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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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heisst du sie durchlauchtige Fürsten? Ist doch ihr Titel
nicht ihr, gebührt er doch Christus. Warum heisst du sie
Hochgeborene? Ich meinte, du wärest ein Christ; so bist
du ein Erzheide" 56). "Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers,
der Dieberei und Rauberei sind unsere Fürsten und Herren.
Nehmen alle Kreaturen zu Eigentum: die Fische im Wasser,
die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, muss alles
ihr sein. Danach lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen
unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst
nicht stehlen. Es dient aber ihnen nicht. So sie nun alle
Menschen verursachen, den armen Ackersmann und Hand-
werksmann und alles, was da lebt, zu schinden und schaben.
So er sich dann vergreift an dem Allergeringsten, so muss
er henken" 57).

1524 brach in Süddeutschland der Bauernkrieg aus.
Münzer forderte zur Selbsthilfe auf. "Die Gewalt der Fürsten
hat ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volke
gegeben werden!" Wie anders klingen diese Worte, als
Luthers Lehre von der Christlichkeit der Knechtschaft!

Münzer: "Es wird kein Bedenken oder Spiegelfechten
helfen. Die Wahrheit muss hervor. Die Leute sind hungrig,
sie müssen und wollen essen" 58).

Luther: "Man soll sie zerschmeissen, würgen und
stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man
einen tollen Hund totschlagen muss" 59).

Münzer: "Ach Gott, die Bauern sind arme Leute. Sie
haben ihr Leben mit der Nahrung zugebracht, auf dass sie
den Tyrannen den Hals gefüllt" 60).

Und Luther, derselbe Luther, von dem seine Scheherazade
Ricarda Huch sagt, dass er Poesie sprach, wenn er den
Mund auftat 61): "Cibus, onus et virga asino. Der gemeine
Mann muss mit Bürden beladen sein, sonst wird er zu
mutwillig" 62).

Auf eine wiederholte Denunziation hin floh Münzer
nach Nürnberg. Der Nürnberger Magistrat konfiszierte sein

heisst du sie durchlauchtige Fürsten? Ist doch ihr Titel
nicht ihr, gebührt er doch Christus. Warum heisst du sie
Hochgeborene? Ich meinte, du wärest ein Christ; so bist
du ein Erzheide“ 56). „Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers,
der Dieberei und Rauberei sind unsere Fürsten und Herren.
Nehmen alle Kreaturen zu Eigentum: die Fische im Wasser,
die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, muss alles
ihr sein. Danach lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen
unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst
nicht stehlen. Es dient aber ihnen nicht. So sie nun alle
Menschen verursachen, den armen Ackersmann und Hand-
werksmann und alles, was da lebt, zu schinden und schaben.
So er sich dann vergreift an dem Allergeringsten, so muss
er henken“ 57).

1524 brach in Süddeutschland der Bauernkrieg aus.
Münzer forderte zur Selbsthilfe auf. „Die Gewalt der Fürsten
hat ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volke
gegeben werden!“ Wie anders klingen diese Worte, als
Luthers Lehre von der Christlichkeit der Knechtschaft!

Münzer: „Es wird kein Bedenken oder Spiegelfechten
helfen. Die Wahrheit muss hervor. Die Leute sind hungrig,
sie müssen und wollen essen“ 58).

Luther: „Man soll sie zerschmeissen, würgen und
stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man
einen tollen Hund totschlagen muss“ 59).

Münzer: „Ach Gott, die Bauern sind arme Leute. Sie
haben ihr Leben mit der Nahrung zugebracht, auf dass sie
den Tyrannen den Hals gefüllt“ 60).

Und Luther, derselbe Luther, von dem seine Scheherazade
Ricarda Huch sagt, dass er Poesie sprach, wenn er den
Mund auftat 61): „Cibus, onus et virga asino. Der gemeine
Mann muss mit Bürden beladen sein, sonst wird er zu
mutwillig“ 62).

Auf eine wiederholte Denunziation hin floh Münzer
nach Nürnberg. Der Nürnberger Magistrat konfiszierte sein

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[46/0054] heisst du sie durchlauchtige Fürsten? Ist doch ihr Titel nicht ihr, gebührt er doch Christus. Warum heisst du sie Hochgeborene? Ich meinte, du wärest ein Christ; so bist du ein Erzheide“ ⁵⁶⁾ . „Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Rauberei sind unsere Fürsten und Herren. Nehmen alle Kreaturen zu Eigentum: die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, muss alles ihr sein. Danach lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen. Es dient aber ihnen nicht. So sie nun alle Menschen verursachen, den armen Ackersmann und Hand- werksmann und alles, was da lebt, zu schinden und schaben. So er sich dann vergreift an dem Allergeringsten, so muss er henken“ ⁵⁷⁾ . 1524 brach in Süddeutschland der Bauernkrieg aus. Münzer forderte zur Selbsthilfe auf. „Die Gewalt der Fürsten hat ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volke gegeben werden!“ Wie anders klingen diese Worte, als Luthers Lehre von der Christlichkeit der Knechtschaft! Münzer: „Es wird kein Bedenken oder Spiegelfechten helfen. Die Wahrheit muss hervor. Die Leute sind hungrig, sie müssen und wollen essen“ ⁵⁸⁾ . Luther: „Man soll sie zerschmeissen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muss“ ⁵⁹⁾ . Münzer: „Ach Gott, die Bauern sind arme Leute. Sie haben ihr Leben mit der Nahrung zugebracht, auf dass sie den Tyrannen den Hals gefüllt“ ⁶⁰⁾ . Und Luther, derselbe Luther, von dem seine Scheherazade Ricarda Huch sagt, dass er Poesie sprach, wenn er den Mund auftat ⁶¹⁾ : „Cibus, onus et virga asino. Der gemeine Mann muss mit Bürden beladen sein, sonst wird er zu mutwillig“ ⁶²⁾ . Auf eine wiederholte Denunziation hin floh Münzer nach Nürnberg. Der Nürnberger Magistrat konfiszierte sein

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/54>, abgerufen am 17.05.2024.