altem Priestergeschlecht, geboren auf dem Schlachtfelde zu Lützen.
Er wird "originell", er verfällt der Erbsünde des Pro- testantismus. Und er gerät in immer engere Sympathie- allianz mit dem preussisch-protestantischen Pflicht- und Soldatengeist. Statt die mittelalterliche Weisheit zu exaltieren, wie Schopenhauer es tat, hält er ihre Ideen für erschöpft und verbraucht, wirft er wie Marx sie beiseite 125), und kann doch keinen Ersatz dafür finden. Er statuiert eine Herren- und Sklavenmoral und rechnet zur letzteren die Freiheits- ideale der grossen französischen Revolution und der Evan- gelien, zur ersteren aber die Selbstvergötterung der Renais- sance und des vorsokratischen Hellenentums. Er hofft, die Instinktkonfusion, den Mangel an Distanzgefühl, die deutsche Bassesse zu treffen und zieht in seiner Verblendung vor, es eher mit der Arroganz preussischer Zucht- und Diszi- plinarvorschriften, als mit der hierarchischen Rangordnung der katholischen Kirche und der geistigen Disziplin der Mönche zu halten 126). Er glaubt, den Todesschlaf der Welt zu erschüttern, indem er dem Teutonentum seine letzten Gewissensketten abnimmt, und er wird wider Willen der Herold und Totengräber jener rastaquierenden Hyänen mit hellblauen Augen und einer Sadistenfalte um den verzerrten Mund, die nun aus Gründen der Philosophie die nationalen Leidenschaften aufpeitschen und hetzen.
Bei vollem Bewusstsein und im Gefühle seiner Verant- wortung untergräbt er Schritt für Schritt und immer prin- zipieller seine eigene Basis, gegen sein Gefühl, gegen seine Nerven, ja gegen seine Einsicht 127), und je mehr er sich isoliert, desto lauter nennt er diese Isolation seinen neuen Heroismus, seine bessere Geistigkeit, seine Tapferkeit. Bis er zuletzt, ohnmächtig zu fesseln, was er selbst entbunden hat, jene höchste Gewalt verliert, die Gewalt über sich selbst, die persönliche Schlüsselgewalt, und in dem Augenblick zusammenbricht, wo er mit dem grössten Satanisten der
altem Priestergeschlecht, geboren auf dem Schlachtfelde zu Lützen.
Er wird „originell“, er verfällt der Erbsünde des Pro- testantismus. Und er gerät in immer engere Sympathie- allianz mit dem preussisch-protestantischen Pflicht- und Soldatengeist. Statt die mittelalterliche Weisheit zu exaltieren, wie Schopenhauer es tat, hält er ihre Ideen für erschöpft und verbraucht, wirft er wie Marx sie beiseite 125), und kann doch keinen Ersatz dafür finden. Er statuiert eine Herren- und Sklavenmoral und rechnet zur letzteren die Freiheits- ideale der grossen französischen Revolution und der Evan- gelien, zur ersteren aber die Selbstvergötterung der Renais- sance und des vorsokratischen Hellenentums. Er hofft, die Instinktkonfusion, den Mangel an Distanzgefühl, die deutsche Bassesse zu treffen und zieht in seiner Verblendung vor, es eher mit der Arroganz preussischer Zucht- und Diszi- plinarvorschriften, als mit der hierarchischen Rangordnung der katholischen Kirche und der geistigen Disziplin der Mönche zu halten 126). Er glaubt, den Todesschlaf der Welt zu erschüttern, indem er dem Teutonentum seine letzten Gewissensketten abnimmt, und er wird wider Willen der Herold und Totengräber jener rastaquierenden Hyänen mit hellblauen Augen und einer Sadistenfalte um den verzerrten Mund, die nun aus Gründen der Philosophie die nationalen Leidenschaften aufpeitschen und hetzen.
