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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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76) Erbitterte Anti-Slavisten waren neben Marx und Engels
auch Lassalle, Bebel und Wilhelm Liebknecht. Noch 1914 fiel
fast die gesamte deutsche Sozialdemokratie auf das Märchen vom
russischen Angriffskrieg herein. Es war tüchtig vorgearbeitet:
ein halbes Jahrhundert lang.
77) Vergl. die ausgezeichnete Darstellung "Der Irrtum von
Zimmerwald-Kienthal" von S. Grumbach, Benteli A.-G. Bümpliz-
Bern, 1916, die bestätigt, dass der doktrinäre Verzicht auf die
Landesverteidigung und die marxistische Wirtschaftsideologie es
waren, die Russland der obersten deutschen Heeresleitung aus-
lieferten. Präsident der Zimmerwald--Kienthal-Gründung war der
germanophile Schweizer Sozialdemokrat Robert Grimm, Haupt-
wortführer Genosse Radek und der Grossinquisitor der "ver-
bürgerlichten" Internationale, Ulianow Lenin, dessen Ueber-
schätzung der revolutionären Neigungen des deutschen Prole-
tariats sich noch bei weitem utopischer zeigte, als sein Versuch,
den Marxismus zu "verwirklichen". Lenin sowohl wie seine
russischen Genossen Trotzky und Zinovjew nennen sich "revolu-
tionäre
Marxisten". Die groben Irrtümer Lenins hinsichtlich der
deutschen Mentalität sind samt und sonders in seinem Marxismus
beschlossen. Gleich Marx hielt er den preussisch-französischen
Krieg von 1870 bis zum Sturze Napoleons für einen "Freiheits-
krieg": "Im deutsch-französischen Kriege beraubte Deutschland
Frankreich, aber dies ändert den grundlegenden historischen
Charakter dieses Krieges nicht, der viele Millionen Deutsche von
der feudalen Zersplitterung und Unterdrückung durch zwei Des-
poten, den russischen Zaren und Napoleon III. befreite". (Lenin
und Trotzky, "Krieg und Revolution", herausg. von Eugen Levin-
Dorsch, Grütli-Verlag, Zürich, 1918, S. 102). Mit Marx versuchte
er, noch am 8. April 1917 die internationale Arbeiterschaft glauben
machen, das deutsche Proletariat sei "der treueste und zuver-
lässigste Bundesgenosse der russischen und der internationalen
Revolution" (Ebendort, "Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter"
S. 159). Und gleichwohl hat er den Marxismus, von dessen
"lebendiger revolutionärer Seele" er noch heute überzeugt zu
sein scheint, schlechter verstanden als der preussische General-
stab, sonst hätte er nicht schreiben können: "In Wirklichkeit
wird diese (deutsche) Bourgeoisie zusammen mit den Junkern alle
ihre Kräfte, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Krieges an-
strengen, um die zarische Monarchie gegen die Revolution in
Russland zu schützen" (S. 137). Oh nein! Dieser Generalstab (von
der anti-slavistischen Bourgeoisie, auch der sozialdemokratischen,
76) Erbitterte Anti-Slavisten waren neben Marx und Engels
auch Lassalle, Bebel und Wilhelm Liebknecht. Noch 1914 fiel
fast die gesamte deutsche Sozialdemokratie auf das Märchen vom
russischen Angriffskrieg herein. Es war tüchtig vorgearbeitet:
ein halbes Jahrhundert lang.
