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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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zu Richard Wagner während des Dresdner Maiaufstandes 1849.
(R. Wagner, "Mein Leben", Volksausgabe.)
47) Noch heute hat man in Deutschland nicht verstanden,
sich von der Herrschaft des metaphysischen, abstrakten Gedankens
völlig zu befreien. Die intellektualistischen Werke unserer jüngsten
Philosophen beweisen es. In Zeiten, die mehr wie je die Identifi-
kation des Autors mit dem geschriebenen Wort verlangen, ist
das besonders schlimm. In Deutschland kam zur umschweifigen
Bonhommie und Inkonsequenz des Denkens die talmudistische
Freude am Räsonnement.
48) Nach Alexander Herzen. Dieser berichtet in seinen
"Erinnerungen" von "endlosen Gesprächen über Phänomenologie",
die Bakunin 1847 in Paris mit Proudhon über Hegel führte.
"Bakunin wohnte damals bei Adolph Reichel, in einer äusserst
bescheidenen Wohnung jenseits der Seine, in der Rue de Bour-
gogne. Proudhon pflegte öfters hinzugehen, um Reichels Beet-
hoven und Bakunins Hegel zu hören, doch dauerten die phi-
losophischen Debatten länger als die Symphonien. Sie erinnerten
an den berühmten "Abendgottesdienst", den Bakunin mit Chom-
jakow bei Tschaadajew und der Jelagina im Gespräche über
denselben Hegel nächtelang abzuhalten pflegte."
49) In einem Manuskript gegen den religiösen Dogmatismus
Mazzinis (1871) schrieb er: "Hier, was uns in jungen Jahren so
sehr revoltierte und was der Grund war, weshalb wir alle mehr
oder weniger Idealisten waren. Wir fühlten uns, dank unserer
jugendlichen Phantasie und dem jugendlich hitzigen Blute, das
in unsern Adern glühte, so unendlich, dass selbst die Unendlich-
keit der sichtbaren Welt uns zu eng erschien. Wir sahen mit
Verachtung auf sie herab und flogen sehr hoch. Wohin? In die
Leere der Abstraktion, ins Nichts. Ja, unsere Unendlichkeit war
das Nichts, das "absolute Nichts", das wir eifrigst mit phantas-
magorischen Gebilden, mit den Träumen unserer Delirien-Ein-
bildung zu erfüllen suchten. Als wir aber diese Gebilde näher
betrachteten, sahen wir, dass unsere Phantasien und Träume, an-
scheinend so unendlich und reich, nichts als bleiche Reproduk-
tionen und monströse Uebertreibungen derselben wirklichen Welt
waren, die wir mit soviel Verachtung behandelten. Und begriffen
schliesslich, dass wir, wenn wir uns so hoch, bis ins Leere, er-
hoben, nicht reicher, sondern im Gegenteil an Herz und Geist
ärmer wurden; nicht mächtiger, sondern im Gegenteil ohnmächtig.
Sahen schliesslich ein, dass wir mit unserm kindlichen Vergnügen,
träumend die unermessliche Leere, Gott, das von unserer eigenen
zu Richard Wagner während des Dresdner Maiaufstandes 1849.
(R. Wagner, „Mein Leben“, Volksausgabe.)
47) Noch heute hat man in Deutschland nicht verstanden,
sich von der Herrschaft des metaphysischen, abstrakten Gedankens
völlig zu befreien. Die intellektualistischen Werke unserer jüngsten
Philosophen beweisen es. In Zeiten, die mehr wie je die Identifi-
kation des Autors mit dem geschriebenen Wort verlangen, ist
das besonders schlimm. In Deutschland kam zur umschweifigen
Bonhommie und Inkonsequenz des Denkens die talmudistische
Freude am Räsonnement.
48) Nach Alexander Herzen. Dieser berichtet in seinen
„Erinnerungen“ von „endlosen Gesprächen über Phänomenologie“,
die Bakunin 1847 in Paris mit Proudhon über Hegel führte.
