Interessenpolitik herab. Die Kulturkampf-Initiative war auf Seiten Bismarcks gegen die römische Kirche, statt umgekehrt, und es gelang dem Kanzler, damit sogar die Sympathie rationalistischer Rebellen zu gewinnen, die auf politischem Gebiet seine wildesten Gegner waren.
Für die Sozialdemokratie bekannte sich August Bebel im neuen Reichstag "zum Atheismus auf religiösem, zum Republikanismus auf politischem, und zum Communismus auf wirtschaftlichem Gebiete", und gewiss war Bebel über- zeugt, damit eine Formel tödlicher Feindschaft aufgestellt zu haben. Aber er war doch bei all seiner ehrlichen Tapfer- keit ein preussisches Soldatenkind, das bereit war, für eine anständige Sache auch den "Schiessprügel auf den Buckel zu nehmen", und leider musste man den junkerlichen Krieg von 1870 für solch eine anständige Sache halten. Bekannte doch selbst Mehring noch: "Mochte Bismarck was immer gesündigt haben, und der norddeutsche Bund wie wenig immer mit einem Idealstaate gemein haben, so galt es, dem Auslande endlich einmal zu zeigen, dass Deutschland ent- schlossen und fähig sei, seinen eigenen Willen zu haben. Durch alle diplomatischen Lügen hindurch (durch alle?) sah das Volk nur die eine Tatsache, dass der Krieg geführt werden müsse, um die nationale Existenz sicher zu stellen" 112).
Erst eine 9monatige Gefängnishaft belehrte Bebel dar- über, dass das Volk nicht für die Freiheit und nicht um seine nationale Existenz gekämpft hatte, sondern im Gegenteil für die Freiheit der Junker und ebenso für deren nationale Existenz. Den "Atheismus auf religiösem Gebiete" brauchte Bismarck nicht zu fürchten, und den "Kommunismus auf wirtschaftlichem Gebiete" ebenso wenig. Den ersteren ver- trat er selbst viel gründlicher wie Bebel, wenn auch in pietistischer Verbrämung, den Staatskommunismus aber durchschaute er in seiner materiellen Lüsternheit und warf ihm die Gnaden- und Versöhnungsbrocken der Sozial- gesetzgebung zur Stillung seines Appetits zu.
Interessenpolitik herab. Die Kulturkampf-Initiative war auf Seiten Bismarcks gegen die römische Kirche, statt umgekehrt, und es gelang dem Kanzler, damit sogar die Sympathie rationalistischer Rebellen zu gewinnen, die auf politischem Gebiet seine wildesten Gegner waren.
Für die Sozialdemokratie bekannte sich August Bebel im neuen Reichstag „zum Atheismus auf religiösem, zum Republikanismus auf politischem, und zum Communismus auf wirtschaftlichem Gebiete“, und gewiss war Bebel über- zeugt, damit eine Formel tödlicher Feindschaft aufgestellt zu haben. Aber er war doch bei all seiner ehrlichen Tapfer- keit ein preussisches Soldatenkind, das bereit war, für eine anständige Sache auch den „Schiessprügel auf den Buckel zu nehmen“, und leider musste man den junkerlichen Krieg von 1870 für solch eine anständige Sache halten. Bekannte doch selbst Mehring noch: „Mochte Bismarck was immer gesündigt haben, und der norddeutsche Bund wie wenig immer mit einem Idealstaate gemein haben, so galt es, dem Auslande endlich einmal zu zeigen, dass Deutschland ent- schlossen und fähig sei, seinen eigenen Willen zu haben. Durch alle diplomatischen Lügen hindurch (durch alle?) sah das Volk nur die eine Tatsache, dass der Krieg geführt werden müsse, um die nationale Existenz sicher zu stellen“ 112).
Erst eine 9monatige Gefängnishaft belehrte Bebel dar- über, dass das Volk nicht für die Freiheit und nicht um seine nationale Existenz gekämpft hatte, sondern im Gegenteil für die Freiheit der Junker und ebenso für deren nationale Existenz. Den „Atheismus auf religiösem Gebiete“ brauchte Bismarck nicht zu fürchten, und den „Kommunismus auf wirtschaftlichem Gebiete“ ebenso wenig. Den ersteren ver- trat er selbst viel gründlicher wie Bebel, wenn auch in pietistischer Verbrämung, den Staatskommunismus aber durchschaute er in seiner materiellen Lüsternheit und warf ihm die Gnaden- und Versöhnungsbrocken der Sozial- gesetzgebung zur Stillung seines Appetits zu.
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Interessenpolitik herab. Die Kulturkampf-Initiative war auf
Seiten Bismarcks gegen die römische Kirche, statt umgekehrt,
und es gelang dem Kanzler, damit sogar die Sympathie
rationalistischer Rebellen zu gewinnen, die auf politischem
Gebiet seine wildesten Gegner waren.
Für die Sozialdemokratie bekannte sich August Bebel
im neuen Reichstag „zum Atheismus auf religiösem, zum
Republikanismus auf politischem, und zum Communismus
auf wirtschaftlichem Gebiete“, und gewiss war Bebel über-
zeugt, damit eine Formel tödlicher Feindschaft aufgestellt zu
haben. Aber er war doch bei all seiner ehrlichen Tapfer-
keit ein preussisches Soldatenkind, das bereit war, für eine
anständige Sache auch den „Schiessprügel auf den Buckel
zu nehmen“, und leider musste man den junkerlichen Krieg
von 1870 für solch eine anständige Sache halten. Bekannte
doch selbst Mehring noch: „Mochte Bismarck was immer
gesündigt haben, und der norddeutsche Bund wie wenig
immer mit einem Idealstaate gemein haben, so galt es, dem
Auslande endlich einmal zu zeigen, dass Deutschland ent-
schlossen und fähig sei, seinen eigenen Willen zu haben.
Durch alle diplomatischen Lügen hindurch (durch alle?)
sah das Volk nur die eine Tatsache, dass der Krieg geführt
werden müsse, um die nationale Existenz sicher zu stellen“
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Erst eine 9monatige Gefängnishaft belehrte Bebel dar-
über, dass das Volk nicht für die Freiheit und nicht um
seine nationale Existenz gekämpft hatte, sondern im Gegenteil
für die Freiheit der Junker und ebenso für deren nationale
Existenz. Den „Atheismus auf religiösem Gebiete“ brauchte
Bismarck nicht zu fürchten, und den „Kommunismus auf
wirtschaftlichem Gebiete“ ebenso wenig. Den ersteren ver-
trat er selbst viel gründlicher wie Bebel, wenn auch in
pietistischer Verbrämung, den Staatskommunismus aber
durchschaute er in seiner materiellen Lüsternheit und warf
ihm die Gnaden- und Versöhnungsbrocken der Sozial-
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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/229>, abgerufen am 25.11.2024.
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