Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768].

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sittenlehre
§. 40.

Neid und Haß sind eigne Quaal und wider
die Menschenliebe. Bedarf es wohl mehrere
Gründe, um uns davon abzuschrecken? aber der
Abscheu an den Lastern der Menschen, und der
Eifer, sie davon abzuhalten, ist kein Menschen-
Haß, sondern eine Folge der Menschenliebe.

Wenn dieser Eifer ein Affect wird, so heißt er
Zorn, und wird gemeiniglich heftig, uns und
Andern höchst schädlich, entstellt unsre Gebehrden,
erhitzt unser Geblüt, zerstöhrt seinen eignen Zweck,
und macht den Beleidigten oder den Vorgesetzten
oft tadelnswürdiger, als der Beleidiger oder der-
jenige war, der den Fehler beging.

Glaube nicht, daß der Zorn, oder ein Schein
desselben
dir ein Ansehn gebe, weil etwa die
Vornehmen und Vorgesetzten sich oft vom Zorne
überraschen lassen. Du kannst ja selbst an andern
merken, daß der Zorn eine kurze Raserey genannt
zu werden verdiene. Kann er uns also wohl ein
wunschwürdiges Ansehn verschaffen?

Die Strenge ohne Zorn bessert weit mehr,
und thut weit minder Böses, als der Affect eines
Zornigen.

Ein junger ohnmächtiger Mensch im Zorn ist
ein Esel in der Löwenhaut.

Der
Die Sittenlehre
§. 40.

Neid und Haß ſind eigne Quaal und wider
die Menſchenliebe. Bedarf es wohl mehrere
Gruͤnde, um uns davon abzuſchrecken? aber der
Abſcheu an den Laſtern der Menſchen, und der
Eifer, ſie davon abzuhalten, iſt kein Menſchen-
Haß, ſondern eine Folge der Menſchenliebe.

Wenn dieſer Eifer ein Affect wird, ſo heißt er
Zorn, und wird gemeiniglich heftig, uns und
Andern hoͤchſt ſchaͤdlich, entſtellt unſre Gebehrden,
erhitzt unſer Gebluͤt, zerſtoͤhrt ſeinen eignen Zweck,
und macht den Beleidigten oder den Vorgeſetzten
oft tadelnswuͤrdiger, als der Beleidiger oder der-
jenige war, der den Fehler beging.

Glaube nicht, daß der Zorn, oder ein Schein
deſſelben
dir ein Anſehn gebe, weil etwa die
Vornehmen und Vorgeſetzten ſich oft vom Zorne
uͤberraſchen laſſen. Du kannſt ja ſelbſt an andern
merken, daß der Zorn eine kurze Raſerey genannt
zu werden verdiene. Kann er uns alſo wohl ein
wunſchwuͤrdiges Anſehn verſchaffen?

Die Strenge ohne Zorn beſſert weit mehr,
und thut weit minder Boͤſes, als der Affect eines
Zornigen.

Ein junger ohnmaͤchtiger Menſch im Zorn iſt
ein Eſel in der Löwenhaut.

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0110" n="86"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Sittenlehre</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 40.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Neid</hi> und <hi rendition="#fr">Haß</hi> &#x017F;ind eigne Quaal und wider<lb/>
die Men&#x017F;chenliebe. Bedarf es wohl mehrere<lb/>
Gru&#x0364;nde, um uns davon abzu&#x017F;chrecken? aber der<lb/>
Ab&#x017F;cheu an den La&#x017F;tern der Men&#x017F;chen, und der<lb/><hi rendition="#fr">Eifer,</hi> &#x017F;ie davon abzuhalten, i&#x017F;t kein Men&#x017F;chen-<lb/>
Haß, &#x017F;ondern eine Folge der Men&#x017F;chenliebe.</p><lb/>
          <p>Wenn die&#x017F;er Eifer ein Affect wird, &#x017F;o heißt er<lb/><hi rendition="#fr">Zorn,</hi> und wird gemeiniglich heftig, uns und<lb/>
Andern ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;dlich, ent&#x017F;tellt un&#x017F;re Gebehrden,<lb/>
erhitzt un&#x017F;er Geblu&#x0364;t, zer&#x017F;to&#x0364;hrt &#x017F;einen eignen Zweck,<lb/>
und macht den Beleidigten oder den Vorge&#x017F;etzten<lb/>
oft tadelnswu&#x0364;rdiger, als der Beleidiger oder der-<lb/>
jenige war, der den Fehler beging.</p><lb/>
          <p>Glaube nicht, daß der <hi rendition="#fr">Zorn, oder ein Schein<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben</hi> dir ein An&#x017F;ehn gebe, weil etwa die<lb/>
Vornehmen und Vorge&#x017F;etzten &#x017F;ich oft vom Zorne<lb/>
u&#x0364;berra&#x017F;chen la&#x017F;&#x017F;en. Du kann&#x017F;t ja &#x017F;elb&#x017F;t an andern<lb/>
merken, daß der Zorn eine kurze Ra&#x017F;erey genannt<lb/>
zu werden verdiene. Kann er uns al&#x017F;o wohl ein<lb/>
wun&#x017F;chwu&#x0364;rdiges An&#x017F;ehn ver&#x017F;chaffen?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Die Strenge ohne Zorn</hi> be&#x017F;&#x017F;ert weit mehr,<lb/>
und thut weit minder Bo&#x0364;&#x017F;es, als der Affect eines<lb/>
Zornigen.</p><lb/>
          <p>Ein junger ohnma&#x0364;chtiger Men&#x017F;ch im Zorn i&#x017F;t<lb/>
ein <hi rendition="#fr">E&#x017F;el in der Löwenhaut.</hi></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0110] Die Sittenlehre §. 40. Neid und Haß ſind eigne Quaal und wider die Menſchenliebe. Bedarf es wohl mehrere Gruͤnde, um uns davon abzuſchrecken? aber der Abſcheu an den Laſtern der Menſchen, und der Eifer, ſie davon abzuhalten, iſt kein Menſchen- Haß, ſondern eine Folge der Menſchenliebe. Wenn dieſer Eifer ein Affect wird, ſo heißt er Zorn, und wird gemeiniglich heftig, uns und Andern hoͤchſt ſchaͤdlich, entſtellt unſre Gebehrden, erhitzt unſer Gebluͤt, zerſtoͤhrt ſeinen eignen Zweck, und macht den Beleidigten oder den Vorgeſetzten oft tadelnswuͤrdiger, als der Beleidiger oder der- jenige war, der den Fehler beging. Glaube nicht, daß der Zorn, oder ein Schein deſſelben dir ein Anſehn gebe, weil etwa die Vornehmen und Vorgeſetzten ſich oft vom Zorne uͤberraſchen laſſen. Du kannſt ja ſelbſt an andern merken, daß der Zorn eine kurze Raſerey genannt zu werden verdiene. Kann er uns alſo wohl ein wunſchwuͤrdiges Anſehn verſchaffen? Die Strenge ohne Zorn beſſert weit mehr, und thut weit minder Boͤſes, als der Affect eines Zornigen. Ein junger ohnmaͤchtiger Menſch im Zorn iſt ein Eſel in der Löwenhaut. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/110
Zitationshilfe: Basedow, Johann Bernhard: Die ganze Natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger. Halle (Saale) u. a., [1768], S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/basedow_weisheit_1768/110>, abgerufen am 24.11.2024.