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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Fechner und Wundt, Mommsen und Lamprecht, Harnack
und Nietzsche: Pastorensöhne. Achtzehntausend evangelische
Pfarrhäuser gibt es noch heute in Deutschland. Sie haben
ein halbes oder ganzes Armeekorps gestellt, ohne dass man
sich geschämt hat, es anzurechnen 33).

Gewiss gab es wackere und tüchtige Männer unter den
protestantischen und evangelischen Pastores! Wären sie
nur evangelisch geblieben! Gewiss förderte das deutsche
Pfarrhaus den Aufschwung der Wissenschaften und Künste.
Grundlage dieses Pfarrhauses aber war das Sechskindersystem
und die Bequemlichkeit auf halber Treppe; der selige Zu-
stand mit Spartel und Rente; die mit Kohl und Karnickel
begnadete Diesseitigkeit, an der der Ideensturm scheiterte.
Luthers Auslegung der vierten Bitte: -- zum täglichen
Brot rechnete er nicht nur Essen und Trinken, sondern
auch Haus und Hof, Aecker, Vieh, Geld und Gut, fromm
Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und
getreue Oberherren, gut Regiment u. s. w. 34) -- ist die
Apologie der deutschen Gesässigkeit und diese Bassesse
einer Bitte an Gott, dieses plumpe und materielle Ansinnen
wurde Mass der Nation und Basis der Geister.

"Eine landwirtschaftliche Existenz kapitalisiert ihren
Jahresumsatz zu einer religiös-politischen Anschauung",
spottet Rathenau, und gewiss mit Recht. Doch wenn er
damit sagen will, dass Interessen den Glauben schaffen,
so ist dies gleichwohl nicht schlimmer, als wenn der Glaube
Interessen schafft. Denn nur Marx, der ebenfalls Theologen-
geschlechtern entstammte und Hegelianer obendrein war,
konnte das Wort prägen von der "Idee, die sich immer
blamierte, soweit sie von den Interessen unterschieden war".
Die Idee blamiert sich aber nicht, sondern die irreligiöse
Philosophie und die Hegelei blamieren sich, was ein anderes
Wort des schon zitierten Herrn Rathenau bestätigt: "Pflicht-
getreu und bekümmert machte immer erneut die deutsche
Philosophie sich ans Werk, die zerrinnenden Fäden zu

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Fechner und Wundt, Mommsen und Lamprecht, Harnack
und Nietzsche: Pastorensöhne. Achtzehntausend evangelische
Pfarrhäuser gibt es noch heute in Deutschland. Sie haben
ein halbes oder ganzes Armeekorps gestellt, ohne dass man
sich geschämt hat, es anzurechnen 33).

Gewiss gab es wackere und tüchtige Männer unter den
protestantischen und evangelischen Pastores! Wären sie
nur evangelisch geblieben! Gewiss förderte das deutsche
Pfarrhaus den Aufschwung der Wissenschaften und Künste.
Grundlage dieses Pfarrhauses aber war das Sechskindersystem
und die Bequemlichkeit auf halber Treppe; der selige Zu-
stand mit Spartel und Rente; die mit Kohl und Karnickel
begnadete Diesseitigkeit, an der der Ideensturm scheiterte.
Luthers Auslegung der vierten Bitte: — zum täglichen
Brot rechnete er nicht nur Essen und Trinken, sondern
auch Haus und Hof, Aecker, Vieh, Geld und Gut, fromm
Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und
getreue Oberherren, gut Regiment u. s. w. 34) — ist die
Apologie der deutschen Gesässigkeit und diese Bassesse
einer Bitte an Gott, dieses plumpe und materielle Ansinnen
wurde Mass der Nation und Basis der Geister.

„Eine landwirtschaftliche Existenz kapitalisiert ihren
Jahresumsatz zu einer religiös-politischen Anschauung“,
spottet Rathenau, und gewiss mit Recht. Doch wenn er
damit sagen will, dass Interessen den Glauben schaffen,
so ist dies gleichwohl nicht schlimmer, als wenn der Glaube
Interessen schafft. Denn nur Marx, der ebenfalls Theologen-
geschlechtern entstammte und Hegelianer obendrein war,
konnte das Wort prägen von der „Idee, die sich immer
blamierte, soweit sie von den Interessen unterschieden war“.
Die Idee blamiert sich aber nicht, sondern die irreligiöse
Philosophie und die Hegelei blamieren sich, was ein anderes
Wort des schon zitierten Herrn Rathenau bestätigt: „Pflicht-
getreu und bekümmert machte immer erneut die deutsche
Philosophie sich ans Werk, die zerrinnenden Fäden zu

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[65/0073] Fechner und Wundt, Mommsen und Lamprecht, Harnack und Nietzsche: Pastorensöhne. Achtzehntausend evangelische Pfarrhäuser gibt es noch heute in Deutschland. Sie haben ein halbes oder ganzes Armeekorps gestellt, ohne dass man sich geschämt hat, es anzurechnen ³³⁾ . Gewiss gab es wackere und tüchtige Männer unter den protestantischen und evangelischen Pastores! Wären sie nur evangelisch geblieben! Gewiss förderte das deutsche Pfarrhaus den Aufschwung der Wissenschaften und Künste. Grundlage dieses Pfarrhauses aber war das Sechskindersystem und die Bequemlichkeit auf halber Treppe; der selige Zu- stand mit Spartel und Rente; die mit Kohl und Karnickel begnadete Diesseitigkeit, an der der Ideensturm scheiterte. Luthers Auslegung der vierten Bitte: — zum täglichen Brot rechnete er nicht nur Essen und Trinken, sondern auch Haus und Hof, Aecker, Vieh, Geld und Gut, fromm Gemahl, fromme Kinder, fromm Gesinde, fromme und getreue Oberherren, gut Regiment u. s. w. ³⁴⁾ — ist die Apologie der deutschen Gesässigkeit und diese Bassesse einer Bitte an Gott, dieses plumpe und materielle Ansinnen wurde Mass der Nation und Basis der Geister. „Eine landwirtschaftliche Existenz kapitalisiert ihren Jahresumsatz zu einer religiös-politischen Anschauung“, spottet Rathenau, und gewiss mit Recht. Doch wenn er damit sagen will, dass Interessen den Glauben schaffen, so ist dies gleichwohl nicht schlimmer, als wenn der Glaube Interessen schafft. Denn nur Marx, der ebenfalls Theologen- geschlechtern entstammte und Hegelianer obendrein war, konnte das Wort prägen von der „Idee, die sich immer blamierte, soweit sie von den Interessen unterschieden war“. Die Idee blamiert sich aber nicht, sondern die irreligiöse Philosophie und die Hegelei blamieren sich, was ein anderes Wort des schon zitierten Herrn Rathenau bestätigt: „Pflicht- getreu und bekümmert machte immer erneut die deutsche Philosophie sich ans Werk, die zerrinnenden Fäden zu 5

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/73>, abgerufen am 29.11.2024.