Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite
zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube,
daß er sogar vielleicht echt ist. Sie braucht dich. Ich
fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr
für sie. -- Also geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht
moralisch! Laß das noch einige Tage!
Justine (kommt zu ihm und sieht ihn neugierig an). Ich
muß anerkennen, daß du dich ja --
Fidelis (ihr ins Wort fallend; mit einiger Bitterkeit).
Ich benehme mich gut? Aber du -- gesteh, Mamchen,
du hättest dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich
mehr versprochen, nicht?
Justine (trocken). Ich hätte nur nicht gedacht, daß
man so leicht zurückfindet und einfach wieder so weiter
lebt.
Fidelis (wieder in seinem ironisch leichtsinnigen Ton). Aber
das ganze Leben der Menschheit kann doch deswegen
nicht in einemfort sistiert werden? Denk dir nur, zum
Beispiel: Lokomotivführer! Die müssen auch, die können
auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen -- nicht wahr?
(In einem ernsteren Ton.) Man stellt sich alles viel gräß-
licher vor. Ich wenigstens bin von den großen Schmerzen
des Lebens bisher eigentlich stets angenehm enttäuscht
worden.
Justine (trocken, fast ein bißchen verächtlich). Da bist du
sehr zu beneiden. Aber nicht alle Menschen sind so --
(Hält ein.)
Fidelis. Du willst mir andeuten, daß ich keine sehr
tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht,
daß die, die schreien, deshalb tiefer sind. -- (Lächelnd.)
Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu scheinen auf,
zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube,
daß er ſogar vielleicht echt iſt. Sie braucht dich. Ich
fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr
für ſie. — Alſo geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht
moraliſch! Laß das noch einige Tage!
Juſtine (kommt zu ihm und ſieht ihn neugierig an). Ich
muß anerkennen, daß du dich ja —
Fidelis (ihr ins Wort fallend; mit einiger Bitterkeit).
Ich benehme mich gut? Aber du — geſteh, Mamchen,
du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich
mehr verſprochen, nicht?
Juſtine (trocken). Ich hätte nur nicht gedacht, daß
man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter
lebt.
Fidelis (wieder in ſeinem ironiſch leichtſinnigen Ton). Aber
das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen
nicht in einemfort ſiſtiert werden? Denk dir nur, zum
Beiſpiel: Lokomotivführer! Die müſſen auch, die können
auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen — nicht wahr?
(In einem ernſteren Ton.) Man ſtellt ſich alles viel gräß-
licher vor. Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen
des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht
worden.
Juſtine (trocken, faſt ein bißchen veraͤchtlich). Da biſt du
ſehr zu beneiden. Aber nicht alle Menſchen ſind ſo —
(Haͤlt ein.)
Fidelis. Du willſt mir andeuten, daß ich keine ſehr
tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht,
daß die, die ſchreien, deshalb tiefer ſind. — (Laͤchelnd.)
Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="act">
        <sp who="#FID">
          <p><pb facs="#f0066" n="63"/>
zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube,<lb/>
daß er &#x017F;ogar vielleicht echt i&#x017F;t. Sie braucht dich. Ich<lb/>
fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr<lb/>
für &#x017F;ie. &#x2014; Al&#x017F;o geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht<lb/>
morali&#x017F;ch! Laß das noch einige Tage!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(kommt zu ihm und &#x017F;ieht ihn neugierig an).</stage>
          <p>Ich<lb/>
muß anerkennen, daß du dich ja &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(ihr ins Wort fallend; mit einiger Bitterkeit).</stage><lb/>
          <p>Ich benehme mich gut? Aber du &#x2014; ge&#x017F;teh, Mamchen,<lb/>
du hätte&#x017F;t dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich<lb/>
mehr ver&#x017F;prochen, nicht?</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(trocken).</stage>
          <p>Ich hätte nur nicht gedacht, daß<lb/>
man &#x017F;o leicht zurückfindet und einfach wieder &#x017F;o weiter<lb/>
lebt.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(wieder in &#x017F;einem ironi&#x017F;ch leicht&#x017F;innigen Ton).</stage>
          <p>Aber<lb/>
das ganze Leben der Men&#x017F;chheit kann doch deswegen<lb/>
nicht in einemfort &#x017F;i&#x017F;tiert werden? Denk dir nur, zum<lb/>
Bei&#x017F;piel: Lokomotivführer! Die mü&#x017F;&#x017F;en auch, die können<lb/>
auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen &#x2014; nicht wahr?<lb/><stage>(In einem ern&#x017F;teren Ton.)</stage> Man &#x017F;tellt &#x017F;ich alles viel gräß-<lb/>
licher vor. Ich wenig&#x017F;tens bin von den großen Schmerzen<lb/>
des Lebens bisher eigentlich &#x017F;tets angenehm enttäu&#x017F;cht<lb/>
worden.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#JUS">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Ju&#x017F;tine</hi> </hi> </speaker>
          <stage>(trocken, fa&#x017F;t ein bißchen vera&#x0364;chtlich).</stage>
          <p>Da bi&#x017F;t du<lb/>
&#x017F;ehr zu beneiden. Aber nicht alle Men&#x017F;chen &#x017F;ind &#x017F;o &#x2014;<lb/><stage>(Ha&#x0364;lt ein.)</stage></p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#FID">
          <speaker> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#fr">Fidelis.</hi> </hi> </speaker>
          <p>Du will&#x017F;t mir andeuten, daß ich keine &#x017F;ehr<lb/>
tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht,<lb/>
daß die, die &#x017F;chreien, deshalb tiefer &#x017F;ind. &#x2014; <stage>(La&#x0364;chelnd.)</stage><lb/>
Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu &#x017F;cheinen auf,<lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0066] zu ihr! Sie hat einen großen Schmerz und ich glaube, daß er ſogar vielleicht echt iſt. Sie braucht dich. Ich fürchte, ich wäre jetzt vielleicht nicht der richtige Verkehr für ſie. — Alſo geh zu ihr! Aber bitte: Sei jetzt nicht moraliſch! Laß das noch einige Tage! Juſtine (kommt zu ihm und ſieht ihn neugierig an). Ich muß anerkennen, daß du dich ja — Fidelis (ihr ins Wort fallend; mit einiger Bitterkeit). Ich benehme mich gut? Aber du — geſteh, Mamchen, du hätteſt dir von einem betrogenen Ehemann eigentlich mehr verſprochen, nicht? Juſtine (trocken). Ich hätte nur nicht gedacht, daß man ſo leicht zurückfindet und einfach wieder ſo weiter lebt. Fidelis (wieder in ſeinem ironiſch leichtſinnigen Ton). Aber das ganze Leben der Menſchheit kann doch deswegen nicht in einemfort ſiſtiert werden? Denk dir nur, zum Beiſpiel: Lokomotivführer! Die müſſen auch, die können auch nicht jedesmal, wenn ihre Frauen — nicht wahr? (In einem ernſteren Ton.) Man ſtellt ſich alles viel gräß- licher vor. Ich wenigſtens bin von den großen Schmerzen des Lebens bisher eigentlich ſtets angenehm enttäuſcht worden. Juſtine (trocken, faſt ein bißchen veraͤchtlich). Da biſt du ſehr zu beneiden. Aber nicht alle Menſchen ſind ſo — (Haͤlt ein.) Fidelis. Du willſt mir andeuten, daß ich keine ſehr tiefe Natur bin? Vermutlich. Aber glaube nur nicht, daß die, die ſchreien, deshalb tiefer ſind. — (Laͤchelnd.) Schau, Mamchen, die Sonne hört nicht zu ſcheinen auf,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/66
Zitationshilfe: Bahr, Hermann: Das Phantom. Berlin, 1913, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahr_phantom_1913/66>, abgerufen am 25.11.2024.