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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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Eidechsen und Schlangen viel länger als in den Vögeln, ja die beiden Aortenwur-
zeln verharren das ganze Leben hindurch, wenn auch die rechte viel stärker wird
als die linke. Eben so bleibt die Herzkammer ohne vollständige Scheidewand, die
der Vogel doch schon im Anfange dieser Periode erhält. Die Reptilien verharren
also in Hinsicht des Kreislaufes in einem embryonischen Zustande, indem er bei
ihnen ein unvollkommen doppelter bleibt. Dagegen erlangen die Vögel äussere
Begattungsglieder (mit sehr wenigen Ausnahmen) gar nicht. In dieser Hinsicht
verharren also die Vögel in einem embryonischen Zustande gegen die Reptilien.

Merkwürdig ist es, dass viele Schlangen, wie es scheint alle giftigen,c. Lebendig
gebärende
Schlangen
und Eidech-
sen.

ausserdem aber auch die Gattung der Blindschleichen, vielleicht die Boen, die
Gattung Acrochordus nnd einige Eidechsen, wie die Gattung Seps, ihre Eier bis
zur völligen Beendigung des Embryonenlebens d. h. bis zum Hervorbrechen aus den
Eihäuten im Eileiter behalten *). Man pflegt sie daher lebendig-gebärende zu
nennen. Noch merkwürdiger aber ist es, dass einzelne Arten einer Gattung le-
bendige Junge zur Welt bringen, während andere Eier legen, obgleich jene im
ausgebildeten Zustande fast gar keine Eigenthümlichkeit im Bau zu erkennen ge-
ben, wodurch sie sich von den andern Arten unterscheiden. So bringt Coluber
laevis
lebendige Junge zur Welt, obgleich die meisten übrigen Nattern Eier le-
gen. Unsere safranbauchige Eidechse, Lacerta crocea, die der grössern hier
lebenden Art (Lacerta agilis) so ähnlich ist, dass man sie häufig verwech-
selt hat, ist ebenfalls lebendig gebärend.

Dieser Unterschied in der Entwickelungsgeschichte ist indessen so gross
nicht, als man im gemeinen Leben wohl glaubt, da auch die Jungen der lebendig
gebährenden Reptilien bis zur Geburt in einem Ei eingeschlossen sind, ja häufig
sogar von den Eihäuten umgeben geboren werden, und dieselben erst einige Stun-
den oder Tage nsch der Geburt durchreissen, wie ich an den Blindschleichen
selbst gesehen habe, was indess schon früher an Blindschleichen und Vipern beob-
achtet war. Zuweilen erfolgt jedoch auch die Zerreissung der Häute im Leibe
der Mutter. Es fallen also Geburt und Enthüllung des Embryo nur ungefähr zu-
sammen. Erinnern Sie sich nun, dass in den Eiern, welche diejenigen Schlangen
und Eidechsen, die ich selbst untersuchen konnte, legen, schon Embryonen sich

*) Herr Professor Leuckart hat Alles, was bisher über das Lebendiggebären der Reptilien be-
kannt geworden ist, gesammelt, und mit eigenen Beobachtungen reichlich vermehrt in einer
Abhandlung "Ueber lebendig gebärende Amphibien" mitgetheilt, welche er mir zu übersenden
die Güte hatte. Diese lehrreiche Abhandlung bildet den Anfang eines Werkes, dessen Titel ich
leider nicht angeben kann, da es noch nicht vollendet scheint. Mir wenigstens ist nur jene Ab-
handlung bekannt geworden. -- Diese Bemerkung, im Jahre 1829 niedergeschrieben, gilt noch
jetzt 1834.
II. X

Eidechsen und Schlangen viel länger als in den Vögeln, ja die beiden Aortenwur-
zeln verharren das ganze Leben hindurch, wenn auch die rechte viel stärker wird
als die linke. Eben so bleibt die Herzkammer ohne vollständige Scheidewand, die
der Vogel doch schon im Anfange dieser Periode erhält. Die Reptilien verharren
also in Hinsicht des Kreislaufes in einem embryonischen Zustande, indem er bei
ihnen ein unvollkommen doppelter bleibt. Dagegen erlangen die Vögel äuſsere
Begattungsglieder (mit sehr wenigen Ausnahmen) gar nicht. In dieser Hinsicht
verharren also die Vögel in einem embryonischen Zustande gegen die Reptilien.

Merkwürdig ist es, daſs viele Schlangen, wie es scheint alle giftigen,c. Lebendig
gebärende
Schlangen
und Eidech-
sen.

auſserdem aber auch die Gattung der Blindschleichen, vielleicht die Boen, die
Gattung Acrochordus nnd einige Eidechsen, wie die Gattung Seps, ihre Eier bis
zur völligen Beendigung des Embryonenlebens d. h. bis zum Hervorbrechen aus den
Eihäuten im Eileiter behalten *). Man pflegt sie daher lebendig-gebärende zu
nennen. Noch merkwürdiger aber ist es, daſs einzelne Arten einer Gattung le-
bendige Junge zur Welt bringen, während andere Eier legen, obgleich jene im
ausgebildeten Zustande fast gar keine Eigenthümlichkeit im Bau zu erkennen ge-
ben, wodurch sie sich von den andern Arten unterscheiden. So bringt Coluber
laevis
lebendige Junge zur Welt, obgleich die meisten übrigen Nattern Eier le-
gen. Unsere safranbauchige Eidechse, Lacerta crocea, die der gröſsern hier
lebenden Art (Lacerta agilis) so ähnlich ist, daſs man sie häufig verwech-
selt hat, ist ebenfalls lebendig gebärend.

