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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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können an sich richtig seyn, allein sie sind auf keine Weise mit einander zu ver-
einigen.

Die Ungleichheiten in der Periodicität der Entwickelung sind von doppel-
ter Art: 1) Ungleichheit im Nebeneinanderseyn der Erscheinungen, 2) Ungleich-
heiten im Fortgange der gesammten Entwickelung.

Die Ungleichheiten der ersten Art sind nicht sehr bedeutend. Im Allge-Ungleich-
heit im Ne-
beneinan-
derseyn der
Erscheinun-
gen.

meinen findet man, dass Theile um so mehr in gleichem Maasse sortschreiten, je
enger ihre physiologische Beziehung, namentlich in der Entwickelung selbst ist.
Gekrös- und Darmbildung bedingen sich gegenseitig so unmittelbar, dass sie ein-
ander nicht voraneilen können. Dagegen steht die Ausbildung des Hirns und des
Darmes weniger in Uebereinstimmung. Am unbestimmtesten schien mir das Ver-
hältniss der allgemeinen Krümmung des Körpers zur übrigen Ausbildung. Zu-
weilen bildet am Ende des dritten Tages der Hals einen rechten Winkel mit dem
Rumpfe, und in andern Fällen ist um dieselbe Zeit der Rücken vom Hinterhaupte
an fast gerade. Angenscheinlich ist aber das Verschwinden von Theilen, deren
Wirksamkeit aufgehört hat, den meisten Abweichungen unterworfen. Die
Grenzvene habe ich zuweilen am Ende des fünften Tages nicht mehr und in an-
dern Fällen am zehnten Tage noch ganz deutlich erkannt.

Viel schwankender als das Verhältniss des Nebeneinanderseyns ist das Fort-Ungleich-
heit in der
Dauer der
Entwicke-
lung.

schreiten der Ausbildung nach der Dauer der Bebrütung, und eine wahre Plage
für den Beobachter, der, wenn er einen bestimmten Moment beobachten will,
fast gar nicht zum Ziele kommt, wenn er nicht alle Verhältnisse beachtet und be-
herrscht. Ich habe schon gesehen, dass Eier, die bereits im siebenten Tage der
Bebrütung waren, Embryonen enthielten, wie sie im Ansange des dritten Tages
hätten seyn sollen. Bei den Eiern in der Brütmaschine hört ohnehin fast alle Be-
rechnung auf, wenn man nicht eine stete Wache, die für gleichmässige Tempera-
tur sorgt, unterhält. Den Grund dieser Abweichungen in jedem einzelnen Falle
anzugeben ist nicht leicht, da mehrere Verhältnisse zugleich wirken. Aus eige-
ner Erfahrung glaube ich hierüber Folgendes sagen zu können.

Zuvörderst entwickeln sich, wie es mir schien, im Allgemeinen die EierEinfluss der
Jahreszeit.

schneller im Frühlinge und Anfange des Sommers, als im Herbste. Allein die
Mitte des Sommers stand auch nicht zurück, so dass ich noch nicht ganz sicher
bin, ob die Jahreszeit einen eigenthümlichen Einfluss hat, oder dieser vielleicht
auf dem Einflusse der Wärme beruht. Indessen schien mir doch die rasche Ent-
wickelung im Anfange des Maies ersteren zu beweisen. Auf jeden Fall erzeugt
aber die Jahreszeit nur geringe Abweichungen. Viel ansehnlicher ist der obenEinfluss der
Wärme.

berührte Einfluss der Wärme, und so allgemein anerkannt, dass er nicht näher

können an sich richtig seyn, allein sie sind auf keine Weise mit einander zu ver-
einigen.

Die Ungleichheiten in der Periodicität der Entwickelung sind von doppel-
ter Art: 1) Ungleichheit im Nebeneinanderseyn der Erscheinungen, 2) Ungleich-
heiten im Fortgange der gesammten Entwickelung.

Die Ungleichheiten der ersten Art sind nicht sehr bedeutend. Im Allge-Ungleich-
heit im Ne-
beneinan-
derseyn der
Erscheinun-
gen.

meinen findet man, daſs Theile um so mehr in gleichem Maaſse ſortschreiten, je
enger ihre physiologische Beziehung, namentlich in der Entwickelung selbst ist.
Gekrös- und Darmbildung bedingen sich gegenseitig so unmittelbar, daſs sie ein-
ander nicht voraneilen können. Dagegen steht die Ausbildung des Hirns und des
Darmes weniger in Uebereinstimmung. Am unbestimmtesten schien mir das Ver-
hältniſs der allgemeinen Krümmung des Körpers zur übrigen Ausbildung. Zu-
weilen bildet am Ende des dritten Tages der Hals einen rechten Winkel mit dem
Rumpfe, und in andern Fällen ist um dieselbe Zeit der Rücken vom Hinterhaupte
an fast gerade. Angenscheinlich ist aber das Verschwinden von Theilen, deren
Wirksamkeit aufgehört hat, den meisten Abweichungen unterworfen. Die
Grenzvene habe ich zuweilen am Ende des fünften Tages nicht mehr und in an-
dern Fällen am zehnten Tage noch ganz deutlich erkannt.

