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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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Die Entwickelung des Embryo ist in Bezug auf den Typus der Organisa-g. Die indi-
viduelle Ent-
wickelung
ist ein Fort-
schreiten
aus einer all-
gemeinern
Form in eine
mehr spe-
cielle.

tion so, als ob er das Thierreich nach der von französischen Systematikern so ge-
nannten Methode analytique durchginge, immer sich von den verwandten schei-
dend, zugleich aber von der niedern Stufe innerer Ausbildung zur höhern fort-
schreitend. Wir bilden dieses Verhältniss durch die umstehende Tafel ab. Im
Einzelnen kann sie eben so wenig genügen, wie jede Darstellung organischer Ver-
hältnisse auf einer Fläche. So muss auch das einzeln Aufgeführte immer für den
ganzen Character gelten, z. B. Flügelbildung und Luftsäcke für den gesammten
Vogel-Character. Die Darstellung kann auch nur sehr unvollständig seyn, da
die Untersuchung für die meisten Thierformen kaum begonnen ist.

Dieses Schema soll nur versinnlichen, wie es sich zuerst entscheidet, ob
die Frucht ein wahres Ei oder ein Keimkorn ist, wie im Keime der Eier dann
noch alle Thiere gleich sind (siehe oben unter e.), wie dann der Haupttypus sich
fixirt (was wir Auftreten des Embryo nennen), wobei es vorläufig noch unent-
schieden bleiben muss, ob irgend ein Strahlthier aus einem wahren Eie sich
bildet. Tritt nun der Typus des Wirbelthieres auf, so ist der Embryo anfangs
nichts als Wirbelthier überhaupt, ohne bestimmten Character. Wirbelsaite,
Rücken- und Bauchröhre, Kiemenspalten, Kiemengefässe und ein Herz mit ein-
facher Höhle bilden sich in allen aus. Dann aber tritt eine Sonderung ein. In
einigen wachsen Kiemenfasern hervor und kein Harnsack, in andern dagegen
verwachsen die Kiemenspalten und es tritt ein Harnsack hervor. Die erstern sind
Wasserthiere, wenn auch nicht alle bleibend, die andern Luftthiere. Die letztern
bekommen alle Lungen. Verfolgen wir aber zuvörderst die erste Reihe! Die
Embryonen sind längere Zeit einander sehr ähnlich, sie treiben lange Schwänze
hervor und schleudern sich mit ihnen im Wasser umher. Dagegen entwickeln
sich ihre Extremitäten im Verhältniss zu andern Embryonen sehr spät und
schwach. Sie bekommen nun entweder nie wahre Lungen und werden also
Fische, oder es bilden sich wahre Lungen. Es entwickeln sich unter den letztern
die Lungen entweder schwach, in welchem Falle die Kiemen bleibend sind und
die Thiere Sireniden werden, oder die Lungen entwickeln sich stärker und die
Kiemen bleiben entweder frei bis sie aufhören zu functioniren (Salamander), oder
die Kiemen werden überdeckt, der Schwanz verliert sich und mit ihm die Fisch-
ähnlichkeit (ungeschwänzte Batrachier). -- In der zweiten Reihe der Wirbel-
thiere, welche keine äussern Kiemen erhält, ist wohl der wesentlichste Unter-
schied der, dass in einigen sich ein einfacher Nabel bildet (Reptilien und Vögel),
in andern dieser Nabel sich in eine Schnur auszieht, nachdem er überhaupt sich
rascher gebildet zu haben scheint (Schol. II. b.). Wie sich nun der Vogel vom

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Die Entwickelung des Embryo ist in Bezug auf den Typus der Organisa-g. Die indi-
viduelle Ent-
wickelung
ist ein Fort-
schreiten
aus einer all-
gemeinern
Form in eine
mehr spe-
cielle.

tion so, als ob er das Thierreich nach der von französischen Systematikern so ge-
nannten Methode analytique durchginge, immer sich von den verwandten schei-
dend, zugleich aber von der niedern Stufe innerer Ausbildung zur höhern fort-
schreitend. Wir bilden dieses Verhältniſs durch die umstehende Tafel ab. Im
Einzelnen kann sie eben so wenig genügen, wie jede Darstellung organischer Ver-
hältnisse auf einer Fläche. So muſs auch das einzeln Aufgeführte immer für den
ganzen Character gelten, z. B. Flügelbildung und Luftsäcke für den gesammten
Vogel-Character. Die Darstellung kann auch nur sehr unvollständig seyn, da
die Untersuchung für die meisten Thierformen kaum begonnen ist.

