praktische Rücksicht? Praktische Güte? Er kennt nur praktische Brutalität. Er folgt "dem Naturtrieb ohne grosse Skrupel". Ihn empört es nun einmal, wenn ein preussischer General sich mit der Bevölkerung von Tours, die die weisse Fahne hisst, in Verhandlungen einlässt. Er, Bismarck, hätte "mit Granaten gegen die Kerls" fortgefahren, bis sie "400 Geiseln herausgeschickt hätten" 107). Es ist die satt- sam bekannte, in ihrem rüden Tonfall immer wiederkeh- rende Sprache der Junker, die nicht erst Schule zu machen brauchte, und die zwischen Feinden und den eigenen Volksgenossen nicht einmal einen Unterschied kennt. Es ist jene wüste Instinktbarbarei, welcher schöngeistige Feuilletonisten wie Herr Emil Ludwig vergebens den Goethe'schen Mantel der Dämonie und der Problematik umzuhängen bemüht sind. Es ist jene Erhebung der heiligen Blut- und Gewaltmenschen, die den preussisch-deutschen Parnass auszeichnet 108).
Das Aufkommen Bismarcks und seiner Gesinnung be- deutet: dass die Bestialität sich fürder ihres Namens nicht mehr zu schämen braucht; dass sie Philosophie wird. Das Aufkommen Bismarcks bedeutet die Vorbereitung des dritten und letzten Einbruchs teutscher Barbarei in die romanische Zivilisation: den Weltkrieg von 1914. Pascal und Rous- seau, wenn sie vor Ueberhebung warnten und auf die nahe Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier hinwiesen, meinten ein Demutsideal. Bismarck und Nietzsche, indem sie die Tierinstinkte als den eigentlich menschlichen Natur- zustand bezeichneten, rissen die Humanität nieder und forderten den Dompteur, als Nihilisten und Zyniker. Das Ueberhündische wird heroisches Ideal, wieder ist der Weg gefunden, auf dem man originell ist, und die Ueber- zeugung verbreitet sich: auch moralische Erfolge werden mit dem Ellenbogen erstritten, mit Drohungen erlistet, mit Gerissenheit erschoben.
Will man erfahren, worin Frankreich und Russland
praktische Rücksicht? Praktische Güte? Er kennt nur praktische Brutalität. Er folgt „dem Naturtrieb ohne grosse Skrupel“. Ihn empört es nun einmal, wenn ein preussischer General sich mit der Bevölkerung von Tours, die die weisse Fahne hisst, in Verhandlungen einlässt. Er, Bismarck, hätte „mit Granaten gegen die Kerls“ fortgefahren, bis sie „400 Geiseln herausgeschickt hätten“ 107). Es ist die satt- sam bekannte, in ihrem rüden Tonfall immer wiederkeh- rende Sprache der Junker, die nicht erst Schule zu machen brauchte, und die zwischen Feinden und den eigenen Volksgenossen nicht einmal einen Unterschied kennt. Es ist jene wüste Instinktbarbarei, welcher schöngeistige Feuilletonisten wie Herr Emil Ludwig vergebens den Goethe'schen Mantel der Dämonie und der Problematik umzuhängen bemüht sind. Es ist jene Erhebung der heiligen Blut- und Gewaltmenschen, die den preussisch-deutschen Parnass auszeichnet 108).
Das Aufkommen Bismarcks und seiner Gesinnung be- deutet: dass die Bestialität sich fürder ihres Namens nicht mehr zu schämen braucht; dass sie Philosophie wird. Das Aufkommen Bismarcks bedeutet die Vorbereitung des dritten und letzten Einbruchs teutscher Barbarei in die romanische Zivilisation: den Weltkrieg von 1914. Pascal und Rous- seau, wenn sie vor Ueberhebung warnten und auf die nahe Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier hinwiesen, meinten ein Demutsideal. Bismarck und Nietzsche, indem sie die Tierinstinkte als den eigentlich menschlichen Natur- zustand bezeichneten, rissen die Humanität nieder und forderten den Dompteur, als Nihilisten und Zyniker. Das Ueberhündische wird heroisches Ideal, wieder ist der Weg gefunden, auf dem man originell ist, und die Ueber- zeugung verbreitet sich: auch moralische Erfolge werden mit dem Ellenbogen erstritten, mit Drohungen erlistet, mit Gerissenheit erschoben.
Will man erfahren, worin Frankreich und Russland
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praktische Rücksicht? Praktische Güte? Er kennt nur
praktische Brutalität. Er folgt „dem Naturtrieb ohne grosse
Skrupel“. Ihn empört es nun einmal, wenn ein preussischer
General sich mit der Bevölkerung von Tours, die die
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hätte „mit Granaten gegen die Kerls“ fortgefahren, bis sie
„400 Geiseln herausgeschickt hätten“
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sam bekannte, in ihrem rüden Tonfall immer wiederkeh-
rende Sprache der Junker, die nicht erst Schule zu machen
brauchte, und die zwischen Feinden und den eigenen
Volksgenossen nicht einmal einen Unterschied kennt.
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Feuilletonisten wie Herr Emil Ludwig vergebens den
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umzuhängen bemüht sind. Es ist jene Erhebung der heiligen
Blut- und Gewaltmenschen, die den preussisch-deutschen
Parnass auszeichnet
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deutet: dass die Bestialität sich fürder ihres Namens nicht
mehr zu schämen braucht; dass sie Philosophie wird. Das
Aufkommen Bismarcks bedeutet die Vorbereitung des dritten
und letzten Einbruchs teutscher Barbarei in die romanische
Zivilisation: den Weltkrieg von 1914. Pascal und Rous-
seau, wenn sie vor Ueberhebung warnten und auf die nahe
Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier hinwiesen,
meinten ein Demutsideal. Bismarck und Nietzsche, indem
sie die Tierinstinkte als den eigentlich menschlichen Natur-
zustand bezeichneten, rissen die Humanität nieder und
forderten den Dompteur, als Nihilisten und Zyniker. Das
Ueberhündische wird heroisches Ideal, wieder ist der Weg
gefunden, auf dem man originell ist, und die Ueber-
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/227>, abgerufen am 25.11.2024.
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