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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828.

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wickelung verzögern können, es aber nicht gut denkbar ist, dass, besonders un-
ter dem Huhne, nicht in der Maschine, die Entwickelung viel über das Normale
getrieben werden kann. In der That kam es mir auch nicht darauf an; alles recht
frühzeitig zu finden, und ich habe nicht den höchsten Grad der Entwickelung,
die zuweilen um einige Stunden vorgeschritten schien, sondern den unter den an-
geführten günstigen Umständen gewöhnlichsten, als den normalen angenommen.
Dazu kommt noch, dass ich nicht eine hinlängliche Zahl von Eiern erhalten
konnte, die so eben gelegt waren, um mit ihnen Versuche anzustellen. Auf die
Erwärmung eines Eies müssen wenigstens ein Paar Stunden hingehen, und man
würde besonders für die ersten Momente der Entwickelung eine Priorität von eini-
gen Stunden erhalten, wenn man Eier beobachtete, die sich noch nicht abgekühlt
haben. Schon aus diesem Grunde sieht man, dass ich eher zu lange als zu kurze
Zeitmaasse angegeben habe.

Man könnte noch den Einwurf machen, ob die Entwickelung, wie ich sie
für die ersten fünf Tage festgesetzt habe, zu der Durchschnittszeit der ganzen Ent-
wickelung von 21 Tagen passt, oder ob nicht die Eier, wenn sie immer unter der
Brust der Henne liegen, früher zur Reife kommen würden? Es ist möglich -- ja
wahrscheinlich. Allein ein Versuch lässt sich darüber kaum anstellen, da die
Hennen nur in der ersten Zeit die Eier ruhig liegen lassen, nachher aber, wahr-
scheinlich weil sie die Ungleichheit in der Ausbildung bemerken, die innern nach
aussen schieben, so dass dann ein Ei, das bis zur Beweglichkeit des Fötus unter
der Brust gelegen hat, nachher an den Rand des Nestes kommt, wo es sich etwas
langsamer entwickeln und in der Regel von der gewöhnlichen Zeit nicht sehr ab-
weichen wird. Ueberhaupt ist die Bestimmung der Zeit bei dieser Wandelbar-
keit etwas Unwesentliches, leider nur etwas Unvermeidliches für die Darstellung,
um von dem Zusammenseyn der Erscheinungen eine Ansicht zu geben. Genauig-
keit ist nur für das relative, nicht für das absolute Zeitmaass wichtig. So habe
ich nicht angestanden, die Ausbildung des ersten Kreislaufs der Einfachheit we-
gen an das Ende des zweiten Tages zu setzen, obgleich nach meinen vergleichen-
den Beobachtungen sie eigentlich um ein Paar Stunden früher fällt.

Die ganze Entwickelung des Hühnchens im Eie habe ich zur bessern Ueber-Eintheilung
der Entwik-
kelung.

sicht in drei Perioden getheilt, nach der Verschiedenheit des vorherrschenden
Kreislaufs. Die erste Periode reicht bis zur völligen Ausbildung des ersten Kreis-
laufs und währt ungesähr zwei Tage. Die zweite Periode umfasst die Zeit des
Kreislaufs durch die Dottersackgefässe. Sie währt drei Tage, wenn man sie bis
dahin rechnet, wo die Harnsackgefässe genug ausgebildet sind, um wesentlichen
Antheil am Kreislaufe zu nehmen. Die dritte Periode, durch den Kreislauf ver-

wickelung verzögern können, es aber nicht gut denkbar ist, daſs, besonders un-
ter dem Huhne, nicht in der Maschine, die Entwickelung viel über das Normale
getrieben werden kann. In der That kam es mir auch nicht darauf an; alles recht
frühzeitig zu finden, und ich habe nicht den höchsten Grad der Entwickelung,
die zuweilen um einige Stunden vorgeschritten schien, sondern den unter den an-
geführten günstigen Umständen gewöhnlichsten, als den normalen angenommen.
Dazu kommt noch, daſs ich nicht eine hinlängliche Zahl von Eiern erhalten
konnte, die so eben gelegt waren, um mit ihnen Versuche anzustellen. Auf die
Erwärmung eines Eies müssen wenigstens ein Paar Stunden hingehen, und man
würde besonders für die ersten Momente der Entwickelung eine Priorität von eini-
gen Stunden erhalten, wenn man Eier beobachtete, die sich noch nicht abgekühlt
haben. Schon aus diesem Grunde sieht man, daſs ich eher zu lange als zu kurze
Zeitmaaſse angegeben habe.

