Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

australischen Klassen allein) dann gegenseitiger*) Austausch
bedingend, fast immer aber wird das Mädchen, auch als
Frau, ihrem eigenen Stamm verbleiben, der weder sie, noch
sonstiges Eigenthum, abzugeben denkt, und sogar noch die
Kinder für sich beansprucht, so dass diese der Mutter
folgend, in dem Avunculus**) ihren natürlichen Beschützer
finden (und damit Neffenrechte zur Geltung kommen).

Sollte wechselsweiser Austausch, wenn stattgefunden, dann
zur Gewohnheit werden, so würden sich permanent fixirte
Heirathsrichtungen, wie bei den Kamilaroi***) von selbst
erklären, und ebenso, dass einmal auf der Bahn der Zer-
splitterung eingelenkt, diese dann auch zu derartigen Extremen
führen mag, wodurch die Kinder+) wieder nach Knaben oder
Mädchen, in besondere Klassen eingereiht werden (in Ge-
schlechter-Trennungen).

Bis hierher wird also von Familie keine Rede sein
können, indem die Glieder überhaupt nicht zusammen-

*) Wenn bei den Chaubi-Brahmanen (in Mathura) ein Mädchen einen
Jüngling aus anderer Familie heirathen würde, muss diese der Familie
jener ein Mädchen zur Ehe zurückgeben. Auch beim Kauf der Frau
bewahrt der Stamm vielfach sein Antheilsrecht, und bei den Germanen
musste bei Bestrafung derselben für Ehebruch ihre eigenen Verwandten
zugezogen werden. Im Muri der Maori straft der Stamm der Frau deren
Gatten für ihm zugeschriebenen Verschuldungen. Die in der Kindheit
dem Manne bereits angetraute Frau ging ganz in seinen Familienkreis
über in Tasmanien (s. Lloyd). In Rom durch capitis deminutio.
**) Amita (mit patruus, als Onkel) ist die Tante väterlicherseits, wie
Matertera (mater altera) mütterlicherseits mit dem Avunculus oder kleinem
Grossvater (avus), auch bei Germanen.
***) In sechs Stämmen (unter Zweitheilung) acht Klassen, wovon die
Frauen als Gattin (Goleer) oder Schwester gelte, wie z. B. der Kabbi die
Ipota als jene, die Kapota als diese betrachtet.
+) Da die Namburi-Mädchen (in Malabar) keinen Mann (ausser Vater
und Gatte) sehen dürfen, werden sie auch von den Brüdern getrennt. Alle
männlichen Glieder in der Familie des Zamorin (Tamuri-Rajah) heissen
Tamburan, alle weiblichen Tamburetti (s. Buchanan).
7*

australischen Klassen allein) dann gegenseitiger*) Austausch
bedingend, fast immer aber wird das Mädchen, auch als
Frau, ihrem eigenen Stamm verbleiben, der weder sie, noch
sonstiges Eigenthum, abzugeben denkt, und sogar noch die
Kinder für sich beansprucht, so dass diese der Mutter
folgend, in dem Avunculus**) ihren natürlichen Beschützer
finden (und damit Neffenrechte zur Geltung kommen).

Sollte wechselsweiser Austausch, wenn stattgefunden, dann
zur Gewohnheit werden, so würden sich permanent fixirte
Heirathsrichtungen, wie bei den Kamilaroi***) von selbst
erklären, und ebenso, dass einmal auf der Bahn der Zer-
splitterung eingelenkt, diese dann auch zu derartigen Extremen
führen mag, wodurch die Kinder†) wieder nach Knaben oder
Mädchen, in besondere Klassen eingereiht werden (in Ge-
schlechter-Trennungen).

Bis hierher wird also von Familie keine Rede sein
können, indem die Glieder überhaupt nicht zusammen-

