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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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derung, mit dem Unterschiede nur, dass die morphologische Sonderung auf
einem modificirten Wachsthume beruht, und also relative Differenzen giebt, die
histologische Sonderung aber, wie eben bemerkt wurde, antagonistische. Ein
jedes Organ ist also ein modificirter Theil eines allgemeinern Organes, und in
dieser Hinsicht kann man sagen, dass jedes Organ schon in den Fundamental-
organen enthalten ist, und zwar mit seinem ganzen Umfange. Ich glaube mich
deutlicher zu machen, wenn ich mich auf ein besonderes Beispiel berufe. Der
Athmungsapparat ist ein besonders hervorgewachsener ursprünglich nur sehr
kleiner Theil der Schleimhautröhre. Er war also schon in der Schleimhautröhre
enthalten, und zwar mit seinem ganzen Inbegriffe; denn wenn man auch zuerst
nur die Lungen deutlich als seitliche Ausstülpungen hervortreten sicht, so ist
doch zwischen ihnen an der untern Fläche eine Stelle, welche bald eine ganz
schwache Erhebung bildet. Diese ist die künftige Luftröhre, und wenn sich die
Lungen so weit gelöst haben, dass ihre Verbindung mit der Schleimhautröhre nur
noch eng ist, so verlängert sich unter fortwährendem Hervortreten der Lungen
diese Stelle in die Luftröhre. Es fehlt also genau genommen die Luftröhre nie
ganz, sondern sie entwickelt sich nur langsamer und später als die Lungen.
Dasselbe Verhältniss scheint mir überall, jedoch in verschiedenem Grade. So ist
die Ausbildung der Extremitäten offenbar ein Theilen in besondere Abschnitte,
allein das erste Hervortreten der Extremitäten könnte man, nach der blossen
Ansicht, fast eine hinzutretende Neubildung nennen, so wenig war ihre Ent-
wickelung vorbereitet, wenn nicht die schon gesonderte Hautschicht ununter-
brochen von den Rücken- und Bauchplatten aus über die erste Anlage der Ex-
tremitäten wegginge.

In der Bildung der einzelnen Organe wiederholt sich also das Verhältniss,
welches zwischen dem Embryo und seiner nächsten Umgebung Statt findet -- es
besteht in einer fortgehenden Sonderung, mit dem Unterschiede nur, dass die
Organe sich nicht lösen, weil sie nie ein Ganzes werden, sondern Theile bleiben.
Daher auch nicht ein Organ das andere in sich aufnimmt und nur wenige Theile
durch die andern völlig vernichtet werden.

Ganz entgegengesetzt dieser Darstellung ist die Lehre von Serres. Nachf. Diese
Umbildung
ist der An-
fang des or-
ganischen
Wachs-
thumes.

ihm soll der ganze Organismus entstehen durch Zusammenwachsen ursprünglich
getrennter Elemente, so dass auch die einfachsten Theile wenigstens aus zwei
Hälften zusammengesetzt würden. Sie beruht nicht auf genauer Beobachtung.
Serres führt diese Ansicht so consequent durch, dass er sogar behauptet, die
Vorstellung, die man von dem organischen Wachsen habe, sey eine ganz ver-
kehrte, alle Vergrösserung eines Organes bestehe vielmehr in einer Anlagerung

derung, mit dem Unterschiede nur, daſs die morphologische Sonderung auf
einem modificirten Wachsthume beruht, und also relative Differenzen giebt, die
histologische Sonderung aber, wie eben bemerkt wurde, antagonistische. Ein
jedes Organ ist also ein modificirter Theil eines allgemeinern Organes, und in
dieser Hinsicht kann man sagen, daſs jedes Organ schon in den Fundamental-
organen enthalten ist, und zwar mit seinem ganzen Umfange. Ich glaube mich
deutlicher zu machen, wenn ich mich auf ein besonderes Beispiel berufe. Der
Athmungsapparat ist ein besonders hervorgewachsener ursprünglich nur sehr
kleiner Theil der Schleimhautröhre. Er war also schon in der Schleimhautröhre
enthalten, und zwar mit seinem ganzen Inbegriffe; denn wenn man auch zuerst
nur die Lungen deutlich als seitliche Ausstülpungen hervortreten sicht, so ist
doch zwischen ihnen an der untern Fläche eine Stelle, welche bald eine ganz
schwache Erhebung bildet. Diese ist die künftige Luftröhre, und wenn sich die
Lungen so weit gelöst haben, daſs ihre Verbindung mit der Schleimhautröhre nur
noch eng ist, so verlängert sich unter fortwährendem Hervortreten der Lungen
diese Stelle in die Luftröhre. Es fehlt also genau genommen die Luftröhre nie
ganz, sondern sie entwickelt sich nur langsamer und später als die Lungen.
Dasselbe Verhältniſs scheint mir überall, jedoch in verschiedenem Grade. So ist
die Ausbildung der Extremitäten offenbar ein Theilen in besondere Abschnitte,
allein das erste Hervortreten der Extremitäten könnte man, nach der bloſsen
Ansicht, fast eine hinzutretende Neubildung nennen, so wenig war ihre Ent-
wickelung vorbereitet, wenn nicht die schon gesonderte Hautschicht ununter-
brochen von den Rücken- und Bauchplatten aus über die erste Anlage der Ex-
tremitäten wegginge.

