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Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

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plötzlich seine Stimme, ganz schwarz! Da war alles
stumm und gut -- nein, ich hätte nie gedacht, daß in einem so
was Starkes, ganz Starkes vorgehen kann! (Überläßt sich
einen Augenblick ihrer Erinnerung; dann, wie langsam erst wie-
der erwachend, in einem Ton der Enttäuschung, mit einem
trüben Lächeln.)
Hier aber, als er nun hier dir und Mam-
chen gegenübersaß -- nein. Und seitdem kann ich es nun
gar nicht mehr begreifen und ... eigentlich kann ich mich
nicht einmal mehr recht erinnern. -- (Ganz leise.) Gräß-
lich war das, ihn so bei Tageslicht zerrinnen zu sehen.
Wie ein Phantom zerrinnt, beim letzten Glockenschlag.
Und seitdem, wenn ich an ihn denke, muß ich ihn jetzt
immer so sehen, wie er da dir und Mamchen gegenüber-
saß. Was geht mich der an? Und dann sag ich mir
aber doch wieder: du liebst ihn ja! (Rasch aufstehend;
plötzlich sehr heftig.)
Denn es wär doch zu schlecht von mir,
wenn mein Gefühl so zergehen könnte! Was bin ich denn
dann für ein Geschöpf, wenn es so weggeblasen werden
kann? (Fast schreiend.) Ich liebe ihn, ich muß ihn lieben!
Ich muß, laß mich doch, es wär ja zu jämmerlich schlecht
von mir! (Fast weinend.) Das kann doch nicht alles wie-
der weg sein? Was wär ich denn dann?
Fidelis (aufstehend, etwas gereizt, trocken). Ob du nicht am
Ende Theosophie und Liebe miteinander verwechselt hast?
Justine (verläßt die Leiter und versucht sich unauffällig
fortzumachen, zur Türe links hin).
Luz (plötzlich wieder ruhig, mit einem festen Blick auf Fi-
delis; naiv ehrlich).
Nein, Fidl. Glaub das nicht! Von
Theosophie weiß ich gar nichts, ich habe mir kein Wort
gemerkt.
plötzlich ſeine Stimme, ganz ſchwarz! Da war alles
ſtumm und gut — nein, ich hätte nie gedacht, daß in einem ſo
was Starkes, ganz Starkes vorgehen kann! (Uͤberlaͤßt ſich
einen Augenblick ihrer Erinnerung; dann, wie langſam erſt wie-
der erwachend, in einem Ton der Enttaͤuſchung, mit einem
truͤben Laͤcheln.)
Hier aber, als er nun hier dir und Mam-
chen gegenüberſaß — nein. Und ſeitdem kann ich es nun
gar nicht mehr begreifen und ... eigentlich kann ich mich
nicht einmal mehr recht erinnern. — (Ganz leiſe.) Gräß-
lich war das, ihn ſo bei Tageslicht zerrinnen zu ſehen.
Wie ein Phantom zerrinnt, beim letzten Glockenſchlag.
Und ſeitdem, wenn ich an ihn denke, muß ich ihn jetzt
immer ſo ſehen, wie er da dir und Mamchen gegenüber-
ſaß. Was geht mich der an? Und dann ſag ich mir
aber doch wieder: du liebſt ihn ja! (Raſch aufſtehend;
ploͤtzlich ſehr heftig.)
Denn es wär doch zu ſchlecht von mir,
wenn mein Gefühl ſo zergehen könnte! Was bin ich denn
dann für ein Geſchöpf, wenn es ſo weggeblaſen werden
kann? (Faſt ſchreiend.) Ich liebe ihn, ich muß ihn lieben!
Ich muß, laß mich doch, es wär ja zu jämmerlich ſchlecht
von mir! (Faſt weinend.) Das kann doch nicht alles wie-
der weg ſein? Was wär ich denn dann?
Fidelis (aufſtehend, etwas gereizt, trocken). Ob du nicht am
Ende Theoſophie und Liebe miteinander verwechſelt haſt?
Juſtine (verlaͤßt die Leiter und verſucht ſich unauffaͤllig
fortzumachen, zur Tuͤre links hin).
Luz (ploͤtzlich wieder ruhig, mit einem feſten Blick auf Fi-
delis; naiv ehrlich).
Nein, Fidl. Glaub das nicht! Von
Theoſophie weiß ich gar nichts, ich habe mir kein Wort
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[133/0142] plötzlich ſeine Stimme, ganz ſchwarz! Da war alles ſtumm und gut — nein, ich hätte nie gedacht, daß in einem ſo was Starkes, ganz Starkes vorgehen kann! (Uͤberlaͤßt ſich einen Augenblick ihrer Erinnerung; dann, wie langſam erſt wie- der erwachend, in einem Ton der Enttaͤuſchung, mit einem truͤben Laͤcheln.) Hier aber, als er nun hier dir und Mam- chen gegenüberſaß — nein. Und ſeitdem kann ich es nun gar nicht mehr begreifen und ... eigentlich kann ich mich nicht einmal mehr recht erinnern. — (Ganz leiſe.) Gräß- lich war das, ihn ſo bei Tageslicht zerrinnen zu ſehen. Wie ein Phantom zerrinnt, beim letzten Glockenſchlag. Und ſeitdem, wenn ich an ihn denke, muß ich ihn jetzt immer ſo ſehen, wie er da dir und Mamchen gegenüber- ſaß. Was geht mich der an? Und dann ſag ich mir aber doch wieder: du liebſt ihn ja! (Raſch aufſtehend; ploͤtzlich ſehr heftig.) Denn es wär doch zu ſchlecht von mir, wenn mein Gefühl ſo zergehen könnte! Was bin ich denn dann für ein Geſchöpf, wenn es ſo weggeblaſen werden kann? (Faſt ſchreiend.) Ich liebe ihn, ich muß ihn lieben! Ich muß, laß mich doch, es wär ja zu jämmerlich ſchlecht von mir! (Faſt weinend.) Das kann doch nicht alles wie- der weg ſein? Was wär ich denn dann? Fidelis (aufſtehend, etwas gereizt, trocken). Ob du nicht am Ende Theoſophie und Liebe miteinander verwechſelt haſt? Juſtine (verlaͤßt die Leiter und verſucht ſich unauffaͤllig fortzumachen, zur Tuͤre links hin). Luz (ploͤtzlich wieder ruhig, mit einem feſten Blick auf Fi- delis; naiv ehrlich). Nein, Fidl. Glaub das nicht! Von Theoſophie weiß ich gar nichts, ich habe mir kein Wort gemerkt.

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Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/142>, abgerufen am 04.05.2024.