Viel schwankender als das Verhältniſs des Nebeneinanderseyns ist das Fort-Ungleich-
heit in der
Dauer der
Entwicke-
lung.

schreiten der Ausbildung nach der Dauer der Bebrütung, und eine wahre Plage
für den Beobachter, der, wenn er einen bestimmten Moment beobachten will,
fast gar nicht zum Ziele kommt, wenn er nicht alle Verhältnisse beachtet und be-
herrscht. Ich habe schon gesehen, daſs Eier, die bereits im siebenten Tage der
Bebrütung waren, Embryonen enthielten, wie sie im Anſange des dritten Tages
hätten seyn sollen. Bei den Eiern in der Brütmaschine hört ohnehin fast alle Be-
rechnung auf, wenn man nicht eine stete Wache, die für gleichmäſsige Tempera-
tur sorgt, unterhält. Den Grund dieser Abweichungen in jedem einzelnen Falle
anzugeben ist nicht leicht, da mehrere Verhältnisse zugleich wirken. Aus eige-
ner Erfahrung glaube ich hierüber Folgendes sagen zu können.

Zuvörderst entwickeln sich, wie es mir schien, im Allgemeinen die EierEinfluſs der
Jahreszeit.

schneller im Frühlinge und Anfange des Sommers, als im Herbste. Allein die
Mitte des Sommers stand auch nicht zurück, so daſs ich noch nicht ganz sicher
bin, ob die Jahreszeit einen eigenthümlichen Einfluſs hat, oder dieser vielleicht
auf dem Einflusse der Wärme beruht. Indessen schien mir doch die rasche Ent-
wickelung im Anfange des Maies ersteren zu beweisen. Auf jeden Fall erzeugt
aber die Jahreszeit nur geringe Abweichungen. Viel ansehnlicher ist der obenEinfluſs der
Wärme.

berührte Einfluſs der Wärme, und so allgemein anerkannt, daſs er nicht näher

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[5/0035] können an sich richtig seyn, allein sie sind auf keine Weise mit einander zu ver- einigen. Die Ungleichheiten in der Periodicität der Entwickelung sind von doppel- ter Art: 1) Ungleichheit im Nebeneinanderseyn der Erscheinungen, 2) Ungleich- heiten im Fortgange der gesammten Entwickelung. Die Ungleichheiten der ersten Art sind nicht sehr bedeutend. Im Allge- meinen findet man, daſs Theile um so mehr in gleichem Maaſse ſortschreiten, je enger ihre physiologische Beziehung, namentlich in der Entwickelung selbst ist. Gekrös- und Darmbildung bedingen sich gegenseitig so unmittelbar, daſs sie ein- ander nicht voraneilen können. Dagegen steht die Ausbildung des Hirns und des Darmes weniger in Uebereinstimmung. Am unbestimmtesten schien mir das Ver- hältniſs der allgemeinen Krümmung des Körpers zur übrigen Ausbildung. Zu- weilen bildet am Ende des dritten Tages der Hals einen rechten Winkel mit dem Rumpfe, und in andern Fällen ist um dieselbe Zeit der Rücken vom Hinterhaupte an fast gerade. Angenscheinlich ist aber das Verschwinden von Theilen, deren Wirksamkeit aufgehört hat, den meisten Abweichungen unterworfen. Die Grenzvene habe ich zuweilen am Ende des fünften Tages nicht mehr und in an- dern Fällen am zehnten Tage noch ganz deutlich erkannt. Ungleich- heit im Ne- beneinan- derseyn der Erscheinun- gen. Viel schwankender als das Verhältniſs des Nebeneinanderseyns ist das Fort- schreiten der Ausbildung nach der Dauer der Bebrütung, und eine wahre Plage für den Beobachter, der, wenn er einen bestimmten Moment beobachten will, fast gar nicht zum Ziele kommt, wenn er nicht alle Verhältnisse beachtet und be- herrscht. Ich habe schon gesehen, daſs Eier, die bereits im siebenten Tage der Bebrütung waren, Embryonen enthielten, wie sie im Anſange des dritten Tages hätten seyn sollen. Bei den Eiern in der Brütmaschine hört ohnehin fast alle Be- rechnung auf, wenn man nicht eine stete Wache, die für gleichmäſsige Tempera- tur sorgt, unterhält. Den Grund dieser Abweichungen in jedem einzelnen Falle anzugeben ist nicht leicht, da mehrere Verhältnisse zugleich wirken. Aus eige- ner Erfahrung glaube ich hierüber Folgendes sagen zu können. Ungleich- heit in der Dauer der Entwicke- lung. Zuvörderst entwickeln sich, wie es mir schien, im Allgemeinen die Eier schneller im Frühlinge und Anfange des Sommers, als im Herbste. Allein die Mitte des Sommers stand auch nicht zurück, so daſs ich noch nicht ganz sicher bin, ob die Jahreszeit einen eigenthümlichen Einfluſs hat, oder dieser vielleicht auf dem Einflusse der Wärme beruht. Indessen schien mir doch die rasche Ent- wickelung im Anfange des Maies ersteren zu beweisen. Auf jeden Fall erzeugt aber die Jahreszeit nur geringe Abweichungen. Viel ansehnlicher ist der oben berührte Einfluſs der Wärme, und so allgemein anerkannt, daſs er nicht näher Einfluſs der Jahreszeit. Einfluſs der Wärme.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/35>, abgerufen am 26.04.2024.