In der Bildung der einzelnen Organe wiederholt sich also das Verhältniſs,
welches zwischen dem Embryo und seiner nächsten Umgebung Statt findet — es
besteht in einer fortgehenden Sonderung, mit dem Unterschiede nur, daſs die
Organe sich nicht lösen, weil sie nie ein Ganzes werden, sondern Theile bleiben.
Daher auch nicht ein Organ das andere in sich aufnimmt und nur wenige Theile
durch die andern völlig vernichtet werden.

Ganz entgegengesetzt dieser Darstellung ist die Lehre von Serres. Nachf. Diese
Umbildung
ist der An-
fang des or-
ganischen
Wachs-
thumes.

ihm soll der ganze Organismus entstehen durch Zusammenwachsen ursprünglich
getrennter Elemente, so daſs auch die einfachsten Theile wenigstens aus zwei
Hälften zusammengesetzt würden. Sie beruht nicht auf genauer Beobachtung.
Serres führt diese Ansicht so consequent durch, daſs er sogar behauptet, die
Vorstellung, die man von dem organischen Wachsen habe, sey eine ganz ver-
kehrte, alle Vergröſserung eines Organes bestehe vielmehr in einer Anlagerung

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[157/0187] derung, mit dem Unterschiede nur, daſs die morphologische Sonderung auf einem modificirten Wachsthume beruht, und also relative Differenzen giebt, die histologische Sonderung aber, wie eben bemerkt wurde, antagonistische. Ein jedes Organ ist also ein modificirter Theil eines allgemeinern Organes, und in dieser Hinsicht kann man sagen, daſs jedes Organ schon in den Fundamental- organen enthalten ist, und zwar mit seinem ganzen Umfange. Ich glaube mich deutlicher zu machen, wenn ich mich auf ein besonderes Beispiel berufe. Der Athmungsapparat ist ein besonders hervorgewachsener ursprünglich nur sehr kleiner Theil der Schleimhautröhre. Er war also schon in der Schleimhautröhre enthalten, und zwar mit seinem ganzen Inbegriffe; denn wenn man auch zuerst nur die Lungen deutlich als seitliche Ausstülpungen hervortreten sicht, so ist doch zwischen ihnen an der untern Fläche eine Stelle, welche bald eine ganz schwache Erhebung bildet. Diese ist die künftige Luftröhre, und wenn sich die Lungen so weit gelöst haben, daſs ihre Verbindung mit der Schleimhautröhre nur noch eng ist, so verlängert sich unter fortwährendem Hervortreten der Lungen diese Stelle in die Luftröhre. Es fehlt also genau genommen die Luftröhre nie ganz, sondern sie entwickelt sich nur langsamer und später als die Lungen. Dasselbe Verhältniſs scheint mir überall, jedoch in verschiedenem Grade. So ist die Ausbildung der Extremitäten offenbar ein Theilen in besondere Abschnitte, allein das erste Hervortreten der Extremitäten könnte man, nach der bloſsen Ansicht, fast eine hinzutretende Neubildung nennen, so wenig war ihre Ent- wickelung vorbereitet, wenn nicht die schon gesonderte Hautschicht ununter- brochen von den Rücken- und Bauchplatten aus über die erste Anlage der Ex- tremitäten wegginge. In der Bildung der einzelnen Organe wiederholt sich also das Verhältniſs, welches zwischen dem Embryo und seiner nächsten Umgebung Statt findet — es besteht in einer fortgehenden Sonderung, mit dem Unterschiede nur, daſs die Organe sich nicht lösen, weil sie nie ein Ganzes werden, sondern Theile bleiben. Daher auch nicht ein Organ das andere in sich aufnimmt und nur wenige Theile durch die andern völlig vernichtet werden. Ganz entgegengesetzt dieser Darstellung ist die Lehre von Serres. Nach ihm soll der ganze Organismus entstehen durch Zusammenwachsen ursprünglich getrennter Elemente, so daſs auch die einfachsten Theile wenigstens aus zwei Hälften zusammengesetzt würden. Sie beruht nicht auf genauer Beobachtung. Serres führt diese Ansicht so consequent durch, daſs er sogar behauptet, die Vorstellung, die man von dem organischen Wachsen habe, sey eine ganz ver- kehrte, alle Vergröſserung eines Organes bestehe vielmehr in einer Anlagerung f. Diese Umbildung ist der An- fang des or- ganischen Wachs- thumes.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/187>, abgerufen am 27.11.2024.