Italien" alle 1831 und 1832 erschienen, und, bei Mazzinis Mitarbeit an deutschen Journalen, in Deutschland nicht ge- ringeres Aufsehen erregten als im übrigen Europa 62).
Für Jungdeutschland charakteristisch ist der Mangel einer freiheitlichen Tradition, verbunden mit dem Mangel an Praxis und einem klar sichtbaren Angriffspunkt. Man litt unter der Zensur aller fünfzig Duodezfürsten und ihrer Polizei, ohne doch die Zentralkabinette der Humboldt und Metternich systematisch angreifen und kompromittieren zu können 63). Revolutionen von allen Seiten her (Griechenland, Flandern, Italien, Frankreich) und kritische Fortschritte in der Philosophie begünstigten eine Art Sympathie-Rebellentum von Hörensagen. Aber die Reaktion im Leibe infolge Ver- giftung durch Fichte und Hegel, blieb es beim Lärm. Man nannte wohl Goethe einen "gereimten" und Hegel einen "ungereimten Knecht" (Börne); man brach mit der besten klassizistischen Bildungstradition, ohne die neue preussische jedoch ganz zu begreifen. Schlimmer war, dass weder eine Kritik des klassizistischen, noch des Hegel'schen Systems in grossen Formen das Volk erreichte. Die protestantisch- rationalistische Philosophie galt für revolutionär (siehe Heine), Feuerbach für ultrarevolutionär. Man glaubte sich Voltaire bei weitem überlegen, schon deshalb, weil man in der Evangelienkritik mit dialektischen Methoden den grösseren Anschein von Tiefsinn verband und hielt das Uebertrumpfen im Atheismus für Freiheitsgeist 64). Was man aber für Hoffnungen daran knüpfte, das verrät wiederum Heine: "Wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter so viel singen und sagen. Die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome" 65).
Italien“ alle 1831 und 1832 erschienen, und, bei Mazzinis Mitarbeit an deutschen Journalen, in Deutschland nicht ge- ringeres Aufsehen erregten als im übrigen Europa 62).
Für Jungdeutschland charakteristisch ist der Mangel einer freiheitlichen Tradition, verbunden mit dem Mangel an Praxis und einem klar sichtbaren Angriffspunkt. Man litt unter der Zensur aller fünfzig Duodezfürsten und ihrer Polizei, ohne doch die Zentralkabinette der Humboldt und Metternich systematisch angreifen und kompromittieren zu können 63). Revolutionen von allen Seiten her (Griechenland, Flandern, Italien, Frankreich) und kritische Fortschritte in der Philosophie begünstigten eine Art Sympathie-Rebellentum von Hörensagen. Aber die Reaktion im Leibe infolge Ver- giftung durch Fichte und Hegel, blieb es beim Lärm. Man nannte wohl Goethe einen „gereimten“ und Hegel einen „ungereimten Knecht“ (Börne); man brach mit der besten klassizistischen Bildungstradition, ohne die neue preussische jedoch ganz zu begreifen. Schlimmer war, dass weder eine Kritik des klassizistischen, noch des Hegel'schen Systems in grossen Formen das Volk erreichte. Die protestantisch- rationalistische Philosophie galt für revolutionär (siehe Heine), Feuerbach für ultrarevolutionär. Man glaubte sich Voltaire bei weitem überlegen, schon deshalb, weil man in der Evangelienkritik mit dialektischen Methoden den grösseren Anschein von Tiefsinn verband und hielt das Uebertrumpfen im Atheismus für Freiheitsgeist 64). Was man aber für Hoffnungen daran knüpfte, das verrät wiederum Heine: „Wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter so viel singen und sagen. Die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt und reiben sich den tausendjährigen Staub aus den Augen, und Thor mit dem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome“ 65).
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litt unter der Zensur aller fünfzig Duodezfürsten und ihrer
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Metternich systematisch angreifen und kompromittieren zu
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nannte wohl Goethe einen „gereimten“ und Hegel einen
„ungereimten Knecht“ (Börne); man brach mit der besten
klassizistischen Bildungstradition, ohne die neue preussische
jedoch ganz zu begreifen. Schlimmer war, dass weder eine
Kritik des klassizistischen, noch des Hegel'schen Systems
in grossen Formen das Volk erreichte. Die protestantisch-
rationalistische Philosophie galt für revolutionär (siehe
Heine), Feuerbach für ultrarevolutionär. Man glaubte sich
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Heine: „Wenn einst der zähmende Talisman, das Kreuz,
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Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen
Dichter so viel singen und sagen. Die alten steinernen
Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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