„Bakunin wohnte damals bei Adolph Reichel, in einer äusserst
bescheidenen Wohnung jenseits der Seine, in der Rue de Bour-
gogne. Proudhon pflegte öfters hinzugehen, um Reichels Beet-
hoven und Bakunins Hegel zu hören, doch dauerten die phi-
losophischen Debatten länger als die Symphonien. Sie erinnerten
an den berühmten «Abendgottesdienst», den Bakunin mit Chom-
jakow bei Tschaadajew und der Jelagina im Gespräche über
denselben Hegel nächtelang abzuhalten pflegte.“
49) In einem Manuskript gegen den religiösen Dogmatismus
Mazzinis (1871) schrieb er: „Hier, was uns in jungen Jahren so
sehr revoltierte und was der Grund war, weshalb wir alle mehr
oder weniger Idealisten waren. Wir fühlten uns, dank unserer
jugendlichen Phantasie und dem jugendlich hitzigen Blute, das
in unsern Adern glühte, so unendlich, dass selbst die Unendlich-
keit der sichtbaren Welt uns zu eng erschien. Wir sahen mit
Verachtung auf sie herab und flogen sehr hoch. Wohin? In die
Leere der Abstraktion, ins Nichts. Ja, unsere Unendlichkeit war
das Nichts, das „absolute Nichts“, das wir eifrigst mit phantas-
magorischen Gebilden, mit den Träumen unserer Delirien-Ein-
bildung zu erfüllen suchten. Als wir aber diese Gebilde näher
betrachteten, sahen wir, dass unsere Phantasien und Träume, an-
scheinend so unendlich und reich, nichts als bleiche Reproduk-
tionen und monströse Uebertreibungen derselben wirklichen Welt
waren, die wir mit soviel Verachtung behandelten. Und begriffen
schliesslich, dass wir, wenn wir uns so hoch, bis ins Leere, er-
hoben, nicht reicher, sondern im Gegenteil an Herz und Geist
ärmer wurden; nicht mächtiger, sondern im Gegenteil ohnmächtig.
Sahen schliesslich ein, dass wir mit unserm kindlichen Vergnügen,
träumend die unermessliche Leere, Gott, das von unserer eigenen
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[281/0289] ⁴⁶⁾ zu Richard Wagner während des Dresdner Maiaufstandes 1849. (R. Wagner, „Mein Leben“, Volksausgabe.) ⁴⁷⁾ Noch heute hat man in Deutschland nicht verstanden, sich von der Herrschaft des metaphysischen, abstrakten Gedankens völlig zu befreien. Die intellektualistischen Werke unserer jüngsten Philosophen beweisen es. In Zeiten, die mehr wie je die Identifi- kation des Autors mit dem geschriebenen Wort verlangen, ist das besonders schlimm. In Deutschland kam zur umschweifigen Bonhommie und Inkonsequenz des Denkens die talmudistische Freude am Räsonnement. ⁴⁸⁾ Nach Alexander Herzen. Dieser berichtet in seinen „Erinnerungen“ von „endlosen Gesprächen über Phänomenologie“, die Bakunin 1847 in Paris mit Proudhon über Hegel führte. „Bakunin wohnte damals bei Adolph Reichel, in einer äusserst bescheidenen Wohnung jenseits der Seine, in der Rue de Bour- gogne. Proudhon pflegte öfters hinzugehen, um Reichels Beet- hoven und Bakunins Hegel zu hören, doch dauerten die phi- losophischen Debatten länger als die Symphonien. Sie erinnerten an den berühmten «Abendgottesdienst», den Bakunin mit Chom- jakow bei Tschaadajew und der Jelagina im Gespräche über denselben Hegel nächtelang abzuhalten pflegte.“ ⁴⁹⁾ In einem Manuskript gegen den religiösen Dogmatismus Mazzinis (1871) schrieb er: „Hier, was uns in jungen Jahren so sehr revoltierte und was der Grund war, weshalb wir alle mehr oder weniger Idealisten waren. Wir fühlten uns, dank unserer jugendlichen Phantasie und dem jugendlich hitzigen Blute, das in unsern Adern glühte, so unendlich, dass selbst die Unendlich- keit der sichtbaren Welt uns zu eng erschien. Wir sahen mit Verachtung auf sie herab und flogen sehr hoch. Wohin? In die Leere der Abstraktion, ins Nichts. Ja, unsere Unendlichkeit war das Nichts, das „absolute Nichts“, das wir eifrigst mit phantas- magorischen Gebilden, mit den Träumen unserer Delirien-Ein- bildung zu erfüllen suchten. Als wir aber diese Gebilde näher betrachteten, sahen wir, dass unsere Phantasien und Träume, an- scheinend so unendlich und reich, nichts als bleiche Reproduk- tionen und monströse Uebertreibungen derselben wirklichen Welt waren, die wir mit soviel Verachtung behandelten. Und begriffen schliesslich, dass wir, wenn wir uns so hoch, bis ins Leere, er- hoben, nicht reicher, sondern im Gegenteil an Herz und Geist ärmer wurden; nicht mächtiger, sondern im Gegenteil ohnmächtig. Sahen schliesslich ein, dass wir mit unserm kindlichen Vergnügen, träumend die unermessliche Leere, Gott, das von unserer eigenen

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/289>, abgerufen am 22.11.2024.