welcher die Kirche alle Selbständigkeit der Wissenschaft darniedergehalten habe. Er schilderte die Verunsittlichung des Lebens durch die Zerstörung der Familie mittelst des Zölibats, durch die Zerstörung des werktätigen Fleisses mittels der Vergötterung der Armut und Faulheit und stu- piden Werkheiligkeit, durch die Zerstörung der Gewissen- haftigkeit mittelst eines stumpfen unmündigen Gehorsams, der in seiner Gedankenlosigkeit die Verantwortung für sein Tun den Priestern überlässt, endlich durch die Zerstörung des Staates infolge Nichtanerkennung der wahren fürstlichen Suveränität" 177). Kurz er schilderte all' das, das wir heute als Folge der Augsburgischen Konfession und der prote- stantischen Kirchengründung dem Staatslutheranismus vor- zuwerfen haben: die Verderbtheit der Kirche (durch Abhängig- keit von der Fürstengewalt), die Sklaverei der Wissenschaft (durch Abhängigkeit von der Fürstengewalt), die Verunsitt- lichung des Lebens (durch einen unbedenklichen Positivismus), die Zerstörung der Familie (durch Kriege und Deportationen), die Zerstörung des werktätigen Lebens (durch Monopole und Privilegien), die Vergötterung der Armut (durch defaitistische Propaganda im Ausland), die Zerstörung der Gewissenhaftigkeit (durch politische Entmündung).
Der Senat machte bei Gelegenheit dieser Feier auf den Mangel einer Universitätskirche für Berlin aufmerksam (trotz Kant) und Hegel, der inzwischen Rektor geworden war, nahm sich der Sache "aus allen Kräften" an, indem er darauf drang, man möge wenigstens "vorerst einen Betsaal bewilligen", wenn noch keine Kirche gebaut werden könne. Eine besondere Kirche gehöre "schon zum Anstand einer Universität". Nach- dem selbe (die Universität) "auf eine Anzahl von 1800 Studierenden angewachsen sei, bilde sie mit den Familien der über 100 sich belaufenden Dozenten eine nicht unan- sehnliche Gemeinde178). Hegel als Rektor und der Landes- fürst als Rector magnificentissimus verhielten sich auf der theologischen Linie zu einander wie der Prediger zum Bischof.
welcher die Kirche alle Selbständigkeit der Wissenschaft darniedergehalten habe. Er schilderte die Verunsittlichung des Lebens durch die Zerstörung der Familie mittelst des Zölibats, durch die Zerstörung des werktätigen Fleisses mittels der Vergötterung der Armut und Faulheit und stu- piden Werkheiligkeit, durch die Zerstörung der Gewissen- haftigkeit mittelst eines stumpfen unmündigen Gehorsams, der in seiner Gedankenlosigkeit die Verantwortung für sein Tun den Priestern überlässt, endlich durch die Zerstörung des Staates infolge Nichtanerkennung der wahren fürstlichen Suveränität“ 177). Kurz er schilderte all' das, das wir heute als Folge der Augsburgischen Konfession und der prote- stantischen Kirchengründung dem Staatslutheranismus vor- zuwerfen haben: die Verderbtheit der Kirche (durch Abhängig- keit von der Fürstengewalt), die Sklaverei der Wissenschaft (durch Abhängigkeit von der Fürstengewalt), die Verunsitt- lichung des Lebens (durch einen unbedenklichen Positivismus), die Zerstörung der Familie (durch Kriege und Deportationen), die Zerstörung des werktätigen Lebens (durch Monopole und Privilegien), die Vergötterung der Armut (durch defaitistische Propaganda im Ausland), die Zerstörung der Gewissenhaftigkeit (durch politische Entmündung).
Der Senat machte bei Gelegenheit dieser Feier auf den Mangel einer Universitätskirche für Berlin aufmerksam (trotz Kant) und Hegel, der inzwischen Rektor geworden war, nahm sich der Sache „aus allen Kräften“ an, indem er darauf drang, man möge wenigstens „vorerst einen Betsaal bewilligen“, wenn noch keine Kirche gebaut werden könne. Eine besondere Kirche gehöre „schon zum Anstand einer Universität“. Nach- dem selbe (die Universität) „auf eine Anzahl von 1800 Studierenden angewachsen sei, bilde sie mit den Familien der über 100 sich belaufenden Dozenten eine nicht unan- sehnliche Gemeinde178). Hegel als Rektor und der Landes- fürst als Rector magnificentissimus verhielten sich auf der theologischen Linie zu einander wie der Prediger zum Bischof.
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welcher die Kirche alle Selbständigkeit der Wissenschaft
darniedergehalten habe. Er schilderte die Verunsittlichung
des Lebens durch die Zerstörung der Familie mittelst des
Zölibats, durch die Zerstörung des werktätigen Fleisses
mittels der Vergötterung der Armut und Faulheit und stu-
piden Werkheiligkeit, durch die Zerstörung der Gewissen-
haftigkeit mittelst eines stumpfen unmündigen Gehorsams,
der in seiner Gedankenlosigkeit die Verantwortung für sein
Tun den Priestern überlässt, endlich durch die Zerstörung
des Staates infolge Nichtanerkennung der wahren fürstlichen
Suveränität“
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. Kurz er schilderte all' das, das wir heute
als Folge der Augsburgischen Konfession und der prote-
stantischen Kirchengründung dem Staatslutheranismus vor-
zuwerfen haben: die Verderbtheit der Kirche (durch Abhängig-
keit von der Fürstengewalt), die Sklaverei der Wissenschaft
(durch Abhängigkeit von der Fürstengewalt), die Verunsitt-
lichung des Lebens (durch einen unbedenklichen Positivismus),
die Zerstörung der Familie (durch Kriege und Deportationen),
die Zerstörung des werktätigen Lebens (durch Monopole
und Privilegien), die Vergötterung der Armut (durch
defaitistische Propaganda im Ausland), die Zerstörung der
Gewissenhaftigkeit (durch politische Entmündung).
Der Senat machte bei Gelegenheit dieser Feier auf den
Mangel einer Universitätskirche für Berlin aufmerksam (trotz
Kant) und Hegel, der inzwischen Rektor geworden war,
nahm sich der Sache „aus allen Kräften“ an, indem er darauf
drang, man möge wenigstens „vorerst einen Betsaal bewilligen“,
wenn noch keine Kirche gebaut werden könne. Eine besondere
Kirche gehöre „schon zum Anstand einer Universität“. Nach-
dem selbe (die Universität) „auf eine Anzahl von 1800
Studierenden angewachsen sei, bilde sie mit den Familien
der über 100 sich belaufenden Dozenten eine nicht unan-
sehnliche Gemeinde
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. Hegel als Rektor und der Landes-
fürst als Rector magnificentissimus verhielten sich auf der
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/120>, abgerufen am 27.11.2024.
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