Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

die Entwickelungsweise dieselbe und der Unterschied nur relativ. Solche isolirte
Umbildungen der allgemeinen Röhren haben etwas Gemeinsames und man hat
schon im Alterthume diese Uebereinstimmung erkannt, indem man sie Organe
nannte. Ich nenne diese Differenzirung die morphologische Sonderung. Die
histologische Sonderung, von der wir so eben sprachen, ist davon verschieden,
und tritt in jedem Organe noch besonders auf, weshalb jedes Organ auch Ver-
längerungen der allgemeinen Systeme, des Nerven- und Gefässsystemes nämlich,
enthält. In vielen erscheinen auch Muskelfasern, nur in wenigen Knorpel (oder
Knochen), wie in der Luftröhre und dem Kehlkopfe, ausser der Fleischschicht,
wo diese histologischen Elemente vorherrschend sind.

e. Nirgends
ist Neubil-
dung, son-
dern nur
Umbildung.

So bildet sich durch eine dreifache Differenzirung die Heterogenität des
Körpers aus, und jedes einzelne Organ, so wie jeder grössere Inbegriff von
Organen zeigt eine zunehmende Selbstständigkeit, wie wir wohl die Besonderheit
eines jeden einfachen Organes oder eines Inbegriffes von Organen nennen können.
Je weiter wir zurückgehen, um desto mehr finden wir nicht nur die einzelnen
Organe, sondern auch die histologischen Elemente mit einander verbunden. Die
Beobachtung selbst zeigt mehr als es irgend die Darstellung kann, dass alles
Einzelne früher in einem Allgemeinen mit enthalten war. Es ist in der That
leichter sich hiervon zu überzeugen, als den Beweis zu führen, wenn es nicht an
sich klar scheint. Nur gegen die roheste Ansicht der Neubildung mag Folgendes
bemerkt werden:

1) Wenn durch innere Differenzirung ein Theil sich bildet, war nicht
vorher eine Lücke da. Wo z. B. sich ein Nerve oder die Grundlage eines Knor-
pels erzeugt, war nicht vorher eine Lücke, sondern eine gemeinsame Masse, die
sich in Nerv und Nichtnerv scheidet. Am deutlichsten für das Auge ist unter
den Vorgängen der histologischen Sonderung wohl die Bildung der Knorpel.
Ueberall, wo zur Bildung der Anlage eines Knorpels sich dunkle Körnerhäufchen
sammeln, sieht man um ihnen herum die Masse ganz hell werden. Dieser Vor-
gang zeigt die histologische Sonderung augenscheinlich. Ueberhaupt scheint die
histologische Sonderung im Vergleich zu der morphologischen, mehr eine
plastische zu seyn, Gegensätze hervorrufend.

2) Dass nirgends ein Neues sich bildet, das mit einem schon früher Ge-
bildeten nicht zusammenhinge, sondern im Gegentheile sich ihm erst anfügte.
Nichts also schwimmt frei umher, sich hier oder da anfügend, wie man es sonst
wohl vom ganzen Embryo und noch neuerlich vom Rückenmarke sich gedacht
und gelehrt hat. Vielmehr ist die morphologische Sonderung eben so wohl Her-
vorbildung eines Besondern aus einem Allgemeinen, wie die histologische Son-

die Entwickelungsweise dieselbe und der Unterschied nur relativ. Solche isolirte
Umbildungen der allgemeinen Röhren haben etwas Gemeinsames und man hat
schon im Alterthume diese Uebereinstimmung erkannt, indem man sie Organe
nannte. Ich nenne diese Differenzirung die morphologische Sonderung. Die
histologische Sonderung, von der wir so eben sprachen, ist davon verschieden,
und tritt in jedem Organe noch besonders auf, weshalb jedes Organ auch Ver-
längerungen der allgemeinen Systeme, des Nerven- und Gefäſssystemes nämlich,
enthält. In vielen erscheinen auch Muskelfasern, nur in wenigen Knorpel (oder
Knochen), wie in der Luftröhre und dem Kehlkopfe, auſser der Fleischschicht,
wo diese histologischen Elemente vorherrschend sind.

e. Nirgends
ist Neubil-
dung, son-
dern nur
Umbildung.

