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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Von der freyen Fantasie.
[Abbildung]
§. 9.

Man kann bey einer freyen Fantasie aus der Haupt-
tonart in die nächstverwandten, in die etwas entferntern, und
in alle übrigen Tonarten ausweichen. So wenig man bey Stücken,
welche strenge nach dem Tact ausgeführet werden, fremde und viele
weitläuftige Ausweichungen vornehmen darf: so einfältig klinget
eine Fantasie, welche bey den nächsten Tonarten stehen bleibet.
In den harten Tonarten geschehen die nächsten Ausweichungen be-
kannter maassen in die Quinte mit der grossen Terz, und in die
Sexte mit der kleinen. Aus den Molltönen gehet man zunächst
in die Terz mit dem harten Dreyklange, und in die Quinte mit
dem weichen. Wenn man in entlegenere Tonarten gehen will, so
geschiehet es bey den Durtönen in die Secunde und Terz mit
dem weichen Dreyklange, und in die Quarte mit dem harten.
Aus den Molltönen weichet man alsdenn in die Quarte mit der
kleinen Terz, und in die Sexte und Septime mit der grossen. Die
übrigen Tonarten insgesammt gehören unter die entlegensten, und
können bey einer freyen Fantasie gleich gut berühret werden, ob
sie schon in einer ungleichen Entfernung von der Haupttonart
abstehen. Dieses letztere kann man aus den bekannten musicali-
schen Cirkeln sehen, an welche man sich aber bey der Einrichtung
einer Fantasie nicht weiter binden darf, weil es ein Fehler seyn
würde, im Fantasiren alle vier und zwanzig Tonarten cirkel-
mäßig
durchzugehen. Wir überlassen dem eignen Nachsinnen
unserer Leser, durch eine geschickte Ergreifung des semitonii modi
Proben in den nähern Ausweichungen vorzunehmen, und wollen,

der
Tt 2
Von der freyen Fantaſie.
[Abbildung]
§. 9.

Man kann bey einer freyen Fantaſie aus der Haupt-
tonart in die nächſtverwandten, in die etwas entferntern, und
in alle übrigen Tonarten ausweichen. So wenig man bey Stücken,
welche ſtrenge nach dem Tact ausgeführet werden, fremde und viele
weitläuftige Ausweichungen vornehmen darf: ſo einfältig klinget
eine Fantaſie, welche bey den nächſten Tonarten ſtehen bleibet.
In den harten Tonarten geſchehen die nächſten Ausweichungen be-
kannter maaſſen in die Quinte mit der groſſen Terz, und in die
Sexte mit der kleinen. Aus den Molltönen gehet man zunächſt
in die Terz mit dem harten Dreyklange, und in die Quinte mit
dem weichen. Wenn man in entlegenere Tonarten gehen will, ſo
geſchiehet es bey den Durtönen in die Secunde und Terz mit
dem weichen Dreyklange, und in die Quarte mit dem harten.
Aus den Molltönen weichet man alsdenn in die Quarte mit der
kleinen Terz, und in die Sexte und Septime mit der groſſen. Die
übrigen Tonarten insgeſammt gehören unter die entlegenſten, und
können bey einer freyen Fantaſie gleich gut berühret werden, ob
ſie ſchon in einer ungleichen Entfernung von der Haupttonart
abſtehen. Dieſes letztere kann man aus den bekannten muſicali-
ſchen Cirkeln ſehen, an welche man ſich aber bey der Einrichtung
einer Fantaſie nicht weiter binden darf, weil es ein Fehler ſeyn
würde, im Fantaſiren alle vier und zwanzig Tonarten cirkel-
mäßig
durchzugehen. Wir überlaſſen dem eignen Nachſinnen
unſerer Leſer, durch eine geſchickte Ergreifung des ſemitonii modi
Proben in den nähern Ausweichungen vorzunehmen, und wollen,

der
Tt 2
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[331/0341] Von der freyen Fantaſie. [Abbildung] §. 9. Man kann bey einer freyen Fantaſie aus der Haupt- tonart in die nächſtverwandten, in die etwas entferntern, und in alle übrigen Tonarten ausweichen. So wenig man bey Stücken, welche ſtrenge nach dem Tact ausgeführet werden, fremde und viele weitläuftige Ausweichungen vornehmen darf: ſo einfältig klinget eine Fantaſie, welche bey den nächſten Tonarten ſtehen bleibet. In den harten Tonarten geſchehen die nächſten Ausweichungen be- kannter maaſſen in die Quinte mit der groſſen Terz, und in die Sexte mit der kleinen. Aus den Molltönen gehet man zunächſt in die Terz mit dem harten Dreyklange, und in die Quinte mit dem weichen. Wenn man in entlegenere Tonarten gehen will, ſo geſchiehet es bey den Durtönen in die Secunde und Terz mit dem weichen Dreyklange, und in die Quarte mit dem harten. Aus den Molltönen weichet man alsdenn in die Quarte mit der kleinen Terz, und in die Sexte und Septime mit der groſſen. Die übrigen Tonarten insgeſammt gehören unter die entlegenſten, und können bey einer freyen Fantaſie gleich gut berühret werden, ob ſie ſchon in einer ungleichen Entfernung von der Haupttonart abſtehen. Dieſes letztere kann man aus den bekannten muſicali- ſchen Cirkeln ſehen, an welche man ſich aber bey der Einrichtung einer Fantaſie nicht weiter binden darf, weil es ein Fehler ſeyn würde, im Fantaſiren alle vier und zwanzig Tonarten cirkel- mäßig durchzugehen. Wir überlaſſen dem eignen Nachſinnen unſerer Leſer, durch eine geſchickte Ergreifung des ſemitonii modi Proben in den nähern Ausweichungen vorzunehmen, und wollen, der Tt 2

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch02_1762/341>, abgerufen am 24.11.2024.