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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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Aha, sagte das Volk, das Kabinett, das königliche Kabi-
nett; und wir dachten, die Zentrumspartei! Aha, sagte das
Volk, die Dunkelmänner, die die Befehle ausgeben, die Mi-
nister und Junker! Heraus damit, ans Licht mit ihnen! Man
setze dem König die rote Mütze auf, man schleppe ihn vor
den Konvent! Er soll Rechenschaft geben. Seine Ratgeber
-- wer sind sie? Nicht dem Zivilkabinett, nur uns selber
gehorchen wir. Neue Verfassung, neue Justiz! Wir wollen
Vergeltung, man hat uns betrogen! Kein Volk, auch das
gutmütigste nicht, lässt sich zum Narren halten!

Sie sind betrunken von Wut, wie wir Deutsche es wären,
wenn wir dahinterkämen, dass wir betrogen und Narren
sind. Sich selbst erlösen will die stolze französische Seele,
denn die Zeiten sind heillos, kein Heiland hilft. "Sagen wir
Europa", ruft Isnard von der Rednertribüne, "dass alle Kämpfe,
die die Völker auf Befehl von Despoten ausfechten, den
Streichen gleichkommen, die sich zwei Freunde, durch einen
treulosen Anstifter aufgereizt, in der Dunkelheit versetzen.
Wenn die Tageshelle anbricht, werfen sie die Waffen weg,
umarmen sich und züchtigen den, der sie betrog; ebenso
werden die Völker sich im Angesicht der entthronten Tyrannen,
der getrösteten Erde und des erfreuten Himmels umarmen,
wenn im Augenblick, wo die feindlichen Heere mit den unsern
kämpfen, das Licht der Philosophie ihre Augen trifft" 65).

Ja, die französische Revolution war praktische Philo-
sophie. Zwei mächtige Schriftsteller hatten sie vorbereitet:
Voltaire und Rousseau. Voltaire, das höchste Beispiel des
ecrivain: Die Einleitung durch den Eclat war das Geheim-
nis seines Erfolges. Das Publikum und die Parteien nahmen
Stellung in wilden Debatten, eh' noch das Werk da war.
Der Entwurf schon war Auseinandersetzung mit allen Ein-
wänden, Drohungen, Hoffnungen; Angst und Entzücken des
Publikums. Nur in Frankreich ist so etwas möglich. Intrigen,
Wetten, Duelle gingen der Publikation voraus. Das Erscheinen
des Buches: nur noch Bestätigung, Urteil und Richtspruch.

Aha, sagte das Volk, das Kabinett, das königliche Kabi-
nett; und wir dachten, die Zentrumspartei! Aha, sagte das
Volk, die Dunkelmänner, die die Befehle ausgeben, die Mi-
nister und Junker! Heraus damit, ans Licht mit ihnen! Man
setze dem König die rote Mütze auf, man schleppe ihn vor
den Konvent! Er soll Rechenschaft geben. Seine Ratgeber
— wer sind sie? Nicht dem Zivilkabinett, nur uns selber
gehorchen wir. Neue Verfassung, neue Justiz! Wir wollen
Vergeltung, man hat uns betrogen! Kein Volk, auch das
gutmütigste nicht, lässt sich zum Narren halten!

Sie sind betrunken von Wut, wie wir Deutsche es wären,
wenn wir dahinterkämen, dass wir betrogen und Narren
sind. Sich selbst erlösen will die stolze französische Seele,
denn die Zeiten sind heillos, kein Heiland hilft. „Sagen wir
Europa“, ruft Isnard von der Rednertribüne, „dass alle Kämpfe,
die die Völker auf Befehl von Despoten ausfechten, den
Streichen gleichkommen, die sich zwei Freunde, durch einen
treulosen Anstifter aufgereizt, in der Dunkelheit versetzen.
Wenn die Tageshelle anbricht, werfen sie die Waffen weg,
umarmen sich und züchtigen den, der sie betrog; ebenso
werden die Völker sich im Angesicht der entthronten Tyrannen,
der getrösteten Erde und des erfreuten Himmels umarmen,
wenn im Augenblick, wo die feindlichen Heere mit den unsern
kämpfen, das Licht der Philosophie ihre Augen trifft“ 65).

Ja, die französische Revolution war praktische Philo-
sophie. Zwei mächtige Schriftsteller hatten sie vorbereitet:
Voltaire und Rousseau. Voltaire, das höchste Beispiel des
écrivain: Die Einleitung durch den Eclat war das Geheim-
nis seines Erfolges. Das Publikum und die Parteien nahmen
Stellung in wilden Debatten, eh' noch das Werk da war.
Der Entwurf schon war Auseinandersetzung mit allen Ein-
wänden, Drohungen, Hoffnungen; Angst und Entzücken des
Publikums. Nur in Frankreich ist so etwas möglich. Intrigen,
Wetten, Duelle gingen der Publikation voraus. Das Erscheinen
des Buches: nur noch Bestätigung, Urteil und Richtspruch.

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[77/0085] Aha, sagte das Volk, das Kabinett, das königliche Kabi- nett; und wir dachten, die Zentrumspartei! Aha, sagte das Volk, die Dunkelmänner, die die Befehle ausgeben, die Mi- nister und Junker! Heraus damit, ans Licht mit ihnen! Man setze dem König die rote Mütze auf, man schleppe ihn vor den Konvent! Er soll Rechenschaft geben. Seine Ratgeber — wer sind sie? Nicht dem Zivilkabinett, nur uns selber gehorchen wir. Neue Verfassung, neue Justiz! Wir wollen Vergeltung, man hat uns betrogen! Kein Volk, auch das gutmütigste nicht, lässt sich zum Narren halten! Sie sind betrunken von Wut, wie wir Deutsche es wären, wenn wir dahinterkämen, dass wir betrogen und Narren sind. Sich selbst erlösen will die stolze französische Seele, denn die Zeiten sind heillos, kein Heiland hilft. „Sagen wir Europa“, ruft Isnard von der Rednertribüne, „dass alle Kämpfe, die die Völker auf Befehl von Despoten ausfechten, den Streichen gleichkommen, die sich zwei Freunde, durch einen treulosen Anstifter aufgereizt, in der Dunkelheit versetzen. Wenn die Tageshelle anbricht, werfen sie die Waffen weg, umarmen sich und züchtigen den, der sie betrog; ebenso werden die Völker sich im Angesicht der entthronten Tyrannen, der getrösteten Erde und des erfreuten Himmels umarmen, wenn im Augenblick, wo die feindlichen Heere mit den unsern kämpfen, das Licht der Philosophie ihre Augen trifft“ ⁶⁵⁾ . Ja, die französische Revolution war praktische Philo- sophie. Zwei mächtige Schriftsteller hatten sie vorbereitet: Voltaire und Rousseau. Voltaire, das höchste Beispiel des écrivain: Die Einleitung durch den Eclat war das Geheim- nis seines Erfolges. Das Publikum und die Parteien nahmen Stellung in wilden Debatten, eh' noch das Werk da war. Der Entwurf schon war Auseinandersetzung mit allen Ein- wänden, Drohungen, Hoffnungen; Angst und Entzücken des Publikums. Nur in Frankreich ist so etwas möglich. Intrigen, Wetten, Duelle gingen der Publikation voraus. Das Erscheinen des Buches: nur noch Bestätigung, Urteil und Richtspruch.

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/85>, abgerufen am 28.11.2024.