So bildet sich durch eine dreifache Differenzirung die Heterogenität des
Körpers aus, und jedes einzelne Organ, so wie jeder gröſsere Inbegriff von
Organen zeigt eine zunehmende Selbstständigkeit, wie wir wohl die Besonderheit
eines jeden einfachen Organes oder eines Inbegriffes von Organen nennen können.
Je weiter wir zurückgehen, um desto mehr finden wir nicht nur die einzelnen
Organe, sondern auch die histologischen Elemente mit einander verbunden. Die
Beobachtung selbst zeigt mehr als es irgend die Darstellung kann, daſs alles
Einzelne früher in einem Allgemeinen mit enthalten war. Es ist in der That
leichter sich hiervon zu überzeugen, als den Beweis zu führen, wenn es nicht an
sich klar scheint. Nur gegen die roheste Ansicht der Neubildung mag Folgendes
bemerkt werden:

1) Wenn durch innere Differenzirung ein Theil sich bildet, war nicht
vorher eine Lücke da. Wo z. B. sich ein Nerve oder die Grundlage eines Knor-
pels erzeugt, war nicht vorher eine Lücke, sondern eine gemeinsame Masse, die
sich in Nerv und Nichtnerv scheidet. Am deutlichsten für das Auge ist unter
den Vorgängen der histologischen Sonderung wohl die Bildung der Knorpel.
Ueberall, wo zur Bildung der Anlage eines Knorpels sich dunkle Körnerhäufchen
sammeln, sieht man um ihnen herum die Masse ganz hell werden. Dieser Vor-
gang zeigt die histologische Sonderung augenscheinlich. Ueberhaupt scheint die
histologische Sonderung im Vergleich zu der morphologischen, mehr eine
plastische zu seyn, Gegensätze hervorrufend.

