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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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herrschte, wo man die "moskowitische Barbarei" am meisten
fürchtete: in Deutschland. Die Identification des göttlichen mit
dem menschlichen Denkprozess, die Ableitung des Geistes aus
der Materie, zwei Grundanschauungen der deutschen Philosophie
des 19. Jahrhunderts, bedeuteten die Zerstörung der Idee und die
Verherrlichung des Naturzustandes. Der Katholizismus hatte
den Primat des Geistes allzu despotisch geschützt. Die Refor-
mation aber und ihre Tochter, die französische Revolution, hoben
mit den Privilegien der Intelligenz, mit der Versklavung der Natur
bedauerlicherweise zugleich auch den ewigen Widerspruch
zwischen diesen beiden feindlichen Reichen auf: gerade die Ger-
manen fanden ihr Genie in der Entfesselung und Bejahung der
natürlichen Leidenschaften, (Schiller, Kleist, Wagner, Nietzsche),
während die Romanen und Sklaven, kurz die katholischen Völker,
im allgemeinen ihre geistige Arbeit der Sublimierung und Ele-
vation, der Befreiung von den Geistes-, von den Körper- und
Naturfesseln widmeten. Die unter dem Einfluss Napoleons ent-
standene anthropomorphe Schule der Herren Feuerbach, Stirner,
Marx und Nietzsche, die so überzeugt ihre vereinten Katapulte
gegen den "göttlichen Irrwahn" richtete, hatte keinerlei Ver-
anlassung, Barbarei von draussen zu befürchten. Sie mag
es sich von den Dostojewsky, Strachow, Danilewsky, Solojew
gesagt sein lassen, dass ihr menschlicher Grössenwahn tausendmal
schlimmer und der Aufklärung dringender bedürftig ist, als die
"reaktionäre" Dogmatik einer wenigstens prinzipiell auf dem
richtigen Wege haltenden Orthodoxie.
10) Dmitri Mereschkowsky, "Der Zar und die Revolution",
Piper & Co, München, 1908, Religion und Revolution.
11) Ebendort.
12) Hermann Cohen, "Deutschtum und Judentum", Alfred
Töpelmann, Giessen, 1915. Wörtlich: "indessen erfordert nicht
nur die aktuelle Not, sondern das Verhältnis unserer Zukunft
zu Russlands Imperialismus vor allem die Nennung des viel-
leicht gewaltigsten russischen Poeten Dostojewsky, der die
ganze Gefahr des byzantinischen Christentums und des Fanatis-
mus jener orientalischen Mystik in sich enthält, mit seiner Kraft
sie entfaltend und verhüllend. Erst wenn wir alle diese falschen
Literaturgrössen der Ausländerei (sic!) in ihrer Differenz von uns
erkannt und überwunden haben werden, erst dann wird unser
Sieg allmählich ein vollständiger werden". (S. 43).
13) Julius Bab, "Fortinbras oder der Kampf des 19. Jahr-
hunderts mit dem Geiste der Romantik", Georg Bondi, Berlin, 1914.
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herrschte, wo man die „moskowitische Barbarei“ am meisten
fürchtete: in Deutschland. Die Identification des göttlichen mit
dem menschlichen Denkprozess, die Ableitung des Geistes aus
der Materie, zwei Grundanschauungen der deutschen Philosophie
des 19. Jahrhunderts, bedeuteten die Zerstörung der Idee und die
Verherrlichung des Naturzustandes. Der Katholizismus hatte
den Primat des Geistes allzu despotisch geschützt. Die Refor-
mation aber und ihre Tochter, die französische Revolution, hoben
mit den Privilegien der Intelligenz, mit der Versklavung der Natur
bedauerlicherweise zugleich auch den ewigen Widerspruch
zwischen diesen beiden feindlichen Reichen auf: gerade die Ger-
manen fanden ihr Genie in der Entfesselung und Bejahung der
natürlichen Leidenschaften, (Schiller, Kleist, Wagner, Nietzsche),
während die Romanen und Sklaven, kurz die katholischen Völker,
im allgemeinen ihre geistige Arbeit der Sublimierung und Ele-
vation, der Befreiung von den Geistes-, von den Körper- und
Naturfesseln widmeten. Die unter dem Einfluss Napoleons ent-
standene anthropomorphe Schule der Herren Feuerbach, Stirner,
Marx und Nietzsche, die so überzeugt ihre vereinten Katapulte
gegen den „göttlichen Irrwahn“ richtete, hatte keinerlei Ver-
anlassung, Barbarei von draussen zu befürchten. Sie mag
es sich von den Dostojewsky, Strachow, Danilewsky, Solojew
gesagt sein lassen, dass ihr menschlicher Grössenwahn tausendmal
schlimmer und der Aufklärung dringender bedürftig ist, als die
„reaktionäre“ Dogmatik einer wenigstens prinzipiell auf dem
richtigen Wege haltenden Orthodoxie.