Man könnte noch den Einwurf machen, ob die Entwickelung, wie ich sie
für die ersten fünf Tage festgesetzt habe, zu der Durchschnittszeit der ganzen Ent-
wickelung von 21 Tagen paſst, oder ob nicht die Eier, wenn sie immer unter der
Brust der Henne liegen, früher zur Reife kommen würden? Es ist möglich — ja
wahrscheinlich. Allein ein Versuch läſst sich darüber kaum anstellen, da die
Hennen nur in der ersten Zeit die Eier ruhig liegen lassen, nachher aber, wahr-
scheinlich weil sie die Ungleichheit in der Ausbildung bemerken, die innern nach
auſsen schieben, so daſs dann ein Ei, das bis zur Beweglichkeit des Fötus unter
der Brust gelegen hat, nachher an den Rand des Nestes kommt, wo es sich etwas
langsamer entwickeln und in der Regel von der gewöhnlichen Zeit nicht sehr ab-
weichen wird. Ueberhaupt ist die Bestimmung der Zeit bei dieser Wandelbar-
keit etwas Unwesentliches, leider nur etwas Unvermeidliches für die Darstellung,
um von dem Zusammenseyn der Erscheinungen eine Ansicht zu geben. Genauig-
keit ist nur für das relative, nicht für das absolute Zeitmaaſs wichtig. So habe
ich nicht angestanden, die Ausbildung des ersten Kreislaufs der Einfachheit we-
gen an das Ende des zweiten Tages zu setzen, obgleich nach meinen vergleichen-
den Beobachtungen sie eigentlich um ein Paar Stunden früher fällt.

Die ganze Entwickelung des Hühnchens im Eie habe ich zur bessern Ueber-Eintheilung
der Entwik-
kelung.

sicht in drei Perioden getheilt, nach der Verschiedenheit des vorherrschenden
Kreislaufs. Die erste Periode reicht bis zur völligen Ausbildung des ersten Kreis-
laufs und währt ungeſähr zwei Tage. Die zweite Periode umfaſst die Zeit des
Kreislaufs durch die Dottersackgefäſse. Sie währt drei Tage, wenn man sie bis
dahin rechnet, wo die Harnsackgefäſse genug ausgebildet sind, um wesentlichen
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[7/0037] wickelung verzögern können, es aber nicht gut denkbar ist, daſs, besonders un- ter dem Huhne, nicht in der Maschine, die Entwickelung viel über das Normale getrieben werden kann. In der That kam es mir auch nicht darauf an; alles recht frühzeitig zu finden, und ich habe nicht den höchsten Grad der Entwickelung, die zuweilen um einige Stunden vorgeschritten schien, sondern den unter den an- geführten günstigen Umständen gewöhnlichsten, als den normalen angenommen. Dazu kommt noch, daſs ich nicht eine hinlängliche Zahl von Eiern erhalten konnte, die so eben gelegt waren, um mit ihnen Versuche anzustellen. Auf die Erwärmung eines Eies müssen wenigstens ein Paar Stunden hingehen, und man würde besonders für die ersten Momente der Entwickelung eine Priorität von eini- gen Stunden erhalten, wenn man Eier beobachtete, die sich noch nicht abgekühlt haben. Schon aus diesem Grunde sieht man, daſs ich eher zu lange als zu kurze Zeitmaaſse angegeben habe. Man könnte noch den Einwurf machen, ob die Entwickelung, wie ich sie für die ersten fünf Tage festgesetzt habe, zu der Durchschnittszeit der ganzen Ent- wickelung von 21 Tagen paſst, oder ob nicht die Eier, wenn sie immer unter der Brust der Henne liegen, früher zur Reife kommen würden? Es ist möglich — ja wahrscheinlich. Allein ein Versuch läſst sich darüber kaum anstellen, da die Hennen nur in der ersten Zeit die Eier ruhig liegen lassen, nachher aber, wahr- scheinlich weil sie die Ungleichheit in der Ausbildung bemerken, die innern nach auſsen schieben, so daſs dann ein Ei, das bis zur Beweglichkeit des Fötus unter der Brust gelegen hat, nachher an den Rand des Nestes kommt, wo es sich etwas langsamer entwickeln und in der Regel von der gewöhnlichen Zeit nicht sehr ab- weichen wird. Ueberhaupt ist die Bestimmung der Zeit bei dieser Wandelbar- keit etwas Unwesentliches, leider nur etwas Unvermeidliches für die Darstellung, um von dem Zusammenseyn der Erscheinungen eine Ansicht zu geben. Genauig- keit ist nur für das relative, nicht für das absolute Zeitmaaſs wichtig. So habe ich nicht angestanden, die Ausbildung des ersten Kreislaufs der Einfachheit we- gen an das Ende des zweiten Tages zu setzen, obgleich nach meinen vergleichen- den Beobachtungen sie eigentlich um ein Paar Stunden früher fällt. Die ganze Entwickelung des Hühnchens im Eie habe ich zur bessern Ueber- sicht in drei Perioden getheilt, nach der Verschiedenheit des vorherrschenden Kreislaufs. Die erste Periode reicht bis zur völligen Ausbildung des ersten Kreis- laufs und währt ungeſähr zwei Tage. Die zweite Periode umfaſst die Zeit des Kreislaufs durch die Dottersackgefäſse. Sie währt drei Tage, wenn man sie bis dahin rechnet, wo die Harnsackgefäſse genug ausgebildet sind, um wesentlichen Antheil am Kreislaufe zu nehmen. Die dritte Periode, durch den Kreislauf ver- Eintheilung der Entwik- kelung.

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 1. Königsberg, 1828, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1828/37>, abgerufen am 26.04.2024.