77) Vergl. die ausgezeichnete Darstellung „Der Irrtum von
Zimmerwald-Kienthal“ von S. Grumbach, Benteli A.-G. Bümpliz-
Bern, 1916, die bestätigt, dass der doktrinäre Verzicht auf die
Landesverteidigung und die marxistische Wirtschaftsideologie es
waren, die Russland der obersten deutschen Heeresleitung aus-
lieferten. Präsident der Zimmerwald—Kienthal-Gründung war der
germanophile Schweizer Sozialdemokrat Robert Grimm, Haupt-
wortführer Genosse Radek und der Grossinquisitor der „ver-
bürgerlichten“ Internationale, Ulianow Lenin, dessen Ueber-
schätzung der revolutionären Neigungen des deutschen Prole-
tariats sich noch bei weitem utopischer zeigte, als sein Versuch,
den Marxismus zu „verwirklichen“. Lenin sowohl wie seine
russischen Genossen Trotzky und Zinovjew nennen sich „revolu-
tionäre
Marxisten“. Die groben Irrtümer Lenins hinsichtlich der
deutschen Mentalität sind samt und sonders in seinem Marxismus
beschlossen. Gleich Marx hielt er den preussisch-französischen
Krieg von 1870 bis zum Sturze Napoleons für einen „Freiheits-
krieg“: „Im deutsch-französischen Kriege beraubte Deutschland
Frankreich, aber dies ändert den grundlegenden historischen
Charakter dieses Krieges nicht, der viele Millionen Deutsche von
der feudalen Zersplitterung und Unterdrückung durch zwei Des-
poten, den russischen Zaren und Napoleon III. befreite“. (Lenin
und Trotzky, „Krieg und Revolution“, herausg. von Eugen Levin-
Dorsch, Grütli-Verlag, Zürich, 1918, S. 102). Mit Marx versuchte
er, noch am 8. April 1917 die internationale Arbeiterschaft glauben
machen, das deutsche Proletariat sei „der treueste und zuver-
lässigste Bundesgenosse der russischen und der internationalen
Revolution“ (Ebendort, „Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter“
S. 159). Und gleichwohl hat er den Marxismus, von dessen
„lebendiger revolutionärer Seele“ er noch heute überzeugt zu
sein scheint, schlechter verstanden als der preussische General-
stab, sonst hätte er nicht schreiben können: „In Wirklichkeit
wird diese (deutsche) Bourgeoisie zusammen mit den Junkern alle
ihre Kräfte, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Krieges an-
strengen, um die zarische Monarchie gegen die Revolution in
Russland zu schützen“ (S. 137). Oh nein! Dieser Generalstab (von
der anti-slavistischen Bourgeoisie, auch der sozialdemokratischen,
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[311/0319] ⁷⁶⁾ Erbitterte Anti-Slavisten waren neben Marx und Engels auch Lassalle, Bebel und Wilhelm Liebknecht. Noch 1914 fiel fast die gesamte deutsche Sozialdemokratie auf das Märchen vom russischen Angriffskrieg herein. Es war tüchtig vorgearbeitet: ein halbes Jahrhundert lang. ⁷⁷⁾ Vergl. die ausgezeichnete Darstellung „Der Irrtum von Zimmerwald-Kienthal“ von S. Grumbach, Benteli A.-G. Bümpliz- Bern, 1916, die bestätigt, dass der doktrinäre Verzicht auf die Landesverteidigung und die marxistische Wirtschaftsideologie es waren, die Russland der obersten deutschen Heeresleitung aus- lieferten. Präsident der Zimmerwald—Kienthal-Gründung war der germanophile Schweizer Sozialdemokrat Robert Grimm, Haupt- wortführer Genosse Radek und der Grossinquisitor der „ver- bürgerlichten“ Internationale, Ulianow Lenin, dessen Ueber- schätzung der revolutionären Neigungen des deutschen Prole- tariats sich noch bei weitem utopischer zeigte, als sein Versuch, den Marxismus zu „verwirklichen“. Lenin sowohl wie seine russischen Genossen Trotzky und Zinovjew nennen sich „revolu- tionäre Marxisten“. Die groben Irrtümer Lenins hinsichtlich der deutschen Mentalität sind samt und sonders in seinem Marxismus beschlossen. Gleich Marx hielt er den preussisch-französischen Krieg von 1870 bis zum Sturze Napoleons für einen „Freiheits- krieg“: „Im deutsch-französischen Kriege beraubte Deutschland Frankreich, aber dies ändert den grundlegenden historischen Charakter dieses Krieges nicht, der viele Millionen Deutsche von der feudalen Zersplitterung und Unterdrückung durch zwei Des- poten, den russischen Zaren und Napoleon III. befreite“. (Lenin und Trotzky, „Krieg und Revolution“, herausg. von Eugen Levin- Dorsch, Grütli-Verlag, Zürich, 1918, S. 102). Mit Marx versuchte er, noch am 8. April 1917 die internationale Arbeiterschaft glauben machen, das deutsche Proletariat sei „der treueste und zuver- lässigste Bundesgenosse der russischen und der internationalen Revolution“ (Ebendort, „Abschiedsbrief an die Schweizer Arbeiter“ S. 159). Und gleichwohl hat er den Marxismus, von dessen „lebendiger revolutionärer Seele“ er noch heute überzeugt zu sein scheint, schlechter verstanden als der preussische General- stab, sonst hätte er nicht schreiben können: „In Wirklichkeit wird diese (deutsche) Bourgeoisie zusammen mit den Junkern alle ihre Kräfte, ohne Rücksicht auf den Ausgang des Krieges an- strengen, um die zarische Monarchie gegen die Revolution in Russland zu schützen“ (S. 137). Oh nein! Dieser Generalstab (von der anti-slavistischen Bourgeoisie, auch der sozialdemokratischen,

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/319>, abgerufen am 21.11.2024.