10) Dmitri Mereschkowsky, „Der Zar und die Revolution“,
Piper & Co, München, 1908, Religion und Revolution.
11) Ebendort.
12) Hermann Cohen, „Deutschtum und Judentum“, Alfred
Töpelmann, Giessen, 1915. Wörtlich: „indessen erfordert nicht
nur die aktuelle Not, sondern das Verhältnis unserer Zukunft
zu Russlands Imperialismus vor allem die Nennung des viel-
leicht gewaltigsten russischen Poeten Dostojewsky, der die
ganze Gefahr des byzantinischen Christentums und des Fanatis-
mus jener orientalischen Mystik in sich enthält, mit seiner Kraft
sie entfaltend und verhüllend. Erst wenn wir alle diese falschen
Literaturgrössen der Ausländerei (sic!) in ihrer Differenz von uns
erkannt und überwunden haben werden, erst dann wird unser
Sieg allmählich ein vollständiger werden“. (S. 43).
13) Julius Bab, „Fortinbras oder der Kampf des 19. Jahr-
hunderts mit dem Geiste der Romantik“, Georg Bondi, Berlin, 1914.
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[273/0281] ⁹⁾ herrschte, wo man die „moskowitische Barbarei“ am meisten fürchtete: in Deutschland. Die Identification des göttlichen mit dem menschlichen Denkprozess, die Ableitung des Geistes aus der Materie, zwei Grundanschauungen der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts, bedeuteten die Zerstörung der Idee und die Verherrlichung des Naturzustandes. Der Katholizismus hatte den Primat des Geistes allzu despotisch geschützt. Die Refor- mation aber und ihre Tochter, die französische Revolution, hoben mit den Privilegien der Intelligenz, mit der Versklavung der Natur bedauerlicherweise zugleich auch den ewigen Widerspruch zwischen diesen beiden feindlichen Reichen auf: gerade die Ger- manen fanden ihr Genie in der Entfesselung und Bejahung der natürlichen Leidenschaften, (Schiller, Kleist, Wagner, Nietzsche), während die Romanen und Sklaven, kurz die katholischen Völker, im allgemeinen ihre geistige Arbeit der Sublimierung und Ele- vation, der Befreiung von den Geistes-, von den Körper- und Naturfesseln widmeten. Die unter dem Einfluss Napoleons ent- standene anthropomorphe Schule der Herren Feuerbach, Stirner, Marx und Nietzsche, die so überzeugt ihre vereinten Katapulte gegen den „göttlichen Irrwahn“ richtete, hatte keinerlei Ver- anlassung, Barbarei von draussen zu befürchten. Sie mag es sich von den Dostojewsky, Strachow, Danilewsky, Solojew gesagt sein lassen, dass ihr menschlicher Grössenwahn tausendmal schlimmer und der Aufklärung dringender bedürftig ist, als die „reaktionäre“ Dogmatik einer wenigstens prinzipiell auf dem richtigen Wege haltenden Orthodoxie. ¹⁰⁾ Dmitri Mereschkowsky, „Der Zar und die Revolution“, Piper & Co, München, 1908, Religion und Revolution. ¹¹⁾ Ebendort. ¹²⁾ Hermann Cohen, „Deutschtum und Judentum“, Alfred Töpelmann, Giessen, 1915. Wörtlich: „indessen erfordert nicht nur die aktuelle Not, sondern das Verhältnis unserer Zukunft zu Russlands Imperialismus vor allem die Nennung des viel- leicht gewaltigsten russischen Poeten Dostojewsky, der die ganze Gefahr des byzantinischen Christentums und des Fanatis- mus jener orientalischen Mystik in sich enthält, mit seiner Kraft sie entfaltend und verhüllend. Erst wenn wir alle diese falschen Literaturgrössen der Ausländerei (sic!) in ihrer Differenz von uns erkannt und überwunden haben werden, erst dann wird unser Sieg allmählich ein vollständiger werden“. (S. 43). ¹³⁾ Julius Bab, „Fortinbras oder der Kampf des 19. Jahr- hunderts mit dem Geiste der Romantik“, Georg Bondi, Berlin, 1914. 18

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/281>, abgerufen am 22.11.2024.