Dieser Unterschied in der Entwickelungsgeschichte ist indessen so groſs
nicht, als man im gemeinen Leben wohl glaubt, da auch die Jungen der lebendig
gebährenden Reptilien bis zur Geburt in einem Ei eingeschlossen sind, ja häufig
sogar von den Eihäuten umgeben geboren werden, und dieselben erst einige Stun-
den oder Tage nsch der Geburt durchreiſsen, wie ich an den Blindschleichen
selbst gesehen habe, was indeſs schon früher an Blindschleichen und Vipern beob-
achtet war. Zuweilen erfolgt jedoch auch die Zerreiſsung der Häute im Leibe
der Mutter. Es fallen also Geburt und Enthüllung des Embryo nur ungefähr zu-
sammen. Erinnern Sie sich nun, daſs in den Eiern, welche diejenigen Schlangen
und Eidechsen, die ich selbst untersuchen konnte, legen, schon Embryonen sich

*) Herr Professor Leuckart hat Alles, was bisher über das Lebendiggebären der Reptilien be-
kannt geworden ist, gesammelt, und mit eigenen Beobachtungen reichlich vermehrt in einer
Abhandlung „Ueber lebendig gebärende Amphibien” mitgetheilt, welche er mir zu übersenden
die Güte hatte. Diese lehrreiche Abhandlung bildet den Anfang eines Werkes, dessen Titel ich
leider nicht angeben kann, da es noch nicht vollendet scheint. Mir wenigstens ist nur jene Ab-
handlung bekannt geworden. — Diese Bemerkung, im Jahre 1829 niedergeschrieben, gilt noch
jetzt 1834.
II. X
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[161/0171] Eidechsen und Schlangen viel länger als in den Vögeln, ja die beiden Aortenwur- zeln verharren das ganze Leben hindurch, wenn auch die rechte viel stärker wird als die linke. Eben so bleibt die Herzkammer ohne vollständige Scheidewand, die der Vogel doch schon im Anfange dieser Periode erhält. Die Reptilien verharren also in Hinsicht des Kreislaufes in einem embryonischen Zustande, indem er bei ihnen ein unvollkommen doppelter bleibt. Dagegen erlangen die Vögel äuſsere Begattungsglieder (mit sehr wenigen Ausnahmen) gar nicht. In dieser Hinsicht verharren also die Vögel in einem embryonischen Zustande gegen die Reptilien. Merkwürdig ist es, daſs viele Schlangen, wie es scheint alle giftigen, auſserdem aber auch die Gattung der Blindschleichen, vielleicht die Boen, die Gattung Acrochordus nnd einige Eidechsen, wie die Gattung Seps, ihre Eier bis zur völligen Beendigung des Embryonenlebens d. h. bis zum Hervorbrechen aus den Eihäuten im Eileiter behalten *). Man pflegt sie daher lebendig-gebärende zu nennen. Noch merkwürdiger aber ist es, daſs einzelne Arten einer Gattung le- bendige Junge zur Welt bringen, während andere Eier legen, obgleich jene im ausgebildeten Zustande fast gar keine Eigenthümlichkeit im Bau zu erkennen ge- ben, wodurch sie sich von den andern Arten unterscheiden. So bringt Coluber laevis lebendige Junge zur Welt, obgleich die meisten übrigen Nattern Eier le- gen. Unsere safranbauchige Eidechse, Lacerta crocea, die der gröſsern hier lebenden Art (Lacerta agilis) so ähnlich ist, daſs man sie häufig verwech- selt hat, ist ebenfalls lebendig gebärend. c. Lebendig gebärende Schlangen und Eidech- sen. Dieser Unterschied in der Entwickelungsgeschichte ist indessen so groſs nicht, als man im gemeinen Leben wohl glaubt, da auch die Jungen der lebendig gebährenden Reptilien bis zur Geburt in einem Ei eingeschlossen sind, ja häufig sogar von den Eihäuten umgeben geboren werden, und dieselben erst einige Stun- den oder Tage nsch der Geburt durchreiſsen, wie ich an den Blindschleichen selbst gesehen habe, was indeſs schon früher an Blindschleichen und Vipern beob- achtet war. Zuweilen erfolgt jedoch auch die Zerreiſsung der Häute im Leibe der Mutter. Es fallen also Geburt und Enthüllung des Embryo nur ungefähr zu- sammen. Erinnern Sie sich nun, daſs in den Eiern, welche diejenigen Schlangen und Eidechsen, die ich selbst untersuchen konnte, legen, schon Embryonen sich *) Herr Professor Leuckart hat Alles, was bisher über das Lebendiggebären der Reptilien be- kannt geworden ist, gesammelt, und mit eigenen Beobachtungen reichlich vermehrt in einer Abhandlung „Ueber lebendig gebärende Amphibien” mitgetheilt, welche er mir zu übersenden die Güte hatte. Diese lehrreiche Abhandlung bildet den Anfang eines Werkes, dessen Titel ich leider nicht angeben kann, da es noch nicht vollendet scheint. Mir wenigstens ist nur jene Ab- handlung bekannt geworden. — Diese Bemerkung, im Jahre 1829 niedergeschrieben, gilt noch jetzt 1834. II. X

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/171>, abgerufen am 24.11.2024.