2) Daſs nirgends ein Neues sich bildet, das mit einem schon früher Ge-
bildeten nicht zusammenhinge, sondern im Gegentheile sich ihm erst anfügte.
Nichts also schwimmt frei umher, sich hier oder da anfügend, wie man es sonst
wohl vom ganzen Embryo und noch neuerlich vom Rückenmarke sich gedacht
und gelehrt hat. Vielmehr ist die morphologische Sonderung eben so wohl Her-
vorbildung eines Besondern aus einem Allgemeinen, wie die histologische Son-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="156"/>
die Entwickelungsweise dieselbe und der Unterschied nur relativ. Solche isolirte<lb/>
Umbildungen der allgemeinen Röhren haben etwas Gemeinsames und man hat<lb/>
schon im Alterthume diese Uebereinstimmung erkannt, indem man sie Organe<lb/>
nannte. Ich nenne diese Differenzirung die <hi rendition="#i">morphologische Sonderung.</hi> Die<lb/>
histologische Sonderung, von der wir so eben sprachen, ist davon verschieden,<lb/>
und tritt in jedem Organe noch besonders auf, weshalb jedes Organ auch Ver-<lb/>
längerungen der allgemeinen Systeme, des Nerven- und Gefä&#x017F;ssystemes nämlich,<lb/>
enthält. In vielen erscheinen auch Muskelfasern, nur in wenigen Knorpel (oder<lb/>
Knochen), wie in der Luftröhre und dem Kehlkopfe, au&#x017F;ser der Fleischschicht,<lb/>
wo diese histologischen Elemente vorherrschend sind.</p><lb/>
          <note place="left"><hi rendition="#i">e.</hi> Nirgends<lb/>
ist Neubil-<lb/>
dung, son-<lb/>
dern nur<lb/>
Umbildung.</note>
          <p>So bildet sich durch eine dreifache Differenzirung die Heterogenität des<lb/>
Körpers aus, und jedes einzelne Organ, so wie jeder grö&#x017F;sere Inbegriff von<lb/>
Organen zeigt eine zunehmende Selbstständigkeit, wie wir wohl die Besonderheit<lb/>
eines jeden einfachen Organes oder eines Inbegriffes von Organen nennen können.<lb/>
Je weiter wir zurückgehen, um desto mehr finden wir nicht nur die einzelnen<lb/>
Organe, sondern auch die histologischen Elemente mit einander verbunden. Die<lb/>
Beobachtung selbst zeigt mehr als es irgend die Darstellung kann, da&#x017F;s alles<lb/>
Einzelne früher in einem Allgemeinen mit enthalten war. Es ist in der That<lb/>
leichter sich hiervon zu überzeugen, als den Beweis zu führen, wenn es nicht an<lb/>
sich klar scheint. Nur gegen die roheste Ansicht der <hi rendition="#i">Neubildung</hi> mag Folgendes<lb/>
bemerkt werden:</p><lb/>
          <p>1) Wenn durch innere Differenzirung ein Theil sich bildet, war nicht<lb/>
vorher eine Lücke da. Wo z. B. sich ein Nerve oder die Grundlage eines Knor-<lb/>
pels erzeugt, war nicht vorher eine Lücke, sondern eine gemeinsame Masse, die<lb/>
sich in Nerv und Nichtnerv scheidet. Am deutlichsten für das Auge ist unter<lb/>
den Vorgängen der histologischen Sonderung wohl die Bildung der Knorpel.<lb/>
Ueberall, wo zur Bildung der Anlage eines Knorpels sich dunkle Körnerhäufchen<lb/>
sammeln, sieht man um ihnen herum die Masse ganz hell werden. Dieser Vor-<lb/>
gang zeigt die histologische Sonderung augenscheinlich. Ueberhaupt scheint die<lb/>
histologische Sonderung im Vergleich zu der morphologischen, mehr eine<lb/>
plastische zu seyn, Gegensätze hervorrufend.</p><lb/>
          <p>2) Da&#x017F;s nirgends ein Neues sich bildet, das mit einem schon früher Ge-<lb/>
bildeten nicht zusammenhinge, sondern im Gegentheile sich ihm erst anfügte.<lb/>
Nichts also schwimmt frei umher, sich hier oder da anfügend, wie man es sonst<lb/>
wohl vom ganzen Embryo und noch neuerlich vom Rückenmarke sich gedacht<lb/>
und gelehrt hat. Vielmehr ist die morphologische Sonderung eben so wohl Her-<lb/>
vorbildung eines Besondern aus einem Allgemeinen, wie die histologische Son-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0186] die Entwickelungsweise dieselbe und der Unterschied nur relativ. Solche isolirte Umbildungen der allgemeinen Röhren haben etwas Gemeinsames und man hat schon im Alterthume diese Uebereinstimmung erkannt, indem man sie Organe nannte. Ich nenne diese Differenzirung die morphologische Sonderung. Die histologische Sonderung, von der wir so eben sprachen, ist davon verschieden, und tritt in jedem Organe noch besonders auf, weshalb jedes Organ auch Ver- längerungen der allgemeinen Systeme, des Nerven- und Gefäſssystemes nämlich, enthält. In vielen erscheinen auch Muskelfasern, nur in wenigen Knorpel (oder Knochen), wie in der Luftröhre und dem Kehlkopfe, auſser der Fleischschicht, wo diese histologischen Elemente vorherrschend sind. So bildet sich durch eine dreifache Differenzirung die Heterogenität des Körpers aus, und jedes einzelne Organ, so wie jeder gröſsere Inbegriff von Organen zeigt eine zunehmende Selbstständigkeit, wie wir wohl die Besonderheit eines jeden einfachen Organes oder eines Inbegriffes von Organen nennen können. Je weiter wir zurückgehen, um desto mehr finden wir nicht nur die einzelnen Organe, sondern auch die histologischen Elemente mit einander verbunden. Die Beobachtung selbst zeigt mehr als es irgend die Darstellung kann, daſs alles Einzelne früher in einem Allgemeinen mit enthalten war. Es ist in der That leichter sich hiervon zu überzeugen, als den Beweis zu führen, wenn es nicht an sich klar scheint. Nur gegen die roheste Ansicht der Neubildung mag Folgendes bemerkt werden: 1) Wenn durch innere Differenzirung ein Theil sich bildet, war nicht vorher eine Lücke da. Wo z. B. sich ein Nerve oder die Grundlage eines Knor- pels erzeugt, war nicht vorher eine Lücke, sondern eine gemeinsame Masse, die sich in Nerv und Nichtnerv scheidet. Am deutlichsten für das Auge ist unter den Vorgängen der histologischen Sonderung wohl die Bildung der Knorpel. Ueberall, wo zur Bildung der Anlage eines Knorpels sich dunkle Körnerhäufchen sammeln, sieht man um ihnen herum die Masse ganz hell werden. Dieser Vor- gang zeigt die histologische Sonderung augenscheinlich. Ueberhaupt scheint die histologische Sonderung im Vergleich zu der morphologischen, mehr eine plastische zu seyn, Gegensätze hervorrufend. 2) Daſs nirgends ein Neues sich bildet, das mit einem schon früher Ge- bildeten nicht zusammenhinge, sondern im Gegentheile sich ihm erst anfügte. Nichts also schwimmt frei umher, sich hier oder da anfügend, wie man es sonst wohl vom ganzen Embryo und noch neuerlich vom Rückenmarke sich gedacht und gelehrt hat. Vielmehr ist die morphologische Sonderung eben so wohl Her- vorbildung eines Besondern aus einem Allgemeinen, wie die histologische Son-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/186
Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/186>, abgerufen am 04.05.2024.