten veranſtalteten Samm-
lungen, wie z. B. die wenn im ganzen unvollſtändige und zuwei-
len ſogar nicht correcte, doch tüchtige und brauchbare von C. W.
Zimmermann (Berlin 1847). Die großen Städte ſind für die im-
mer bewegliche Gaunerſtrömung die großen Baſſins, in denen die
ganze Sprachmaſſe beſtändig ab- und zufließt und zugleich ſich ab-
lagert. Sie ſind bei dem dichten Zuſammenſtrömen der zahlreichen Re-
präſentanten des Gaunerthums die wahren Gaunerſprachakademien,
in denen die Sprache Form und Sanction erhält und mit einer
Gewalt in das Volksleben zurückſtrömt, vor welcher man wahr-
lich erſchrecken muß, wie man das recht deutlich bei der Fiefelſprache
erkennt, welche weſentlich nur aus einer einzigen Vorſtadt Wiens
über ganz Deutſchland ſtrömt.
Weſentlich für die Kritik der Gaunerſprache iſt endlich noch
der Hinblick auf beſondere hiſtoriſche und politiſche Ereig-
niſſe, welche immer auch eine ſtarke und kühne Bewegung des
Gaunerthums zur Folge hatten und bei deſſen frechem Hervor-
treten eine mehr oder minder größere Offenbarung des Weſens
und der Sprache ermöglichten, je nachdem es der Behörde gelang,
der verbrecheriſchen Gewalt energiſch entgegenzutreten und ihren
Sieg nicht allein mit Galgen und Rad zu feiern, ſondern auch
mit pſychologiſcher und ſprachlicher Forſchung auszubeuten. Jn der
wilden und koloſſalen Bewegung des Dreißigjährigen Krieges trat
das Gaunerthum in ungeheurer Fülle und Offenheit hervor. Es
wurde nahezu volksthümlich und germaniſirte ſeine bis dahin über-
haupt und beſonders hinter jüdiſchdeutſchen Typen verſteckte Sprache
ſo überaus ſtark, daß in der Menge und Fülle der deutſchen Aus-
drücke die jüdiſchen Typen auffällig zurücktraten und daß die jetzt
in ihrer vollen Eigenthümlichkeit als deutſche Volksſprache hervor-
tretende Gaunerſprache in und nach dem Dreißigjährigen Kriege
in vollſte Blüte ausbrach und ihre claſſiſche Periode zu feiern
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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 4. Leipzig, 1862, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum04_1862/64>, abgerufen am 24.11.2024.
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