Bei vollem Bewusstsein und im Gefühle seiner Verant- wortung untergräbt er Schritt für Schritt und immer prin- zipieller seine eigene Basis, gegen sein Gefühl, gegen seine Nerven, ja gegen seine Einsicht 127), und je mehr er sich isoliert, desto lauter nennt er diese Isolation seinen neuen Heroismus, seine bessere Geistigkeit, seine Tapferkeit. Bis er zuletzt, ohnmächtig zu fesseln, was er selbst entbunden hat, jene höchste Gewalt verliert, die Gewalt über sich selbst, die persönliche Schlüsselgewalt, und in dem Augenblick zusammenbricht, wo er mit dem grössten Satanisten der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0235"n="227"/>
altem Priestergeschlecht, geboren auf dem Schlachtfelde zu<lb/>
Lützen.</p><lb/><p>Er wird „originell“, er verfällt der Erbsünde des Pro-<lb/>
testantismus. Und er gerät in immer engere Sympathie-<lb/>
allianz mit dem preussisch-protestantischen Pflicht- und<lb/>
Soldatengeist. Statt die mittelalterliche Weisheit zu exaltieren,<lb/>
wie Schopenhauer es tat, hält er ihre Ideen für erschöpft<lb/>
und verbraucht, wirft er wie Marx sie beiseite <notexml:id="id125d"next="id125d125d"place="end"n="125)"/>, und kann<lb/>
doch keinen Ersatz dafür finden. Er statuiert eine Herren-<lb/>
und Sklavenmoral und rechnet zur letzteren die Freiheits-<lb/>
ideale der grossen französischen Revolution und der Evan-<lb/>
gelien, zur ersteren aber die Selbstvergötterung der Renais-<lb/>
sance und des vorsokratischen Hellenentums. Er hofft, die<lb/>
Instinktkonfusion, den Mangel an Distanzgefühl, die deutsche<lb/>
Bassesse zu treffen und zieht in seiner Verblendung vor,<lb/>
es eher mit der Arroganz preussischer Zucht- und Diszi-<lb/>
plinarvorschriften, als mit der hierarchischen Rangordnung<lb/>
der katholischen Kirche und der geistigen Disziplin der<lb/>
Mönche zu halten <notexml:id="id126d"next="id126d126d"place="end"n="126)"/>. Er glaubt, den Todesschlaf der Welt<lb/>
zu erschüttern, indem er dem Teutonentum seine letzten<lb/>
Gewissensketten abnimmt, und er wird wider Willen der<lb/>
Herold und Totengräber jener rastaquierenden Hyänen mit<lb/>
hellblauen Augen und einer Sadistenfalte um den verzerrten<lb/>
Mund, die nun aus Gründen der Philosophie die nationalen<lb/>
Leidenschaften aufpeitschen und hetzen.</p><lb/><p>Bei vollem Bewusstsein und im Gefühle seiner Verant-<lb/>
wortung untergräbt er Schritt für Schritt und immer prin-<lb/>
zipieller seine eigene Basis, gegen sein Gefühl, gegen seine<lb/>
Nerven, ja gegen seine Einsicht <notexml:id="id127d"next="id127d127d"place="end"n="127)"/>, und je mehr er sich<lb/>
isoliert, desto lauter nennt er diese Isolation seinen neuen<lb/>
Heroismus, seine bessere Geistigkeit, seine Tapferkeit. Bis<lb/>
er zuletzt, ohnmächtig zu fesseln, was er selbst entbunden<lb/>
hat, jene höchste Gewalt verliert, die Gewalt über sich selbst,<lb/>
die persönliche Schlüsselgewalt, und in dem Augenblick<lb/>
zusammenbricht, wo er mit dem grössten Satanisten der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[227/0235]
altem Priestergeschlecht, geboren auf dem Schlachtfelde zu
Lützen.
Er wird „originell“, er verfällt der Erbsünde des Pro-
testantismus. Und er gerät in immer engere Sympathie-
allianz mit dem preussisch-protestantischen Pflicht- und
Soldatengeist. Statt die mittelalterliche Weisheit zu exaltieren,
wie Schopenhauer es tat, hält er ihre Ideen für erschöpft
und verbraucht, wirft er wie Marx sie beiseite
¹²⁵⁾
, und kann
doch keinen Ersatz dafür finden. Er statuiert eine Herren-
und Sklavenmoral und rechnet zur letzteren die Freiheits-
ideale der grossen französischen Revolution und der Evan-
gelien, zur ersteren aber die Selbstvergötterung der Renais-
sance und des vorsokratischen Hellenentums. Er hofft, die
Instinktkonfusion, den Mangel an Distanzgefühl, die deutsche
Bassesse zu treffen und zieht in seiner Verblendung vor,
es eher mit der Arroganz preussischer Zucht- und Diszi-
plinarvorschriften, als mit der hierarchischen Rangordnung
der katholischen Kirche und der geistigen Disziplin der
Mönche zu halten
¹²⁶⁾
. Er glaubt, den Todesschlaf der Welt
zu erschüttern, indem er dem Teutonentum seine letzten
Gewissensketten abnimmt, und er wird wider Willen der
Herold und Totengräber jener rastaquierenden Hyänen mit
hellblauen Augen und einer Sadistenfalte um den verzerrten
Mund, die nun aus Gründen der Philosophie die nationalen
Leidenschaften aufpeitschen und hetzen.
Bei vollem Bewusstsein und im Gefühle seiner Verant-
wortung untergräbt er Schritt für Schritt und immer prin-
zipieller seine eigene Basis, gegen sein Gefühl, gegen seine
Nerven, ja gegen seine Einsicht
¹²⁷⁾
, und je mehr er sich
isoliert, desto lauter nennt er diese Isolation seinen neuen
Heroismus, seine bessere Geistigkeit, seine Tapferkeit. Bis
er zuletzt, ohnmächtig zu fesseln, was er selbst entbunden
hat, jene höchste Gewalt verliert, die Gewalt über sich selbst,
die persönliche Schlüsselgewalt, und in dem Augenblick
zusammenbricht, wo er mit dem grössten Satanisten der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/235>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.