Dieses Schema soll nur versinnlichen, wie es sich zuerst entscheidet, ob
die Frucht ein wahres Ei oder ein Keimkorn ist, wie im Keime der Eier dann
noch alle Thiere gleich sind (siehe oben unter e.), wie dann der Haupttypus sich
fixirt (was wir Auftreten des Embryo nennen), wobei es vorläufig noch unent-
schieden bleiben muſs, ob irgend ein Strahlthier aus einem wahren Eie sich
bildet. Tritt nun der Typus des Wirbelthieres auf, so ist der Embryo anfangs
nichts als Wirbelthier überhaupt, ohne bestimmten Character. Wirbelsaite,
Rücken- und Bauchröhre, Kiemenspalten, Kiemengefäſse und ein Herz mit ein-
facher Höhle bilden sich in allen aus. Dann aber tritt eine Sonderung ein. In
einigen wachsen Kiemenfasern hervor und kein Harnsack, in andern dagegen
verwachsen die Kiemenspalten und es tritt ein Harnsack hervor. Die erstern sind
Wasserthiere, wenn auch nicht alle bleibend, die andern Luftthiere. Die letztern
bekommen alle Lungen. Verfolgen wir aber zuvörderst die erste Reihe! Die
Embryonen sind längere Zeit einander sehr ähnlich, sie treiben lange Schwänze
hervor und schleudern sich mit ihnen im Wasser umher. Dagegen entwickeln
sich ihre Extremitäten im Verhältniſs zu andern Embryonen sehr spät und
schwach. Sie bekommen nun entweder nie wahre Lungen und werden also
Fische, oder es bilden sich wahre Lungen. Es entwickeln sich unter den letztern
die Lungen entweder schwach, in welchem Falle die Kiemen bleibend sind und
die Thiere Sireniden werden, oder die Lungen entwickeln sich stärker und die
Kiemen bleiben entweder frei bis sie aufhören zu functioniren (Salamander), oder
die Kiemen werden überdeckt, der Schwanz verliert sich und mit ihm die Fisch-
ähnlichkeit (ungeschwänzte Batrachier). — In der zweiten Reihe der Wirbel-
thiere, welche keine äuſsern Kiemen erhält, ist wohl der wesentlichste Unter-
schied der, daſs in einigen sich ein einfacher Nabel bildet (Reptilien und Vögel),
in andern dieser Nabel sich in eine Schnur auszieht, nachdem er überhaupt sich
rascher gebildet zu haben scheint (Schol. II. b.). Wie sich nun der Vogel vom

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[225/0257] Die Entwickelung des Embryo ist in Bezug auf den Typus der Organisa- tion so, als ob er das Thierreich nach der von französischen Systematikern so ge- nannten Methode analytique durchginge, immer sich von den verwandten schei- dend, zugleich aber von der niedern Stufe innerer Ausbildung zur höhern fort- schreitend. Wir bilden dieses Verhältniſs durch die umstehende Tafel ab. Im Einzelnen kann sie eben so wenig genügen, wie jede Darstellung organischer Ver- hältnisse auf einer Fläche. So muſs auch das einzeln Aufgeführte immer für den ganzen Character gelten, z. B. Flügelbildung und Luftsäcke für den gesammten Vogel-Character. Die Darstellung kann auch nur sehr unvollständig seyn, da die Untersuchung für die meisten Thierformen kaum begonnen ist. g. Die indi- viduelle Ent- wickelung ist ein Fort- schreiten aus einer all- gemeinern Form in eine mehr spe- cielle. Dieses Schema soll nur versinnlichen, wie es sich zuerst entscheidet, ob die Frucht ein wahres Ei oder ein Keimkorn ist, wie im Keime der Eier dann noch alle Thiere gleich sind (siehe oben unter e.), wie dann der Haupttypus sich fixirt (was wir Auftreten des Embryo nennen), wobei es vorläufig noch unent- schieden bleiben muſs, ob irgend ein Strahlthier aus einem wahren Eie sich bildet. Tritt nun der Typus des Wirbelthieres auf, so ist der Embryo anfangs nichts als Wirbelthier überhaupt, ohne bestimmten Character. Wirbelsaite, Rücken- und Bauchröhre, Kiemenspalten, Kiemengefäſse und ein Herz mit ein- facher Höhle bilden sich in allen aus. Dann aber tritt eine Sonderung ein. In einigen wachsen Kiemenfasern hervor und kein Harnsack, in andern dagegen verwachsen die Kiemenspalten und es tritt ein Harnsack hervor. Die erstern sind Wasserthiere, wenn auch nicht alle bleibend, die andern Luftthiere. Die letztern bekommen alle Lungen. Verfolgen wir aber zuvörderst die erste Reihe! Die Embryonen sind längere Zeit einander sehr ähnlich, sie treiben lange Schwänze hervor und schleudern sich mit ihnen im Wasser umher. Dagegen entwickeln sich ihre Extremitäten im Verhältniſs zu andern Embryonen sehr spät und schwach. Sie bekommen nun entweder nie wahre Lungen und werden also Fische, oder es bilden sich wahre Lungen. Es entwickeln sich unter den letztern die Lungen entweder schwach, in welchem Falle die Kiemen bleibend sind und die Thiere Sireniden werden, oder die Lungen entwickeln sich stärker und die Kiemen bleiben entweder frei bis sie aufhören zu functioniren (Salamander), oder die Kiemen werden überdeckt, der Schwanz verliert sich und mit ihm die Fisch- ähnlichkeit (ungeschwänzte Batrachier). — In der zweiten Reihe der Wirbel- thiere, welche keine äuſsern Kiemen erhält, ist wohl der wesentlichste Unter- schied der, daſs in einigen sich ein einfacher Nabel bildet (Reptilien und Vögel), in andern dieser Nabel sich in eine Schnur auszieht, nachdem er überhaupt sich rascher gebildet zu haben scheint (Schol. II. b.). Wie sich nun der Vogel vom F f

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/257>, abgerufen am 13.05.2024.