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Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

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preussische Armee in ihrem Ursprung ist ein Verbrecher-
institut, dem die Gnade des Fürsten zuteil geworden ist,
und noch die Fuchtel heutiger Offiziere und Unteroffiziere,
Kasematten- und Kasernendrill, der die absolute Inferiorität
des ihnen ausgelieferten "Menschenmaterials" statuiert, zeigt
Parallelen mit dem Gefängniswesen, die Gegenstand theo-
logischer Dissertationen sein könnten.

Die Rache ist Ausgangspunkt einer brandenburgischen
Hausphilosophie, der auch Kants Rigorismus sich nicht zu
entziehen vermochte und der keine strengere Natur ihr
spekulatives Interesse versagt. Die Subordination des Indivi-
duums, wie das preussische System sie verlangt, begann
sogar die römische Kirche zu interessieren und die verwöhn-
testen Geister fallen uns ab, wenn wir der Satansschule uns
nicht gewachsen zeigen. Was ist es anders als Mathematik,
wenn Friedrich Wilhelm I. vor dem dröhnenden Gleichschritt
der "langen Kerle", vor den unerhört genauen Bewegungen
der Körper und Linien Wirbelkrämpfe bekommt? "Enfin,
ein Regiment ist die Braut, darumb man tanzet" 86). Der
Kantonist war zu lebenslänglichem Dienst verpflichtet. Uner-
bittlich regierte der Stock 87). Ist es ein Zufall, dass Kant
schrieb, "wir stehen unter einer Disziplin der Vernunft. Pflicht
und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem
Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen"? 88) War nicht auch er fasziniert? Hat er das Regiment Friedrich
Wilhelms nicht gut beschrieben, als sein gelehriger Schüler?
"Pflicht, du erhabener grosser Name, der du nichts Be-
liebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest,
sondern Unterwerfung verlangst .. "! Und liegen nicht hier,
im devotesten Byzantinismus, auch die Gründe beschlossen,
die Katholiken, Polen und Spanier heute zu Kant und zu
Preussen führen?

Kant suchte die Wurzel einer "edlen Abkunft" dieser
"Pflicht". Er fühlte als Preusse und Mensch sich verpflichtet,
der teuflischen Wirklichkeit eine göttliche Wurzel zu suchen.

preussische Armee in ihrem Ursprung ist ein Verbrecher-
institut, dem die Gnade des Fürsten zuteil geworden ist,
und noch die Fuchtel heutiger Offiziere und Unteroffiziere,
Kasematten- und Kasernendrill, der die absolute Inferiorität
des ihnen ausgelieferten „Menschenmaterials“ statuiert, zeigt
Parallelen mit dem Gefängniswesen, die Gegenstand theo-
logischer Dissertationen sein könnten.

Die Rache ist Ausgangspunkt einer brandenburgischen
Hausphilosophie, der auch Kants Rigorismus sich nicht zu
entziehen vermochte und der keine strengere Natur ihr
spekulatives Interesse versagt. Die Subordination des Indivi-
duums, wie das preussische System sie verlangt, begann
sogar die römische Kirche zu interessieren und die verwöhn-
testen Geister fallen uns ab, wenn wir der Satansschule uns
nicht gewachsen zeigen. Was ist es anders als Mathematik,
wenn Friedrich Wilhelm I. vor dem dröhnenden Gleichschritt
der „langen Kerle“, vor den unerhört genauen Bewegungen
der Körper und Linien Wirbelkrämpfe bekommt? „Enfin,
ein Regiment ist die Braut, darumb man tanzet“ 86). Der
Kantonist war zu lebenslänglichem Dienst verpflichtet. Uner-
bittlich regierte der Stock 87). Ist es ein Zufall, dass Kant
schrieb, „wir stehen unter einer Disziplin der Vernunft. Pflicht
und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem
Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen“? 88) War nicht auch er fasziniert? Hat er das Regiment Friedrich
Wilhelms nicht gut beschrieben, als sein gelehriger Schüler?
„Pflicht, du erhabener grosser Name, der du nichts Be-
liebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest,
sondern Unterwerfung verlangst .. “! Und liegen nicht hier,
im devotesten Byzantinismus, auch die Gründe beschlossen,
die Katholiken, Polen und Spanier heute zu Kant und zu
Preussen führen?

Kant suchte die Wurzel einer „edlen Abkunft“ dieser
„Pflicht“. Er fühlte als Preusse und Mensch sich verpflichtet,
der teuflischen Wirklichkeit eine göttliche Wurzel zu suchen.

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[86/0094] preussische Armee in ihrem Ursprung ist ein Verbrecher- institut, dem die Gnade des Fürsten zuteil geworden ist, und noch die Fuchtel heutiger Offiziere und Unteroffiziere, Kasematten- und Kasernendrill, der die absolute Inferiorität des ihnen ausgelieferten „Menschenmaterials“ statuiert, zeigt Parallelen mit dem Gefängniswesen, die Gegenstand theo- logischer Dissertationen sein könnten. Die Rache ist Ausgangspunkt einer brandenburgischen Hausphilosophie, der auch Kants Rigorismus sich nicht zu entziehen vermochte und der keine strengere Natur ihr spekulatives Interesse versagt. Die Subordination des Indivi- duums, wie das preussische System sie verlangt, begann sogar die römische Kirche zu interessieren und die verwöhn- testen Geister fallen uns ab, wenn wir der Satansschule uns nicht gewachsen zeigen. Was ist es anders als Mathematik, wenn Friedrich Wilhelm I. vor dem dröhnenden Gleichschritt der „langen Kerle“, vor den unerhört genauen Bewegungen der Körper und Linien Wirbelkrämpfe bekommt? „Enfin, ein Regiment ist die Braut, darumb man tanzet“ ⁸⁶⁾ . Der Kantonist war zu lebenslänglichem Dienst verpflichtet. Uner- bittlich regierte der Stock ⁸⁷⁾ . Ist es ein Zufall, dass Kant schrieb, „wir stehen unter einer Disziplin der Vernunft. Pflicht und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen“? ⁸⁸⁾ War nicht auch er fasziniert? Hat er das Regiment Friedrich Wilhelms nicht gut beschrieben, als sein gelehriger Schüler? „Pflicht, du erhabener grosser Name, der du nichts Be- liebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst .. “! Und liegen nicht hier, im devotesten Byzantinismus, auch die Gründe beschlossen, die Katholiken, Polen und Spanier heute zu Kant und zu Preussen führen? Kant suchte die Wurzel einer „edlen Abkunft“ dieser „Pflicht“. Er fühlte als Preusse und Mensch sich verpflichtet, der teuflischen Wirklichkeit eine göttliche Wurzel zu suchen.

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Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/94>, abgerufen am 27.11.2024.