*) Wenn bei den Chaubi-Brahmanen (in Mathura) ein Mädchen einen
Jüngling aus anderer Familie heirathen würde, muss diese der Familie
jener ein Mädchen zur Ehe zurückgeben. Auch beim Kauf der Frau
bewahrt der Stamm vielfach sein Antheilsrecht, und bei den Germanen
musste bei Bestrafung derselben für Ehebruch ihre eigenen Verwandten
zugezogen werden. Im Muri der Maori straft der Stamm der Frau deren
Gatten für ihm zugeschriebenen Verschuldungen. Die in der Kindheit
dem Manne bereits angetraute Frau ging ganz in seinen Familienkreis
über in Tasmanien (s. Lloyd). In Rom durch capitis deminutio.
**) Amita (mit patruus, als Onkel) ist die Tante väterlicherseits, wie
Matertera (mater altera) mütterlicherseits mit dem Avunculus oder kleinem
Grossvater (avus), auch bei Germanen.
***) In sechs Stämmen (unter Zweitheilung) acht Klassen, wovon die
Frauen als Gattin (Goleer) oder Schwester gelte, wie z. B. der Kabbi die
Ipota als jene, die Kapota als diese betrachtet.
†) Da die Namburi-Mädchen (in Malabar) keinen Mann (ausser Vater
und Gatte) sehen dürfen, werden sie auch von den Brüdern getrennt. Alle
männlichen Glieder in der Familie des Zamorin (Tamuri-Rajah) heissen
Tamburan, alle weiblichen Tamburetti (s. Buchanan).
7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="99"/>
australischen Klassen allein) dann gegenseitiger<note place="foot" n="*)">Wenn bei den Chaubi-Brahmanen (in Mathura) ein Mädchen einen<lb/>
Jüngling aus anderer Familie heirathen würde, muss diese der Familie<lb/>
jener ein Mädchen zur Ehe zurückgeben. Auch beim Kauf der Frau<lb/>
bewahrt der Stamm vielfach sein Antheilsrecht, und bei den Germanen<lb/>
musste bei Bestrafung derselben für Ehebruch ihre eigenen Verwandten<lb/>
zugezogen werden. Im Muri der Maori straft der Stamm der Frau deren<lb/>
Gatten für ihm zugeschriebenen Verschuldungen. Die in der Kindheit<lb/>
dem Manne bereits angetraute Frau ging ganz in seinen Familienkreis<lb/>
über in Tasmanien (s. Lloyd). In Rom durch capitis deminutio.</note> Austausch<lb/>
bedingend, fast immer aber wird das Mädchen, auch als<lb/>
Frau, ihrem eigenen Stamm verbleiben, der weder sie, noch<lb/>
sonstiges Eigenthum, abzugeben denkt, und sogar noch die<lb/>
Kinder für sich beansprucht, so dass diese der Mutter<lb/>
folgend, in dem Avunculus<note place="foot" n="**)">Amita (mit patruus, als Onkel) ist die Tante väterlicherseits, wie<lb/>
Matertera (mater altera) mütterlicherseits mit dem Avunculus oder kleinem<lb/>
Grossvater (avus), auch bei Germanen.</note> ihren natürlichen Beschützer<lb/>
finden (und damit Neffenrechte zur Geltung kommen).</p><lb/>
        <p>Sollte wechselsweiser Austausch, wenn stattgefunden, dann<lb/>
zur Gewohnheit werden, so würden sich permanent fixirte<lb/>
Heirathsrichtungen, wie bei den Kamilaroi<note place="foot" n="***)">In sechs Stämmen (unter Zweitheilung) acht Klassen, wovon die<lb/>
Frauen als Gattin (Goleer) oder Schwester gelte, wie z. B. der Kabbi die<lb/>
Ipota als jene, die Kapota als diese betrachtet.</note> von selbst<lb/>
erklären, und ebenso, dass einmal auf der Bahn der Zer-<lb/>
splitterung eingelenkt, diese dann auch zu derartigen Extremen<lb/>
führen mag, wodurch die Kinder<note place="foot" n="&#x2020;)">Da die Namburi-Mädchen (in Malabar) keinen Mann (ausser Vater<lb/>
und Gatte) sehen dürfen, werden sie auch von den Brüdern getrennt. Alle<lb/>
männlichen Glieder in der Familie des Zamorin (Tamuri-Rajah) heissen<lb/>
Tamburan, alle weiblichen Tamburetti (s. Buchanan).</note> wieder nach Knaben oder<lb/>
Mädchen, in besondere Klassen eingereiht werden (in Ge-<lb/>
schlechter-Trennungen).</p><lb/>
        <p>Bis hierher wird also von Familie keine Rede sein<lb/>
können, indem die Glieder überhaupt nicht zusammen-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0133] australischen Klassen allein) dann gegenseitiger *) Austausch bedingend, fast immer aber wird das Mädchen, auch als Frau, ihrem eigenen Stamm verbleiben, der weder sie, noch sonstiges Eigenthum, abzugeben denkt, und sogar noch die Kinder für sich beansprucht, so dass diese der Mutter folgend, in dem Avunculus **) ihren natürlichen Beschützer finden (und damit Neffenrechte zur Geltung kommen). Sollte wechselsweiser Austausch, wenn stattgefunden, dann zur Gewohnheit werden, so würden sich permanent fixirte Heirathsrichtungen, wie bei den Kamilaroi ***) von selbst erklären, und ebenso, dass einmal auf der Bahn der Zer- splitterung eingelenkt, diese dann auch zu derartigen Extremen führen mag, wodurch die Kinder †) wieder nach Knaben oder Mädchen, in besondere Klassen eingereiht werden (in Ge- schlechter-Trennungen). Bis hierher wird also von Familie keine Rede sein können, indem die Glieder überhaupt nicht zusammen- *) Wenn bei den Chaubi-Brahmanen (in Mathura) ein Mädchen einen Jüngling aus anderer Familie heirathen würde, muss diese der Familie jener ein Mädchen zur Ehe zurückgeben. Auch beim Kauf der Frau bewahrt der Stamm vielfach sein Antheilsrecht, und bei den Germanen musste bei Bestrafung derselben für Ehebruch ihre eigenen Verwandten zugezogen werden. Im Muri der Maori straft der Stamm der Frau deren Gatten für ihm zugeschriebenen Verschuldungen. Die in der Kindheit dem Manne bereits angetraute Frau ging ganz in seinen Familienkreis über in Tasmanien (s. Lloyd). In Rom durch capitis deminutio. **) Amita (mit patruus, als Onkel) ist die Tante väterlicherseits, wie Matertera (mater altera) mütterlicherseits mit dem Avunculus oder kleinem Grossvater (avus), auch bei Germanen. ***) In sechs Stämmen (unter Zweitheilung) acht Klassen, wovon die Frauen als Gattin (Goleer) oder Schwester gelte, wie z. B. der Kabbi die Ipota als jene, die Kapota als diese betrachtet. †) Da die Namburi-Mädchen (in Malabar) keinen Mann (ausser Vater und Gatte) sehen dürfen, werden sie auch von den Brüdern getrennt. Alle männlichen Glieder in der Familie des Zamorin (Tamuri-Rajah) heissen Tamburan, alle weiblichen Tamburetti (s. Buchanan). 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/133
Zitationshilfe: Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/133>, abgerufen am 24.11.2024.