plätze von ebenso unbewiesener wie selbstgewisser Wucht, mögen die erschreckende Geistesarmut belegen. "Revolu- tion machen in Preussen nur die Könige". (Zu Napoleon III., Abschiedskonferenz, 1862). Oder: "Die einzige gesunde Grundlage eines grossen Staates ist der staatliche Egoismus, nicht die Romantik". (Vor dem preussischen Landtag, 1853). Oder: "Die Einflüsse und Abhängigkeiten, die das prak- tische Leben mit sich bringt, sind gottgewollte Abhängig- keiten, die man nicht ignorieren soll und kann etc. etc." 99). Als er gegen Oesterreich rüstet, hält er die "Phrase vom Bruderkrieg" für nicht stichfest. Es gibt nur eine "un- gemütliche Politik, Zug um Zug und bar". Und an An- drassy schreibt er nach Abschluss des deutsch-österrei- chischen Defensivvertrages von 1879: "Si vis pacem, para bellum. Nicht unsere guten Absichten, nur unsere ver- bündeten Streitkräfte sind die Bürgen des Friedens" 100). In seinen "Gedanken und Erinnerungen" gesteht er: "Das europäische Recht wird durch europäische Traktate ge- schaffen, wenn man aber diese Traktate nach den Grund- sätzen der Gerechtigkeit und der Moral für haltbar hielte, wäre das eine Illusion". Und erst im Alter wächst dieser "ehrliche Makler, der das Geschäft wirklich zustande bringen will" nach den Worten seines Predigers "in eine immer freiere und weitere Frömmigkeit hinein" und bringt denen, die "keine Offenbarung mehr glauben" (!) im Reichstag von 1882 zum Bewusstsein, dass "ihre Begriffe von Moral, Ehre und Pflichtgefühl wesentlich nur die fossilen Ueberreste des Christentums ihrer Väter sind" 101).
Ist der Staat an sich schon die Negation der Mensch- lichkeit, und der preussische insbesondere, weil seine mili- tärischen, juridischen und theologischen Grundlagen die Grausamkeit und den Hohn korrumpierter Klassen systematisch zur Geltung bringen, so muss er unter der Despotie einer Per- sönlichkeit wie Bismarck unerträglich und für die ganze Welt eine um so empörendere Herausforderung werden, je weniger
plätze von ebenso unbewiesener wie selbstgewisser Wucht, mögen die erschreckende Geistesarmut belegen. „Revolu- tion machen in Preussen nur die Könige“. (Zu Napoleon III., Abschiedskonferenz, 1862). Oder: „Die einzige gesunde Grundlage eines grossen Staates ist der staatliche Egoismus, nicht die Romantik“. (Vor dem preussischen Landtag, 1853). Oder: „Die Einflüsse und Abhängigkeiten, die das prak- tische Leben mit sich bringt, sind gottgewollte Abhängig- keiten, die man nicht ignorieren soll und kann etc. etc.“ 99). Als er gegen Oesterreich rüstet, hält er die „Phrase vom Bruderkrieg“ für nicht stichfest. Es gibt nur eine „un- gemütliche Politik, Zug um Zug und bar“. Und an An- drassy schreibt er nach Abschluss des deutsch-österrei- chischen Defensivvertrages von 1879: „Si vis pacem, para bellum. Nicht unsere guten Absichten, nur unsere ver- bündeten Streitkräfte sind die Bürgen des Friedens“ 100). In seinen „Gedanken und Erinnerungen“ gesteht er: „Das europäische Recht wird durch europäische Traktate ge- schaffen, wenn man aber diese Traktate nach den Grund- sätzen der Gerechtigkeit und der Moral für haltbar hielte, wäre das eine Illusion“. Und erst im Alter wächst dieser „ehrliche Makler, der das Geschäft wirklich zustande bringen will“ nach den Worten seines Predigers „in eine immer freiere und weitere Frömmigkeit hinein“ und bringt denen, die „keine Offenbarung mehr glauben“ (!) im Reichstag von 1882 zum Bewusstsein, dass „ihre Begriffe von Moral, Ehre und Pflichtgefühl wesentlich nur die fossilen Ueberreste des Christentums ihrer Väter sind“ 101).
Ist der Staat an sich schon die Negation der Mensch- lichkeit, und der preussische insbesondere, weil seine mili- tärischen, juridischen und theologischen Grundlagen die Grausamkeit und den Hohn korrumpierter Klassen systematisch zur Geltung bringen, so muss er unter der Despotie einer Per- sönlichkeit wie Bismarck unerträglich und für die ganze Welt eine um so empörendere Herausforderung werden, je weniger
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plätze von ebenso unbewiesener wie selbstgewisser Wucht,
mögen die erschreckende Geistesarmut belegen. „Revolu-
tion machen in Preussen nur die Könige“. (Zu Napoleon III.,
Abschiedskonferenz, 1862). Oder: „Die einzige gesunde
Grundlage eines grossen Staates ist der staatliche Egoismus,
nicht die Romantik“. (Vor dem preussischen Landtag, 1853).
Oder: „Die Einflüsse und Abhängigkeiten, die das prak-
tische Leben mit sich bringt, sind gottgewollte Abhängig-
keiten, die man nicht ignorieren soll und kann etc. etc.“
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Als er gegen Oesterreich rüstet, hält er die „Phrase vom
Bruderkrieg“ für nicht stichfest. Es gibt nur eine „un-
gemütliche Politik, Zug um Zug und bar“. Und an An-
drassy schreibt er nach Abschluss des deutsch-österrei-
chischen Defensivvertrages von 1879: „Si vis pacem, para
bellum. Nicht unsere guten Absichten, nur unsere ver-
bündeten Streitkräfte sind die Bürgen des Friedens“
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In seinen „Gedanken und Erinnerungen“ gesteht er: „Das
europäische Recht wird durch europäische Traktate ge-
schaffen, wenn man aber diese Traktate nach den Grund-
sätzen der Gerechtigkeit und der Moral für haltbar hielte,
wäre das eine Illusion“. Und erst im Alter wächst dieser
„ehrliche Makler, der das Geschäft wirklich zustande bringen
will“ nach den Worten seines Predigers „in eine immer
freiere und weitere Frömmigkeit hinein“ und bringt denen,
die „keine Offenbarung mehr glauben“ (!) im Reichstag von
1882 zum Bewusstsein, dass „ihre Begriffe von Moral, Ehre
und Pflichtgefühl wesentlich nur die fossilen Ueberreste
des Christentums ihrer Väter sind“
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Ist der Staat an sich schon die Negation der Mensch-
lichkeit, und der preussische insbesondere, weil seine mili-
tärischen, juridischen und theologischen Grundlagen die
Grausamkeit und den Hohn korrumpierter Klassen systematisch
zur Geltung bringen, so muss er unter der Despotie einer Per-
sönlichkeit wie Bismarck unerträglich und für die ganze Welt
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/224>, abgerufen am 25.11.2024.
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