der Renaissance und der Aufklärung eine Despotenfreiheit war, erhielt eine christlich-restaurative Wendung durch die ihm beigegebenen Begriffe der Gleichheit und Brüderlich- keit, und wenn auch alle die weltbeglückenden Ideen und Systeme, alle die Konspirationen der Dekabristen und Anar- chisten, alle die utopischen Bemühungen christlicher Apo- logeten und sozialer Emanzipatoren sich widerspruchsvoll und im Kampfe gegeneinander erwiesen, so wurden doch unverlierbarer Besitz: die Menschenrechte, die Rechte der Masse und jedes ihrer Individuen, die Rechte der Nation; und wurde Gewissensurgrund einer neuen Menschheit die Abschaffung aller knebelnden, hemmenden, despotischen Gewalten.
Wir Deutschen am wenigsten haben Veranlassung, uns verwirren zu lassen von Rabulisten der Reaktion, die mit der Karikatur die Idee widerlegen möchten, indem sie uns sagen, dass "Freiheiten nicht die Freiheit bedeuten", "dass Freiheiten nicht einmal Freiheiten sind, sondern nur poli- zierte Interessen" und die uns für die politische Freiheit die "innere civitas dei" als Ersatz anbieten 2). Wir wissen, dass die Klassenpolitik die Brüderlichkeit nicht förderte, sondern verkümmern liess in den Vereinsbruder, den Kegel- bruder, den Parteibruder oder das Genossentum wirtschaft- licher Interessentengruppen. Wir wissen, dass die Brüder- lichkeit "unmenschlich" wurde, indem sie sich partikularisierte in Zirkeln, Verbänden, Parteien. Aber das spricht nur gegen die Art der Verwirklichung, nicht gegen das Prinzip; nicht gegen die restlose Parteinahme, noch gegen den "unab- lässigen Kampf für die Befreiung von Armen und Köpfen zur glückhaften Anschauung und zur Betätigung der Güte", wovon in früheren Zeiten Rene Schickele einmal sprach 3). Die Herren Naumann, Sombart, Scheler und Rathenau wissen viel Materielles und Unbrauchbares von der fran- zösischen Revolution zu erzählen 4). Vom Ideensturm haben sie nichts gefühlt. Es wäre ja auch verwunderlich.
der Renaissance und der Aufklärung eine Despotenfreiheit war, erhielt eine christlich-restaurative Wendung durch die ihm beigegebenen Begriffe der Gleichheit und Brüderlich- keit, und wenn auch alle die weltbeglückenden Ideen und Systeme, alle die Konspirationen der Dekabristen und Anar- chisten, alle die utopischen Bemühungen christlicher Apo- logeten und sozialer Emanzipatoren sich widerspruchsvoll und im Kampfe gegeneinander erwiesen, so wurden doch unverlierbarer Besitz: die Menschenrechte, die Rechte der Masse und jedes ihrer Individuen, die Rechte der Nation; und wurde Gewissensurgrund einer neuen Menschheit die Abschaffung aller knebelnden, hemmenden, despotischen Gewalten.
Wir Deutschen am wenigsten haben Veranlassung, uns verwirren zu lassen von Rabulisten der Reaktion, die mit der Karikatur die Idee widerlegen möchten, indem sie uns sagen, dass „Freiheiten nicht die Freiheit bedeuten“, „dass Freiheiten nicht einmal Freiheiten sind, sondern nur poli- zierte Interessen“ und die uns für die politische Freiheit die „innere civitas dei“ als Ersatz anbieten 2). Wir wissen, dass die Klassenpolitik die Brüderlichkeit nicht förderte, sondern verkümmern liess in den Vereinsbruder, den Kegel- bruder, den Parteibruder oder das Genossentum wirtschaft- licher Interessentengruppen. Wir wissen, dass die Brüder- lichkeit „unmenschlich“ wurde, indem sie sich partikularisierte in Zirkeln, Verbänden, Parteien. Aber das spricht nur gegen die Art der Verwirklichung, nicht gegen das Prinzip; nicht gegen die restlose Parteinahme, noch gegen den „unab- lässigen Kampf für die Befreiung von Armen und Köpfen zur glückhaften Anschauung und zur Betätigung der Güte“, wovon in früheren Zeiten René Schickele einmal sprach 3). Die Herren Naumann, Sombart, Scheler und Rathenau wissen viel Materielles und Unbrauchbares von der fran- zösischen Revolution zu erzählen 4). Vom Ideensturm haben sie nichts gefühlt. Es wäre ja auch verwunderlich.
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der Renaissance und der Aufklärung eine Despotenfreiheit
war, erhielt eine christlich-restaurative Wendung durch die
ihm beigegebenen Begriffe der Gleichheit und Brüderlich-
keit, und wenn auch alle die weltbeglückenden Ideen und
Systeme, alle die Konspirationen der Dekabristen und Anar-
chisten, alle die utopischen Bemühungen christlicher Apo-
logeten und sozialer Emanzipatoren sich widerspruchsvoll
und im Kampfe gegeneinander erwiesen, so wurden doch
unverlierbarer Besitz: die Menschenrechte, die Rechte der
Masse und jedes ihrer Individuen, die Rechte der Nation;
und wurde Gewissensurgrund einer neuen Menschheit die
Abschaffung aller knebelnden, hemmenden, despotischen
Gewalten.
Wir Deutschen am wenigsten haben Veranlassung, uns
verwirren zu lassen von Rabulisten der Reaktion, die mit
der Karikatur die Idee widerlegen möchten, indem sie uns
sagen, dass „Freiheiten nicht die Freiheit bedeuten“, „dass
Freiheiten nicht einmal Freiheiten sind, sondern nur poli-
zierte Interessen“ und die uns für die politische Freiheit
die „innere civitas dei“ als Ersatz anbieten
²⁾
. Wir wissen,
dass die Klassenpolitik die Brüderlichkeit nicht förderte,
sondern verkümmern liess in den Vereinsbruder, den Kegel-
bruder, den Parteibruder oder das Genossentum wirtschaft-
licher Interessentengruppen. Wir wissen, dass die Brüder-
lichkeit „unmenschlich“ wurde, indem sie sich partikularisierte
in Zirkeln, Verbänden, Parteien. Aber das spricht nur gegen
die Art der Verwirklichung, nicht gegen das Prinzip; nicht
gegen die restlose Parteinahme, noch gegen den „unab-
lässigen Kampf für die Befreiung von Armen und Köpfen
zur glückhaften Anschauung und zur Betätigung der Güte“,
wovon in früheren Zeiten René Schickele einmal sprach
³⁾
.
Die Herren Naumann, Sombart, Scheler und Rathenau
wissen viel Materielles und Unbrauchbares von der fran-
zösischen Revolution zu erzählen
⁴⁾
. Vom Ideensturm haben
sie nichts gefühlt. Es wäre ja auch verwunderlich.
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/135>, abgerufen am 23.11.2024.
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